"Religiöse Verfolgung ist intensiver geworden"

Brennende Moschee in Meikhtila (Myanmar), 2013
Foto: Reuters/Soe Zeya Tun
Eine brennende Moschee in Meikhtila (Myanmar) nach einem Anschlag im Jahr 2013.
"Religiöse Verfolgung ist intensiver geworden"
Verfolgte Jesiden im Irak, Angriffe gegen Muslime in Myanmar, Christen, die in Mali zur Flucht gezwungen werden - mehr als 900 Millionen Menschen gehören in ihrem Land Minderheiten an und es wirkt, als nähme Religionsfreiheit weltweit ab. Wolfram Drews, Historiker an der Universität Münster, spricht über historische Fälle religiöser Verfolgung und erklärt, warum Menschen gegen Minderheiten vorgehen.

Herr Drews, was bedeutet "religiöse Verfolgung“?

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Wolfram Drews: Der Begriff ist schwierig zu fassen. “Religiöse Verfolgung" muss in dem jeweiligen Kontext betrachten werden, denn wird eine Person zu einem Verfolgungsopfer, sind die Gründe selten rein religiös motiviert. Vielmehr spielen in der Regel andere Motive - sozialer, wirtschaftlicher, ethnischer oder politischer Art - in den meisten Fällen ebenfalls eine wichtige Rolle. Es ist schwierig, einen Fall zu finden, in dem jemand ausschließlich aus religiösen Gründen verfolgt wird. Häufig ist es so, dass Feindbilder gesucht werden und die Verfolger sie in religiösen Minderheiten zu erkennen meinen.

Können Sie Beispiele nennen?

Drews: In der Gegenwart stellen etwa die Muslime im buddhistisch geprägten Myanmar eine Minderheit dar, die wegen ihrer Religion zu Außenseitern stilisiert werden. Dabei geht es auch um ökonomische Gründe, aber vor allem um ethnische, weil es sich bei den Muslimen angeblich um Einwanderer handelt, die nicht zu der einheimischen Bevölkerung zählen. Mit Blick auf die Geschichte ist zum Beispiel das erste Pogrom auf europäischem Boden zu nennen: 1066 wurde im muslimisch beherrschten Granada die gesamte jüdische Gemeinde Opfer eines Pogroms. Die Religion diente dabei als Vorwand, um den vermeintlich zu mächtigen jüdischen Wesir zu diskreditieren. Wohl auch, weil man gegen andere, größere Gruppen wie die Berber oder Andalusier arabischer Abstammung nur schwer vorgehen konnte. Doch die Juden boten als Minderheit ein leichtes Opfer.

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Wie verhalten oder verhielten sich die betroffenen Minderheiten?

Drews: Soweit es den Opfern möglich ist, verlassen sie den Ort, an dem sie verfolgt werden. Es gibt auch Fälle, in denen sich die Minderheit äußerlich der religiösen Verfolgung anpasst, aber innerlich bei ihrem angestammten Glauben bleibt. Das haben beispielsweise einige Juden und Christen im mittelalterlichen Spanien gemacht: Sie wurden von den islamischen Almohaden, einer muslimischen Berber-Dynastie, die aus Nordafrika im zwölften Jahrhundert kam, verfolgt. Die Almohaden erkannten den traditionellen Status der Schutzbefohlenen, unter dem die Juden und Christen unter islamischer Herrschaft lebten, nicht mehr an. Sie zwangen Juden und Christen, den Islam anzunehmen. Daraufhin sind manche Juden und Christen nach Nordafrika oder in die christlichen Herrschaftsgebiete emigriert. Aber einige sind wahrscheinlich äußerlich zum Islam konvertiert.

Für welche Religionsgemeinschaft ist die Situation derzeit am gefährlichsten?

