"Sterben ist ein Stück Leben ganz besonderer Art"

Foto: dpa/Paul Zinken
Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland.
"Sterben ist ein Stück Leben ganz besonderer Art"
Darf man seinem Leben ein Ende setzen – nicht, weil man krank ist, sondern des Lebens überdrüssig? Günther Jauch hat mit seinen Gästen diese Frage diskutiert. Auch in Erinnerung an Udo Reiter: Der ehemalige MDR-Intendant hatte sich für den selbstgewählten Todeszeitpunkt stark gemacht. Vor wenigen Tagen hat er sich das Leben genommen.

Er wollte nicht als Pflegefall enden, dem "man mit einem Gummihandschuh die Exkremente herauskratzt". Bevor er vertrottle, wolle er sein Leben selbstbestimmt beenden. Das sagte der ehemalige MDR-Intendant Udo Reiter im Januar in Günther Jauchs Talkshow zum Thema Sterbehilfe. Neun Monate später ist Udo Reiter tot – er hat sich das Leben genommen. In einem Moment, in dem die Debatte über den selbstbestimmten Tod in Deutschland einen neuen Höhepunkt erreicht hat, wirkt sein Freitod für viele wie ein Statement.

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Die Redaktion von Günther Jauch hat daraufhin zur Diskussion geladen: "Udo Reiters letzter Wille – dürfen wir selbstbestimmt sterben?" Mit dem Moderator Thomas Gottschalk kam ein langjähriger Freund Reiters in die Sendung, der SPD-Politiker Franz Müntefering hatte in der Januar-Ausgabe mit Reiter gestritten und sich kritisch zur "Heroisierung der Selbsttötung" geäußert. Ähnlich urteilt auch der EKD-Ratsvorsitzende Schneider, der jedoch seiner krebskranken Frau den Wunsch nach Sterbehilfe nicht abschlagen würde. Liberaler tritt dagegen die Medizinethik-Professorin Bettina Schöne-Seifert auf.

In Gottes Hand geborgen

Die Positionen waren klar verteilt und die Argumentationen der Befürworter und Kritiker waren ähnlich wie in anderen Debatten zum Thema Sterbehilfe. Eine andere Note bekam die Diskussion, durch den persönlichen Bezug zu Reiter. "Der Rotwein hat ihm geschmeckt und er hat die Vögel genauso singen gehört wie ich", so erinnert sich Gottschalk an die letzte Begegnung mit seinem Freund. "Die Aussicht auf eine Schnabeltasse war für ihn furchtbar", ergänzte er. "Ich hätte damit kein Problem." Deshalb könne er die Entscheidung seines Freundes aus dessen Sicht verstehen – nicht jedoch aus seiner eigenen.

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Nach einem Autounfall war Udo Reiter seit seinem 22. Lebensjahr querschnittsgelähmt. In seinem Abschiedsbrief, den Günther Jauch zitierte, begründete er seinen Selbstmord mit schwindenden körperlichen Kräften, dem Verlust seiner Selbstständigkeit und dem Nachlassen geistiger Fähigkeiten. "Bei aller inneren Distanz muss man respektieren, dass ein Mensch einen solchen Weg geht", sagte Nikolaus Schneider. Auf Nachfrage Gottschalks erklärte er, dass ein Mensch mit einem Suizid aus kirchlicher Sicht nicht die Hoffnung auf ewiges Leben aufgebe. "Ich habe die Hoffnung, dass er in Gottes Hand geborgen ist, wenn meine Hand ihn nicht mehr halten kann", sagte der Theologe.

"Ein Stück gemeinsames Leben"

Müntefering äußerte sich kritisch zu Reiters Entscheidung: "Die Argumente, die er bringt, verstehe ich nicht." Pflegebedürftigkeit als Begründung für einen Selbstmord sei eine Zumutung für Menschen, die pflegebedürftig seien. "Man darf ihnen gegenüber nicht den Eindruck erwecken, dass ihre Form von Leben weniger wert ist", sagte er. Auch eine schwere Krankheit ist für ihn kein Grund, den Freitod zu wählen. "Sterben ist Teil des Lebens", sagte Müntefering, der 2009 vom Posten als SPD-Vorsitzender zurücktrat, um seine schwerkranke Frau zu begleiten. "Das war eine Zeit, die besonders intensiv war. Sie hatte dunkle und helle Tage und man hat ein Stück des gemeinsamen Lebens erlebt", erzählte er. Später, fast zum Ende der Sendung, hatte der Politiker Tränen in den Augen, als Schneider für begleitetes Sterben wirbt: "Häufig sind das Situationen, die randvoll mit Liebe sind."

Die persönliche Verbundenheit der Gäste zum Thema machte Jauchs Runde zu einer starken Sendung. Dass trotz der hohen Emotionalität keine Betroffenheitssendung entstand, lag an der Bereitschaft der Gäste, differenziert zur argumentieren. Jauchs Fragen entsprachen vor allem zu Beginn eher einem seichten Talk als einer politischen Debatte. Doch die Gäste hielten erfolgreich dagegen, erzählten Persönliches, schlugen aber dabei immer den Bogen zur Diskussionsebene.