Mehr Besonnenheit statt "Allahu-Akbar" bei Anti-Israel-Demos

Eines der Schilder auf einer pro-Palästinensischen Kundgebung am 20. Juli 2014 in Frankfurt.
Foto: dpa/Boris Roessler
Eines der Schilder auf einer pro-Palästinensischen Kundgebung am 20. Juli 2014 in Frankfurt. Dieser Slogan geht noch - andere, antisemitische Protestrufe sind nicht akzeptabel.
Mehr Besonnenheit statt "Allahu-Akbar" bei Anti-Israel-Demos
Deutsche Muslime diskutieren über ihre Protestkultur
Bei Demos gegen den Nahostkrieg gab es Ausschreitungen und judenfeindliche Äußerungen, auch von in Deutschland lebenden Muslimen. Darf man so im Namen des Islam protestieren? Die meisten Muslime meinen: Nein.

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Auch sowas kann man lesen in der Diskussion um die Anti-Israel-Demos in Deutschland: "Fakt ist: Israel tötet Kinder! Also versteh ich nicht, was so verkehrt daran ist, die Wahrheit bei Demos zu sagen. Meine Frage ist jetzt an die Leute, die sagen, dass es falsch ist, Allahu-Akbar zu schreien... sollten die Muslime ihren Bart schneiden, damit die Menschen sich nicht beängstigt fühlen?"

Das ist eines der Postings auf Ali Özgür Özdils Facebook-Seite. Der Direktor des Islamischen Wissenschafts- und Bildungsinstituts in Hamburg wollte sich ein Meinungsbild verschaffen und fragte in der vergangenen Woche: "Was haltet ihr von den Demonstrationen, in denen 'Takbir – Allahu Akbar!' oder Sätze wie 'Kindermörder Israel' geschrien werden?" Die über 100 Kommentare zeigen, dass sich viele Muslime mit dieser Frage beschäftigen - und in beide Richtungen argumentieren.

In vielen deutschen Städten geht es laut zu; immer wieder lassen Demonstranten Dampf ab, nicht nur mit Rufen wie "Allahu-Akbar - Gott ist groß". Zu hören sind auch Parolen wie "Ist die Welt taub und stumm, Israel bringt Kinder um", "Zionisten sind Faschisten, töten Kinder und Zivilisten" und "Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein" (diese Parole soll in Berlin jetzt verboten werden). Auf den Kundgebungen und Aufmärschen werden zudem Bilder von verunstalteten Kinderkörpern hochgehalten, die angeblich Opfer der israelischen Angriffe geworden sein sollen. In einigen Städten kam es – wie etwa in Essen und Berlin sowie vor einer Woche in Frankfurt – zu Ausschreitungen.

"Seid Zeugen und Zeuginnen der Gerechtigkeit"

Inzwischen gibt es eine Reihe von Reaktionen auf die Art und Weise der Proteste und auch Diskussionen darüber, welche die sinnvolleren Protestformen gegen das Vorgehen der israelischen Armee im Gaza-Streifen sind. Die Meinungen darüber, was auf den "Gaza-Demonstrationen" gerufen werden sollte und darf, gehen in den muslimischen Gruppen auseinander. In sozialen Netzwerken wird zuweilen heftig diskutiert, es wird aber auch für kreative Formen des Protestes und Spenden an die Bevölkerung in Gaza geworben.

Auch einige islamische Verbände rufen die Muslime hierzulande zur Besonnenheit auf. Sie beziehen sich unter anderem auf Postings in sozialen Netzwerken, mit denen antisemitische Kommentare und Videos in Umlauf gebracht werden. Mit Bezug auf Gott werden Juden als Angehörige einer anderen Religion verdammt – mit antisemitischen Kommentaren wie "Verreckt, ihr Juden; Gott soll euch vernichten; möge Gott den Juden ihre gerechte Strafe geben."

