Erleben und Ästhetik: Die Innenräume von Neubau-Kirchen

Foto: Margot Gottschling
Stirnwand der Immanuelkirche in Köln
Erleben und Ästhetik: Die Innenräume von Neubau-Kirchen
Trotz Mitgliederschwunds werden in Deutschland auch heute hier und da neue Kirchen errichtet. Wer ihr Inneres betrachtet, stellt fest: Gotische Wuchtigkeit hat ausgedient. Die Architekten moderner Gotteshäuser setzen auf Ästhetik, Harmonie und Licht.

Es ist einer dieser Orte, die unwillkürlich den Blick bannen. Wer die Immanuel-Kirche in der Evangelisch-Lutherischen Brückenschlag-Gemeinde Flittard/Stammheim betritt, erlebt eine tief berührende Raumsinfonie. Mehr als elf Meter ist der Kirchraum im Kölner Nordwesten hoch. „Das ist keine Höhe, die den Menschen winzig werden lässt wie in gotischen Kathedralen“, sagt Pfarrer Gerold Vorländer. Sondern eine, „die ihn eher aufrichtet und öffnet.“ Und genau das sei auch Kern des Evangeliums.

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Helligkeit ist der zweite markante Eindruck. Die Konstruktion des Innenraums besteht aus finnischem Fichtenholz. Uneingeschränkte Sichtbarkeit ist das Gestaltungsprinzip. Die vorgefertigten Holztafelbauelemente und Stützen sind unverkleidet, die gewachsten Oberflächen geben den Blick auf die Maserung des Holzes frei. Die althergebrachte Backsteinbauweise vieler evangelischer Kirchen hat in diesem Konzept des Berliner Architekturbüros Sauerbruch Hutton ausgespielt. Auch das Äußere besteht komplett aus Lärchenstämmen aus Finnland.

Durch das „Himmelsfenster“ über dem Altar erobert sich ein Lichtstrom die Weite des Raumes. Als Pendant wirkt das halbtransparente, durch ein asymmetrisches Kreuz unterteilte Fenster hinter der Empore. Auf ihm zeichnet sich das Schattenspiel der Bäume auf der anderen Seite des Fensters ab. „Horizontale und Vertikale gehören theologisch immer zusammen“, erläutert Vorländer, der bis zu seinem Wechsel nach Berlin im Mai in der Gemeinde tätig war. „Während das Himmelsfenster den Blick zu Gott symbolisiert, geht der Blick durch das Emporenfenster in die uns umgebende Welt.“

Größe, Stille, Einfachheit

Altarraum der Immanuelkirche in Köln

Auf eine helle und transparente Anmutung bei der Innengestaltung hat auch der Bamberger Architekt Christoph Gatz großen Wert gelegt, als er die Matthäuskirche der Evangelischen Kirchengemeinde im fränkischen Hirschaid-Buttenheim plante. Signifikant sind das spitzgieblige Dach und die grüne Kupferverkleidung, die die Kirche und den daneben postierten Glockenturm zieren. Im Inneren sind die Lichtführung und die Beschränkung der Materialien auf Eiche und Putz prägend. Das Licht fällt durch zwei verglaste Dreiecksgiebelfenster von oben und durch ein Fenster hinter dem Altar auch von der Seite ein. Als Gestaltungsprinzipien nennt Gatz „Größe, Stille, Einfachheit“. Entscheidend sei für ihn die Maxime gewesen, Zuwendung zur Welt zu schaffen. „Es geht weder der Kirche, noch in der Kirche um Abschottung“, betont der Architekt.

Was beiden Objekten, so sehr sie sich auch unterscheiden, gemeinsam ist: Beide Kirchen sind Neubauten, in jüngster Zeit geplant, errichtet und eingeweiht. „Das ist ein großer Tag, in einer Zeit, in der der Kirche der Wind an vielen Stellen entgegenbläst“, freute sich Vorländer im Einweihungsgottesdienst, den die Brückenschlag-Gemeinde im Mai 2013 feierte. Den Neubau der Matthäuskirche nannte Robert Schäfer vom Buttenheimer Kirchenvorstand im September 2013 „ein Ausrufezeichen. Denn ein Kirchenneubau in der heutigen Zeit ist ja doch recht ungewöhnlich.“