Drews: Die quantitativ größte Gruppe der Verfolgten weltweit sind die Christen. Allerdings sagt das nichts darüber aus, ob sie am intensivsten in ihrer Religionsausübung eingeschränkt werden, und ob sie besonders stark drangsaliert werden - das variiert von Fall zu Fall. Prinzipiell können Angehörige aller Religionen zu Opfern von Verfolgung werden. Aber auch: zu Tätern. Es gibt keine Religion, die primär auf den Opfer- oder auf den Täterstatus festgelegt ist. Da lassen sich in allen Religionen Beispiele für beide Seiten finden.

"Die meisten Opfer des islamistischen Terrors sind Muslime"

Es gibt die Vorstellung vom extremistischen Islam oder dem friedlichen Buddhismus. Wie sehr bestätigt sie sich?

Drews: Klischees bewahrheiten sich selten. In Birma zum Beispiel sind die Muslime Opfer von Verfolgung, sie sind dort die ausgegrenzte Minderheit und nicht die Verfolger. Hinzu kommt, dass die meisten Opfer des islamistischen Terrors Muslime sind: Fundamentalisten erkennen jene Muslime, die einer ihrer Meinung nach laxen Interpretation des Islams anhängen, nicht als richtige Muslime an. Sie sind aus Sicht der Extremisten die primären Feindbilder.

Verfolgte Jesiden im Irak, Angriffe gegen Muslime in Myanmar, Christen, die in Mali zur Flucht gezwungen werden - haben sich die Fälle religiöser Verfolgung verstärkt?

Drews: Zumindest hat sich die Wahrnehmung sehr verändert: Das Phänomen Verfolgung ist ganz anders präsent, weil es eine moderne Medienöffentlichkeit gibt, die in der Vergangenheit nicht existierte. Früher hat man von Fällen der religiösen Verfolgung häufig gar nichts mitbekommen, auch wenn sie zeitgleich stattfanden. Das ist heute ganz anders, auch wenn nicht alle Regionen der Welt, in denen es Konflikte gibt, in gleicher Weise in der medialen Aufmerksamkeit stehen. Hinzu kommt, dass sich die Instrumente der Verfolgung und des Terrors verändert haben. Im Mittelalter gab es zwar die sogenannten Assassinen, eine islamische Gruppe, die Attentate begangen hat - aber zu dieser Zeit wurde kein Sprengstoff eingesetzt. Daher spricht man in der Vormoderne nicht von "Terrorismus".  Die technischen Möglichkeiten machen die Verfolgung heutzutage zu einer erheblich einschneidenderen Erfahrung: Die Entwicklung gibt dem einzelnen Terroristen Mittel in die Hand, um eine wesentlich größere Anzahl von potenziellen Opfern zu treffen als es früher möglich war. Insofern hat sich religiöse Verfolgung in der Gegenwart intensiviert.

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Wohin kann religiöse Verfolgung führen?

Drews: Folgen der religiösen Verfolgung sind ganz unterschiedliche: Es kann passieren, dass Angehörige einer Religionsgemeinschaft einen Landstrich komplett verlassen, wo sie jahrhundertelang ansässig waren. Etwa die Juden in Spanien, die zum Ende des Mittelalters vertrieben wurden. Aktuell ist es so, dass die Christen im Nahen Osten sehr stark unter Bedrängnis sind, auch die Jesiden im Irak. Man muss befürchten, dass die christliche Präsenz in einigen Ländern des Nahen Ostens nach zweitausend Jahren zu Ende gehen könnte. Eine andere Folge könnte es sein, dass es weiterhin Gläubige gibt, die ihre angestammte Religion im Geheimen ausüben und sich nach außen hin anpassen an eine Mehrheitsreligion. Vorstellbar ist auch, dass sich eine religiöse Lehre anpasst oder verändert, um ihre Anhänger stärker zu immunisieren und sie gegen Verfolgung zu wappnen. Je nach historischem Kontext muss man die Folgen differenziert betrachten, eine globale These gibt es nicht.