Der Liberal-Islamische Bund (LIB) hat sich am Montag an Muslime gewandt und versucht, mit religiösen Argumenten diejenigen zu überzeugen, die sich als Muslime definieren und bei ihrer Kritik an der israelischen Politik nicht differenzieren. Der LIB-Vorstand ruft "zu einer notwendigen Differenzierung zwischen Judentum, Menschen jüdischen Glaubens und der Politik des Staates Israel" auf – mit Verweis auf eine Sure im Koran: "Ihr, die ihr glaubt! Setzt euch für Gott ein und seid Zeugen und Zeuginnen der Gerechtigkeit. Und die Abneigung gegen eine Gruppe soll euch nicht (dazu) verleiten, anders als gerecht zu handeln. Seid gerecht, das ist der Ehrfurcht vor Gott näher..." 

Die Erfahrung, pauschal für das Verhalten anderer zur Verantwortung gezogen zu werden, haben viele Muslime selbst schon oft gemacht; deshalb sei es notwendig, mit jüdischen Gläubigen verantwortungsvoll umzugehen, auch wenn man die Handlungen der israelischen Regierung kritisiert, erklärt der LIB-Vorstand: "Es ist ein Verhalten, das die Muslime und Musliminnen für sich in Anspruch nehmen dürfen, somit sollten sie es auch bei anderen anwenden."

"Wäre ich eine Nicht-Muslima, ich würde Angst kriegen"

Bereits ein paar Tage zuvor hatte die Ditib-Jugendorganisation dazu aufgerufen, nicht "außerhalb unserer ethischen Normen und den Geboten unserer Religion zu handeln". Die Wut über den Konflikt im Nahen Osten und die Trauer über den Tod der Menschen im Gaza-Streifen dürfe nicht dazu verleiten, sich un-islamisch zu verhalten. Die Jugendlichen werden dazu aufgerufen, sich "von pauschalisierenden Aussagen, Posts, oder extremistischen Aussagen, die nur euch und eurem Iman (Glauben) schaden", abzuwenden.

Die stärkste Form der Abwehr sei dem Propheten Mohammed zufolge das Bittgebet. "Also lasst uns gemeinsam für die betroffenen Kinder, Frauen und Familien im Gazastreifen beten und somit unseren Brüdern und Schwestern beiseite stehen. Lasst uns als muslimische Community zusammenhalten und dies auch nach außen zeigen."

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Die Ditib-Jugendorganisation ruft zudem dazu auf, für die Notleidenden in Gaza zu spenden, ein Aufruf, den viele Menschen über soziale Netzwerke in Umlauf gebracht haben. Spenden für die Bevölkerung in Gaza sammelt unter anderem auch die Gruppe "Muslime Hamburg" und vermarktet über Facebook ein T-Shirt mit eigens für diesen Zweck entworfenem Logo.

Eine kreative Form de Protestes wählte eine Gruppe von Jugendlichen in Mannheim. Mit einer so genannten "Die-In"-Aktion distanzieren sich junge Muslime von aggressiv und zum Teil gewalttätig ablaufenden Demonstrationen in Deutschland. Ihren Aufruf brachten sie über Facebook und Youtube in Umlauf. Sie behielten auch ihre Enttäuschung darüber nicht für sich, dass zu der "Die-In"-Aktion am vergangenen Wochenende nicht mehr als 100 Teilnehmer kamen.

Ali Özgür Ödzil bilanziert die jüngsten Protestaktionen so: "Positiv ist, dass wir langsam eine Demonstrationskultur entwickeln, die unsere Eltern gar nicht kannten. Negativ ist, dass wir im Namen des Islam islamische Prinzipien missachten, die in Kuran und Sunna enthalten sind." Dazu gehöre zum einen, Nicht-Muslime abzuschrecken. Er halte nichts von "Allahu-Akbar"-Rufen auf Demonstrationen, sie seien kontraproduktiv. Wer auf die schlimme Situation der Menschen in Gaza aufmerksam machen wolle, solle Formen des friedvollen Protestes wählen.

Warum, das macht Facebook-Nutzerin Tugba Göksu deutlich. Zu Özdils Frage vom Anfang hat sie eine klare Meinung: "Ich gebe eine empathische Antwort: Wäre ich eine Nicht-Muslima, würde ich Angst kriegen und weglaufen."