Laut EKD-Statistik von 2012 hat sich der Grundbestand an Kirchengebäuden kaum verändert. Zwar seien seit 1990 Kirchengebäude aufgegeben worden, zugleich aber an anderen Orten neue Kirchen und Gemeindezentren entstanden. Jedes der neuen Projekte bietet dabei immer die Chance, den Ort von Kirche im Struktur- und Wertewandel der Gesellschaft neu auszuloten und durch reflektierte Gestaltung speziell der Innenräume adäquat zu akzentuieren. Ist - sola scriptura - der Protestantismus eine Religion des Wortes, so ist er doch nicht ohne Äußerlichkeit. „Die Reformation lässt sich im Kern als eine umfassende Konzentrationsbewegung auf das Wort verstehen“, schreibt Johannes Goldenstein, Mitarbeiter im EKD-Projektbüro Reformprozess anlässlich des Themenjahres „Bild und Bibel“. „Doch die Evangelischen leben ja keineswegs in Kirchen mit leerem Chorraum und weißen Wänden.“

Blick auf die Empore in der Immanuelkirche in Köln

Der Strukturwandel der Gesellschaft hat vor allem eine visuelle Dimension. Beim Neu- oder Umbau von Kirchen sind besonders Fragen des Corporate Design berührt. „Was bedeutet es“, fragt EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider, „wenn wir als Christenmenschen, die vom Hören kommen und das Sehen brauchen, jetzt in ein digitales Zeitalter gehen?“ Eine Antwort gibt der Frankfurt Architekt Burkhard Cramer, der auch Erfahrungen mit Sakralbauten besitzt: „Die Devise heißt, raus aus der Bilderflut, wie sie durch Medien und ihre visuelle Dauerberieselung hervorgerufen wird. Das ist ein Thema für alle Kirchen und ein Zukunftsthema.“

Cramer plädiert für eine bewusste Entscheidung zugunsten der Leere: „Die Gestaltung von Kirchen muss Wege schaffen, Menschen auf den Vollzug und die Inhalte der Liturgie zu konzentrieren, das aus dem Wege zu räumen, was zwischen dem Einzelnen und Gott hinderlich ist.“ Bei der Planung der Immanuel-Kirche ist  offensichtlich Ähnliches passiert – und geglückt. Über ihren persönlichen Eindruck des Innenraums sagt Petra Bößert vom Kölner Architekturbüro Volker Langenbach, die das Projekt steuerte: „Für mich ist er ein perfekter Ort zum Innehalten; ein Ort, der mich nicht erdrückt, der mir die Chance gibt, den Glauben zu leben.“

"Menschen erwarten ein Erlebnis, wenn sie Kirchen betreten"

Nach Auffassung von Thomas Erne, Direktor des Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart in Marburg, soll der Innenraum einer Kirche „einen religiösen Anspruch ästhetisch anspruchsvoll formulieren“.

Dieser müsse für jeden Besucher, ob nun Mitglied der Gemeinde oder nicht, lesbar sein. Erne: „Die Menschen erwarten ein Erlebnis, wenn sie einen kirchlichen Raum betreten.“ Kirche sei prinzipiell gefordert, ein ästhetisches Kunstwerk sein und Transzendenzerfahrung vermitteln zu wollen. Diese Anforderung verwirkliche sich aber nur in Verbindung mit einem aktiven Gemeindeleben. „Wenn in einer Kirche ein Kreuz ist, dann ist die Kirche dadurch nicht per se religiös“, betont Erne. Nur durch die gemeinschaftliche Praxis der Gemeinde entstehe der heute anzustrebende „Hybridraum der Transzendenz“.

Bei der Frage nach bildlichen und symbolischen Elementen der Gestaltung plädiert der Theologe mit Schwerpunkt religiöse Ästhetik und Kommunikation für eine Hinwendung zur Gesellschaft. „Die traditionelle christliche Gebrauchskunst ist heute nicht die erste Wahl“, sagt er. „Wir müssen uns um die besten Erzeugnisse der Kunst der Gegenwart bemühen, weil diese auch der Gemeinde am besten dienen, Transzendenzerfahrung zu erwerben.“

St. Matthäuskirche in Buttenheim

Öffentlichkeitsarbeit in diesem Sinne verfolgt gerade die Düsseldorfer Johanneskirche mit der Kunstausstellung „Farbe-Zeit-Raum“. Studierende des Instituts für Kunstgeschichte der Heinrich Heine Universität Düsseldorf und des Seminars für Kunst der Technischen Universität Dortmund wurden aufgefordert, raumbezogene Arbeiten zu dem komplexen Themenfeld vorzustellen.

Für Erne durchaus ein konstruktiver Ansatz, im Themenjahr „Reformation – Bild und Bibel“ richtige Weichenstellungen zu erproben, auch im Sinne der Partizipation im Vorfeld einer (Neu-)Gestaltung von Kirchenräumen: Stichwort Kirchenkommunikation 2.0 und 3.0. „Die Interaktivität im Netz“, argumentiert der Theologe, „bietet großartige Möglichkeiten, einen intensiven Beteiligungsprozess in der Gemeinde aufzubauen, Wissen und Ansichten über Kunst, Religion und Ästhetik zu teilen.“