Jung: "Da hat ein Umdenken stattgefunden"

Foto: epd-bild/Norbert Neetz
Jung: "Da hat ein Umdenken stattgefunden"
Kirchenpräsident Volker Jung ist beeindruckt vom Bürgerengagement für Flüchtlinge
Ehrenamtliche leisten eine Menge, um schutzsuchende Menschen hierzulande zu unterstützen. Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), hält dieses Engagement für einen großen Gewinn. Die Politik müsse dies unterstützen, indem sie die Flüchtlinge gerecht verteile und ihre schnelle Integration fördere.

Herr Jung, welche Rolle spielen Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit?

Volker Jung: Ehrenamtliche spielen eine sehr große Rolle. Wir haben erfreulicherweise außerordentlich viele, die sich in den Kirchengemeinden engagieren - das ist eine ganz andere Situation als beispielsweise Anfang der 90er Jahre. Entschließt sich eine Gemeinde dazu, sich um Flüchtlinge zu kümmern, gibt es eine große Bereitschaft von Ehrenamtlichen, mitzuhelfen. Interessanterweise sind das Menschen jeden Alters und durch alle Schichten hindurch.

Wie kann man Menschen dazu bewegen, sich in ihrer Gemeinde für Flüchtlinge einzusetzen?

Jung: Ich setze darauf, dass man gar nicht so sehr werben muss. Wenn Menschen mitbekommen, was bereits geschieht und wie viele sinnvolle Initiativen und Aktionen es gibt, sind viele auch bereit, diese zu unterstützen. Die Medien spielen eine wichtige Rolle - eine positive Berichterstattung über die Arbeit von Ehrenamtlichen ist von großer Bedeutung.

Kann denn jeder mit "Helfersyndrom" einfach mit anpacken?

Jung: Es muss natürlich darauf geachtet werden, die Ehrenamtlichen zu schulen. Wichtig ist gegenüber den Flüchtlingen die Grundhaltung: "Wir wollen wahrnehmen, was ihr jetzt braucht" - und nicht von vornherein die Überzeugung: "Wir wissen, was ihr nötig habt." Die Fähigkeit zuzuhören ist nötig, eine sensible, einfühlsame Begleitung. Schließlich soll es ja möglichst darum gehen, Flüchtlingen zu helfen, eigenständig ihr Leben zu führen und sich schnell zu integrieren.

Wie sähe die Situation in Städten und Gemeinden ohne die Unterstützung durch Ehrenamtliche aus?

Jung: Ohne das Engagement der vielen freiwilligen Helfer wäre es für Städte und Kommunen definitiv sehr viel schwieriger.  Deutschkurse, Hausaufgabenhilfe, Unterstützung bei der Wohnungseinrichtung, Versorgung mit Mobiliar und Kleidung - das sind oft Initiativen, die vor Ort organisiert werden. Dass das durch die Ehrenamtlichen so unmittelbar und direkt geschieht, ist ein großer Gewinn. Ich glaube, dass all das von den Kommunen alleine nicht geleistet werden könnte. Sie sind außerordentlich froh darüber, dass Kirchengemeinden sich in diesem Bereich ehrenamtlich engagieren. Diese Signale bekommen wir auch ganz stark aus der Politik.

"Wir haben es mit Menschen zu tun, die fliehen und um ihr Leben kämpfen. Das rührt einfach an"

Übernehmen Bürger da nicht Aufgaben, die eigentlich dem Staat zukämen?

Jung: Ja, aber ich glaube, nur so kann ein Gemeinwesen gut funktionieren. Auf der einen Seite ist es eine staatliche Aufgabe, für Flüchtlinge zu sorgen, und das muss zweifelsohne auch gewährleistet sein. Auf der anderen Seite aber muss der Staat darauf setzen können, dass die Bürgerinnen und Bürger das auch mittragen.

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Wie ist die enorme Hilfsbereitschaft der Menschen zu erklären, die sich allerorts für Flüchtlinge einsetzen?

Jung: Die Medien zeigen es uns fast jeden Tag: Wir haben es hier mit Menschen zu tun, die nicht freiwillig ihre Heimat verlassen, sondern vor großer Not fliehen und um ihr Leben kämpfen. Das rührt die Menschen in Deutschland einfach an. Zudem hat es in vielen Regionen Deutschlands in den vergangenen Jahren Initiativen gegen Rechtsextremismus gegeben. Ich glaube, dass sich etwas verändert hat in den Köpfen. Da hat ein Umdenken stattgefunden hin zu der Erkenntnis: Fremdenfeindlichkeit ist nicht das, was wir wollen. So soll unser Land nicht sein. Viele Deutsche sind eher bereit zu sehen: Wir können Menschen aufnehmen, wir haben die Kraft dazu. Wir sind ein reiches Land in der Welt, es geht uns gut.

Das hört sich durchweg positiv an.

Jung: Es gibt natürlich auch Gegenkräfte. Die sollte man nicht kleinreden. Wo sich die regen, ist sehr viel Aufmerksamkeit geboten. Das sollte dann offensiv angesprochen werden. Da sind Kirchen und bürgerschaftliche Netzwerke gefragt. Schwierig wird es zum Beispiel immer dort, wo Flüchtlingsunterkünfte entstehen - da gibt es häufig kritische Nachfragen. Im Moment beobachten wir aber, dass die Menschen eine große Solidarität zeigen. Es gibt außerdem eine Bereitschaft, denen entgegenzutreten, die populistisch Stimmung machen.

"Ich plädiere für eine dezentrale Unterbringung und Integrationshilfe vom ersten Tag an"

Vergleicht man die Anzahl der Flüchtlinge, die Deutschland aufnimmt, mit denen in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, wirkt das geradezu lächerlich. Würden die Bürger es auch mittragen, wenn Deutschland doppelt so viele Flüchtlinge aufnähme wie bisher?

Jung: Ich glaube ja. Wobei es ganz wichtig ist, dass Flüchtlinge gut in den Regionen verteilt werden. Genau so wichtig ist es, möglichst schnell ihre Integration zu fördern. Problematisch sind immer Situationen, in denen Flüchtlinge geballt an einem Ort untergebracht werden. Ich plädiere deshalb für eine dezentrale Unterbringung - und das so schnell wie möglich. Und ich wünsche mir möglichst viel Integrationshilfe vom ersten Tag an.

Wie genau sollte die aussehen?

Jung: Es ist wichtig, dass Deutschkurse angeboten werden, dass Flüchtlinge nicht einfach irgendwo in eine Wohnung gesteckt werden, die hochgradig renovierungsbedürftig ist. Es muss darauf geachtet werden, dass die dezentrale Unterbringung auch richtig funktioniert.

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Wie könnten Ehrenamtliche besser unterstützt werden?

Jung: Die Politiker müssen sich Gedanken machen, was sie tun können, um die Flüchtlingsaufnahme zu verbessern: Was muss geschehen, um bürokratische Hürden abzubauen? Was muss passieren, um kritische Situationen zu vermeiden - beispielsweise Abschiebungen im Rahmen des Dublin-Verfahrens? Ich glaube, dass inzwischen viele verstanden haben, dass das Hin-und-Her-Verschieben der Flüchtlinge quer durch Europa ausgesprochen problematisch ist. Da muss die Politik auf europäischer Ebene ran!