Martin Luther und die Papstsatire: Der Streit um die Bilder

Die Babylonische Hure
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Drastische Zeichen im Glaubenskampf: Die Babylonische Hure auf dem siebenköpfigen Drachen in einem illustrierenden Holzschnitt zur Apokalypse des Johannes, geschaffen 1534 vom Mongrammisten MS, koloriert durch die Cranach-Werkstatt.
Martin Luther und die Papstsatire: Der Streit um die Bilder
Im Bilderstrum zerstörten Anhänger der Reformation sakrale Kunstwerke, dann entdeckten sie die Macht der Bilder für ihren eigenen Nutzen. Kunsthistorikerin Susanne Wegemann beschreibt in ihrem Gastbeitrag, wie polemisch, lehrreich und tröstlich Bilder im Streit um den Glauben verwendet wurden – und zwar auf beiden Seiten.

Als sich Martin Luther im März 1522 mit den berühmten Invocavit-Predigten an die Bilderstürmer richtete, formuliert er offenbar eine skeptische, ablehnende Haltung zum Bildgebrauch. Seinen Zuhörern sagt er, dass "es besser were, wir hetten derselbigen Bilder gar keines umb des leidigen vermaledeiten Missbrauchs und unglaubens willen". In den späteren Jahren scheint Luther in der Bilderfrage einen Wandel vollzogen zu haben. Nun stellte er vielfach ihren lehrhaften Charakter heraus. Doch erkennt man auch Luthers rhetorische Mittel hinter dem anfänglichen Zugeständnis an die Bilderfeinde und sieht die Tradition seiner Bildverteidigung in Anlehnung an Papst Gregor den Großen, der die Bilder als Bücher der Laien beschrieb.

###mehr-artikel###In der Praxis ist die Bedeutung der Bilder für den Erfolg der Reformation nicht zu unterschätzen. Wortgewalt der Reformatoren wurde wesentlich von Bildern getragen und transportiert. Früh nutzte man im Kontext der Glaubensstreitigkeiten polemische, satirische Bilder auf Flugblättern und Flugschriften, um den Gegner bloßzustellen. Sachliche Kritik war hier nicht gefragt, die Darstellungen waren nicht selten rüde, grob und diffamierend. Dem Betrachter wurde bis hin zur fäkalen Bildsprache kaum etwas erspart. Und sicherlich genau deswegen erregten sie Aufmerksamkeit und fanden reißenden Absatz.

Bilder als Waffe im Glaubensstreit

Noch im Jahr 1521 erschien das "Passional Christi und Antichristi". Der überwältigende Erfolg der Flugschrift beruhte kaum auf den von Philipp Melanchthon zusammengestellten Bibelzitaten und Textpassagen aus dem römischen Kirchenrecht und päpstlicher Dekrete, sondern vielmehr auf den in der Cranach-Werkstatt entstandenen Holzschnitten. Die 13 antithetisch aufeinander bezogenen Bildpaare konfrontieren schlicht und entlarvend reales päpstliches Ritual mit Szenen des Lebens Christi.

Cranach-Werkstatt, Fußwaschung Petri – Fußkuss des Papstes, Holzschnitt aus: Passional Christi und Antichristi, Wittenberg 1521.
Die Bilder erweisen sich umso provokanter, als sie im Grunde genommen selbst gar nicht polemisch oder satirisch erscheinen. Erst die Zusammenschau der Bilder fordert den Betrachter auf, sich die Frage zu stellen, ob das Handeln des Stellvertreters Christi auf Erden tatsächlich in der wahren Nachfolge des menschgewordenen, sich selbst erniedrigenden Sohn Gottes steht. Das Bild des päpstlichen Ehrenrituals des Fußkusses (linkes Bild), das der Fußwaschung Petri gegenübergestellt ist, weckt Zweifel daran, ob derjenige, der das Amt des Petrus als Haupt der Kirche inne hat, die an den Apostel gerichtete Lehre Christi tatsächlich verinnerlicht und nicht ins Gegenteil verkehrt hat. Erst hier entsteht die Polemik, die dem Betrachter sehr subtil als eigene Erkenntnis nahe gebracht wird.

Bildpolemik gegen den Papst

###mehr-links###Deutlicher ist die Bildpolemik der nicht weniger berühmten Holzschnitte im Septembertestament. Luther verzichtete für seine Bibelübersetzung, die ein knappes halbes Jahr nach seinen bildkritischen Invocavitpredigten in Druck ging, keineswegs auf Illustrationen. Das visionäre Buch der Apokalypse, das in der Eindrücklichkeit seiner sprachlichen Bilder bereits in vorreformatorischen Bibeln Herausforderung und Anregung für die künstlerische Ausgestaltung bot, wurde von Lucas Cranach d. Ä. mit 21 ganzseitigen Darstellungen bebildert.

Epitaphgemälde  von H. Kraus.
Er bezog sich dabei unmittelbar auf die Apokalypse-Folge von Albrecht Dürer und änderte oft nur Details. Doch waren dies entscheidende, Aufsehen erregende Eingriffe, die unmissverständlich antipäpstliche und antiklerikale Spitzen setzten. Das als teuflische Macht interpretierte Tier aus dem Abgrund trägt wie die Hure Babylon eine Papstkrone (Aufmacherbild), und der Fall Babylons ist als Untergang Roms interpretiert.  Nach dieser Bildfolge verursachte das Papsttum die Plagen der Menschheit.

Insbesondere die mit dem Papst gleichgesetzte Hure Babylons aus dem Septembertestament prägte sich ins Gedächtnis der Lutheraner ein und wird vielfach wieder aufgegriffen. So sieht man in der St. Annenkirche in Eisleben auf dem 1569 entstandenen Epitaph des Grafen Hans I. von Mansfeld-Hinterort vor dem Höllenrachen (linkes Bild) nun anstelle der weiblichen Hure mit der Papstkrone den Papst in vollem Ornat. Er reitet auf dem mehrköpfigen Tier, das nun neben einer Papstkrone auch eine Bischofsmitra trägt. Das Epitaph erinnert den Betrachter an die frühen Glaubenskämpfe, die untrennbar mit den polemischen Bildformularen verbunden waren.

Die Reformation entwickelt eigene Bilder

Doch der reformatorische Bildgebrauch ist differenzierter zu sehen, als dies die frühen Bildpolemiken nahelegen. So zeugen etwa die Epitaphien in der Wittenberger Stadtkirche eindrucksvoll von der tröstlichen Wirkung reformatorischer Bilder. Dabei ist das Gebet Christi am Ölberg auf dem Epitaph der 1573 verstorbenen Anna Hetzner keineswegs ein spezifisch lutherisches Bildformular. Die Predigten Luthers rufen aber nicht mehr zum nachvollziehenden Mitleiden mit dem Gottessohn auf. Das Bild Christi in seiner Angst, seinem Zaudern, seinem Zagen und Zögern stärkt den Betrachter in der Gewissheit, dass der Gottessohn die Sünden der Menschheit auf sich geladen und gesühnt hat.