Was hilft gegen Islamismus? Reden und Denken!

Zuhörerinnen einer Salafistenkundgebung in Offenbach
Foto: epd-bild / Thomas Lohnes
Einfache Antworten, jugendliche Pop-Kultur: Zuhörerinnen einer Salafistenkundgebung in Offenbach am Main
Was hilft gegen Islamismus? Reden und Denken!
Wie sollen Eltern muslimischer Jugendlicher ihre Kinder vor radikalen Islamisten schützen? Sie von einer Reise in den Dschihad abhalten? Auf einer Pressefahrt in Berlin wurden beispielhaft Projekte und Initiativen vorgestellt, die in der Prävention arbeiten. Darunter auch die Beratungsstelle Hayat für Menschen, deren Angehörige sich radikalisieren.

Das sei nun wirklich das letzte Interview, das sie gebe. Ständig erhalte sie Medienanfragen, aber das könne sie gar nicht mehr bewältigen. Seit Jahrzehnten besucht die Journalistin und Publizistin Claudia Dantschke nicht nur in der Hauptstadt Fachdiskussionen zum Thema Islam, filmt Salafisten-Treffen und interviewt selbst Imame und Muslime zu heiklen Fragen des eigenen Glaubens.

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Nun ist sie aber selbst zum Objekt der Berichterstattung geworden, berät sie doch seit Ende 2011 Eltern und Jugendliche in der bundesweit tätigen Beratungsstelle Hayat in Berlin, die vom Bundesfamilienministerium gefördert wird. Ihr wichtigster Tipp in den Beratungen: im Gespräch bleiben. Viele Jugendliche seien verunsichert, was ihre eigene auch religiöse Identität anbetrifft. Das macht sie anfällig für Radikalismus: Statt sich darüber aber mit den Eltern, einem Imam oder mit Gleichaltrigen in einer Moscheegemeinde auszutauschen, suchen sie schnelle und einfache Antworten im Internet.

Widersprüche aufdecken, Denkprozesse in Gang setzen

Die Seiten des "IS" oder die des populären Salafisten-Predigers Pierre Vogel bieten simple Schwarz-weiß-Betrachtungsweisen an, eine klare Einteilung in rein und unrein, halal und haram. Sie kommen in ihrer lockeren Machart der jugendlichen Pop-Kultur und -Sprache wesentlich näher als die verstaubt wirkenden Webangebote der etablierten muslimischen Verbände in Deutschland. in Großteil der Missionierung und Radikalisierung laufe heute über das Internet - ein völlig neues Phänomen. Die erste Generation der Al-Kaida-Terroristen wurde noch mühsam über Bin-Laden-Videos geworben, die nur allmählich ihre Verbreitung fanden. Nun aber kann jeder sich die Erfolge des Islamischen Staates in real time auf youtube und anderen sozialen Netzwerken anschauen. Selbst Grundschüler werden morgens um acht Uhr auf dem Pausenhof schon mit Gewaltvideos des "IS" auf ihren Smartphones überschwemmt.

Claudia Dantschke von der Beratungsstelle Hayat

Immer mehr sozial verunsicherte Jugendliche würden sich an das Ideal eines vermeintlichen Ur-Islam halten, an salaf, die Altvorderen der ersten drei Generationen um den Propheten Mohammed, der erst Erfolg mit seiner Religion hatte, nachdem er nach vielerlei Anfeindungen aus Mekka nach Medina auszog. Heutige Islamisten fühlen sich als Teil einer seit 1400 Jahren bestehenden Ur-Umma, die von der Mehrheit verfolgt wird und die kämpfen muss, um dem wahren Islam zum Sieg zu verhelfen. Jede Bestrafung und Sanktion wirke daher auf diese Jugendlichen kontraproduktiv, da es für sie wieder nur ein weiterer Beweis dafür sei, dass sie als Verfolgte die wahren Muslime seien, erklärt Dantschke. Sie konfrontiert radikale Jugendliche lieber mit Video-Botschaften der eigenen salafistischen Prediger, die - anders als zu erwarten - den "IS" scharf attackieren.

"Ich will ihr Schwarz-Weiß-Denkschema aufbrechen. Mit Massenmedien brauche ich denen nicht zu kommen, das sind eh alles Kufr, Ungläubige, also Feinde für sie. Aber wenn die merken, dass sich die eigenen Leute gegenseitig widersprechen, kann ich einen Denkprozess in Gang setzen", hofft Dantschke.

