Sind wir nicht alle ein bisschen "Pegida"?

Illustration: evangelisch.de/Simone Sass
Sind wir nicht alle ein bisschen "Pegida"?
Leider ja.
Durch eine Untersuchung wurde versucht herauszufinden, wer "Pegida" ist. Die Ergebnisse dieser Umfrage werden teils erstaunt zur Kenntnis genommen. Dabei ist das Anliegen der Untersuchung selbst fragwürdig, denn jedes Ergebnis führt dazu, dass wir uns von den "Pegida"-Demonstranten distanzieren können, anstatt dass wir uns von deren Haltung absetzen. Das Ergebnis der Studie darf nicht sein, dass wir meinen, wir wären nicht "wie die". Vielmehr müssen wir uns klar machen, wie viel von "denen" in uns steckt.

Die gute Nachricht zuerst: Wenn Sie diese Zeile lesen, steht es noch nicht allzu schlimm um Sie. Der vollkommen durch-"pegidaisierte" Mensch würde nach der oben stehenden Überschrift vermutlich nicht weiterlesen. Wer ganz und gar "pegida" ist, der ist davon überzeugt, dass er selbstverständlich nichts Schlechtes in sich hat. Er drängelt sich mit seinem Auto und seinem Einkaufswagen gern mal vor, hat aber immer einen guten Grund dafür.

Gelbe Ampeln und Geschwindigkeitsbeschränkungen halten ihn nur auf, wenn er zur Arbeit fährt. Dabei drängt es ihn überhaupt nicht, schnell zur Arbeit zu kommen, denn wenn er am Ende des Monats sein Gehalt anschaut, dann ist es in jedem Fall zu wenig. Der Pegida-Anteil in uns versucht immer, möglichst wenig Steuern zu zahlen, damit mehr von dem bisschen "sauer verdienten" Geld übrig bleibt. Gleichzeitig will er, dass der Staat für intakte Straßen, Schulen und seine Sicherheit sorgt. Er kauft selbst dann im Discounter, wenn er sich andere Läden leisten kann. Aber wehe, wenn die Qualität nicht stimmt! Dann fühlt er sich wieder einmal betrogen.

Das ist eine Grundstimmung, die der "Pegida"-Anteil in uns auslöst: Ich werde betrogen. Man sagt mir nicht die Wahrheit, man versucht andere mir vorzuziehen, man will mir etwas wegnehmen, was mir eigentlich zusteht. Die "Ängste", die "Pegida"-Demonstranten montags auf die Straße tragen, und von denen es heißt, dass man sie ernst nehmen soll, sind gespeist aus einem kaum überwindbaren Misstrauen allem gegenüber, was unbequem ist. Realität ist unbequem, also will der "Pegida"-Anteil in dir, dass du nur glaubst, was deine Position rechtfertigt. Gleichzeitig musst du andere finden, die denselben Blick haben, damit ihr euch gegenseitig in eurer Haltung bestärken könnt.

Gottes Liebe erschüttert das Misstrauen

Je nachdem, wie sehr "pegida" Sie sind, werden Sie davon überzeugt sein, dass das, was Ihnen nicht gelingt, nicht Ihre Schuld ist, sondern die Anderer. Was Sie Gutes haben, werden Sie grundsätzlich als Ihre eigenen Verdienst verstehen. Dankbarkeit und Demut sind natürliche Feinde für die "Pegida" in Ihnen. Darum sucht die "Pegida" in Ihnen immer nach Bestätigung, niemals nach Zweifel.

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Wer das eigene Verhalten selbst infrage stellt, ist ein alberner "Gutmensch". Der "Pegidamensch" lehnt darum auch die Kirche ab, weil sie in ihm Zweifel an seinem Tun säen könnte. Er will sich auch nicht anhören, dass es Menschen gibt, denen es schlechter geht als ihm, denn er ist der einzige, der verdient hat, was er bekommt. Er will sich nicht anhören, dass alle Menschen von Gott gleich geliebt werden, denn das würde sein Misstrauen erschüttern.

Der "Pegida"-Anteil in uns wächst automatisch, denn er nährt sich von Bestätigung. Als Bestätigung kann aber alles dienen, was entweder derselben Meinung ist wie ich; ebenso ist aber auch alles, was sich gegen meine Meinung wendet, eine Bestätigung, denn die "Pegida" in mir ist immer ein unschuldiges Opfer, das glaubt, sich verteidigen zu müssen.

Eine Verringerung des "Pegida"-Anteils in uns kann darum nur eine Freundlichkeit bringen, die ernst gemeint ist, die Ausdauer besitzt und die unterscheiden kann zwischen den Taten eines Menschen und dessen Sein. Diese Freundlichkeit muss immer wieder von außen zugeführt werden, bis man wahrnimmt, dass es andere durchaus gut mit einem meinen können.

Wir können vergeben, und es kann uns vergeben werden

Das ist eine große Herausforderung an all die, deren "Pegida"-Anteil noch klein ist. Gleichzeitig braucht es eine permanente Pflege der inneren Freundlichkeit, so dass wir uns selbst eingestehen können, dass wir nicht Opfer sein müssen, um liebenswert zu sein. Auch hier ist viel Kraft gefordert, und von jemandem, der seit Wochen montags auf die Straße geht, kann man diese Kraftanstrengung nicht sofort erwarten. Dennoch braucht es diese Einsicht, dass die Welt sich nicht in Gut und Böse teilen lässt, sondern dass wir alle Anlagen für beides in uns tragen.

Dies ist freilich auch eine ausgesprochen christliche Sichtweise auf den Menschen, aber das Christentum bietet über diese unangenehme Erkenntnis hinaus auch eine Lösung, oder vielmehr eine Erlösung aus diesem Dilemma. Wir glauben, dass Gott uns unsere Schuld vergibt. Der Trick bei der Sache ist nur dieser: Wir müssen unsere Selbstgerechtigkeit über Bord werfen. Wir müssen erkennen, dass wir nicht unschuldige Opfer eines Systems oder der Verhältnisse oder gar einer Verschwörung sind. Wir sind verantwortlich für unser Tun, und trotzdem sind wir geliebte Wesen. Wir können vergeben, und es kann uns vergeben werden.

Es ist anstrengend und ab und an scheint es aussichtslos. Dennoch: Prüfen Sie täglich den "Pegida"-Anteil in sich! Bleiben Sie freundlich mit sich und mit denen, deren Anteil vielleicht noch größer ist als der Ihre.