Heimkehrer gehören in die Hände von Trauma-Psychologen

Hayat bietet nur individuelle Beratungen an, denn jeder Fall müsse eben auch individuell betrachtet werden. Oft kämen radikalisierte Jugendliche aus schwierigen Familienverhältnissen, seien sie streng autoritär erzogen oder aber man rede zu Hause gar nicht mehr miteinander. Es komme bei jedem immer wieder neu darauf an, den Schlüsselmoment zu finden, in dem die Radikalisierung ihren Anfang nahm. Ein Vorteil ihrer Beratungsstelle liege auch darin, dass die betroffenen Familien anonym beraten werden könnten. Doch das wollten viele gar nicht mehr.

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"Das hat sich in den letzten beiden Jahren völlig gewandelt. Früher wollten die Eltern ihre Kinder vor den Behörden schützen. Heute aber wollen sie, dass ihr Sohn lieber ins Gefängnis wandert, statt im fernen Dschihad zu sterben", berichtet Dantschke. Allerdings meldeten sich die Eltern kaum, wenn ihre Kinder wieder aus dem Glaubenskrieg zurückgekehrt seien - als wäre damit alles erledigt. Für Dantschke sind diese jugendlichen Dschihad-Heimkehrer allerdings eine Art tickende Zeitbombe, die dringend in die Hände von Trauma-Psychologen gehörten. Doch für diese gebe es noch keine funktionierende Hilfestruktur.

Ihre Hayat-Beratungsstelle hat in den letzten drei Jahren rund 1000 Anrufe erhalten, vor allem von besorgten Eltern. Rund ein Drittel wurden bisher zu echten Beratungsfällen. Gerade die Eltern und Großeltern zu stärken, sei sehr wichtig, damit sie den Gesprächskontakt zu ihren Kindern und Enkeln nicht verlieren. Oft sei dies eine der letzten Möglichkeiten, die Jugendlichen überhaupt noch vor ihrem freiwillig gewählten Glaubenskrieg zu bewahren. Zur Kerngruppe gehören 17 bis 27jährige junge Männer. Der jüngste Fall ist allerdings ein 12Jähriger - schon Kinder machen sich auf den Weg in den Dschihad!

Notwendig sei ein professionelles Hilfesystem aus Streetworkern bis hin zu Psychologen, um den Propagandaerfolgen des "IS" etwas entgegenzusetzen, sagt Dantschke. Da sei man in Deutschland noch relativ am Anfang. Imame seien dabei übrigens meist sekundär, da diese Jugendlichen in der Regel nicht auf der Suche nach Religion seien, sondern es gehe um mangelnde Akzeptanz in der Gesellschaft - die sie jedenfalls so empfinden.

Moschee-Vorsitzender: "Diese radikalisierten Jugendlichen kommen doch gar nicht zu uns"

Das sieht so ähnlich auch Ender Cetin, Gemeindevorsitzender der Berliner Şehitlik-Moschee unmittelbar am Tempelhofer Feld. Hier geben sich Journalisten und Kamerateams fast täglich die Klinke in die Hand. Das Haus steht für Reporter genau so offen wie für interessierte Bürger und Gläubige.

"Aber wir Imame und Moscheegemeinden können nur ein kleiner Teil eines größeren Netzwerkes gegen Islamismus sein", sagt Ender Cetin. "Diese radikalisierten Jugendlichen kommen doch gar nicht zu uns. Wir können nur durch unser tägliches Dasein demonstrieren, dass wir als gute Muslime in der deutschen Gesellschaft gut mit allen anderen zusammenleben können."

Und seine Frau Pinar, die auch schon in deutschen Talkshows zum Thema zu Gast war, ergänzt: "Wir machen eben nun mal keine Jugend-Pop-Internet-Seiten wie die Salafisten, das ist nicht unser Stil. Und man darf eben nicht vergessen, wir machen das hier alles ehrenamtlich. Unsere Kräfte gegen die Radikalen sind auch nur begrenzt!"

Ein weiteres Berliner Islamismus-Präventionsprojekt, die "Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus" in der Carl-von-Ossietzky-Schule, stellen wir hier vor.