Kirche im Internet: Wer soll wie mit wem reden?

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Kirche im Internet: Wer soll wie mit wem reden?
Die evangelische Kirche braucht sich nicht mehr zu überlegen, ob sie das Internet nutzen will. Die Frage ist nur noch: Wie? Darüber denken die Mitglieder der EKD-Synode in Dresden an diesem Montag nach. Sie widmen sich dem Schwerpunktthema "Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft".

Das Thema ist komplex: Längst haben Gemeinden und Landeskirchen professionelle Websites, verabreden sich Konfigruppen via Facebook, längst bloggen Pfarrer und twittern Synodale. Seelsorge im Internet läuft sehr erfolgreich und vereinzelt gibt es Online-Gottesdienste. Es liegt in der Natur der Sache, dass das alles von selbst läuft und kaum durch institutionelles kirchliches Handeln der EKD eingefangen oder gar koordiniert werden kann. Trotzdem muss die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sich zumindest überlegen: Was wollen wir eigentlich als Kirche im Netz? Und was sind dabei unsere Grundlagen und Werte?

Zu Beginn der heutigen Debatte machten die Jugenddelegierten, die das Thema vorgeschlagen hatten, der Synode Mut. In ihrer Andacht erzählten sie das Pfingstwunder aus der Apostelgeschichte: ein Beispiel dafür, wie Kommunikation auch völlig spontan in fremden Sprachen gelingen kann, wenn Nachfolger Jesu einen Kontrollverlust riskieren und sich vom Geist leiten lassen. "Wir müssen raus aus der kontrollierten Kommunikation und hinein in die Lebenswelt der Menschen", sagten die Jugenddelegierten und forderten von ihrer Kirche, sich mutig auf den digitalen Weg zu begeben: "Wir müssen die Menschen ansprechen und die Botschaft Christi in die Lebenswelt der Menschen übersetzen." So weit, so einfach.

Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn das Internet ist nicht nur ein neues Medium, sondern bedeutet eine radikale Veränderung der gesamten Gesellschaft – und zwar global. Die Kirche kann sich dem gar nicht entziehen, selbst wenn sie es wollte. Sie hinkt der Entwicklung hinterher. Nach Einschätzung des Münsteraner Theologen Christian Grethlein verändern die neuen Medien auch den herkömmlichen Kirchenbegriff: Für die Kommunikation des Evangeliums zählt eben nicht mehr nur die Gemeinde vor Ort, sondern im Netz bilden sich neue Gemeinschaftsformen heraus – dadurch, dass jede und jeder posten, bloggen, mailen und twittern kann. Der Einzelne wird wichtiger und "Kiche" findet nicht mehr nur da statt, wo eine Kirche steht und ein Pfarrer predigt.

Der Begriff der "Autorität" werde bei dieser Art der religiösen Kommunikation durch "Authentizität" abgelöst, sagte Grethlein in seinem Referat. Das heißt: Inhaltlich geht es im Internet meistens nicht in erster Linie um religiöse Wahrheiten, sondern um praktische Lebenshilfe. "Kommunikation des Evangeliums" findet zum Beispiel statt, wenn Menschen sich im Chat über Lebensfragen austauschen. Sie "vollziehen symmetrische Lehr- und Lernprozesse", und das nach Ansicht von Christian Grethlein ganz in Jesu Sinne. Der Protestantismus, so Grethlein, sei mit seinem biblisch begründeten Konzept des Priestertums aller Getauften "gut gerüstet für die neue Situation" – allerdings nur theologisch, aber nicht organisationsmäßig.

"Die Kirche muss die Netzkultur verstehen"

Die Internetbotschafterin der Bundesregierung, Gesche Joost, fragte die Synode, welche Werte die Kirche eigentlich im Netz vertreten und wie sie diese Werte kommunizieren wolle. Joost verwies auf die "digitale Spaltung" in der Gesellschaft. Die betreffe nicht nur Altersgrenzen, sondern auch soziale Schranken: So seien Taubblinde bisher von der digitalen Kommunikation ausgeschlossen, doch ein neu entwickelter Handschuh mit Sensoren ermögliche auch den so ausgegrenzten Menschen, Smartphones zu benutzen und so über Distanzen hinweg zu kommunizieren. Mit dem beeindruckenden Beispiel - im Video präsentiert - wollte Gesche Joost auf die Chancen der digitalen Kommunikation aufmerksam machen: Ist es nicht ein hoher Wert der Kirche, Menschen einzubeziehen, die nicht zur Elite gehören und die sonst ausgeschlossen sind? Technologische Entwicklung sei nicht nur negativ zu bewerten. Die Kirche müsse sich an der Entwicklung beteiligen, appellierte Gesche Joost an die Synodalen. 

In eine ähnliche Richtung ging das Referat der Bonner Medienwissenschaftlerin Caja Thimm. Der soziale Wandel durch die Medien sei unaufschiebbar und unaufhaltbar, "wir haben darüber keine Kontrolle", der Wandel betreffe alle Bereiche der Gesellschaft, also auch die Kirchen. Soziale Medien wie Facebook hätten allerdings ihre eigenen Regeln und Kulturen, die von vielen nicht verstanden würden, sagte Thimm und forderte: "Die Kirche muss die Netzkultur verstehen." Die Wissenschaftlerin führte den Synodalen einige mehr oder weniger gelungene kirchliche Webweiten vor und machte auch einen wichtigen Unterschied aufmerksam, nämlich den zwischen kirchlicher PR und "medienvermittelter Vergemeinschaftung" wie sie zum Beispiel in Online-Gottesdiensten verwirklicht wird. Letzteres sei "die viel größere Aufgabe", sagte Thimm.

"Wir müssen uns der Herausforderung auf allen Ebenen stellen", sagte der Emdener Landessuperintendent Detlef Klahr, der das Thema "Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft" für die Synode in Dresden mit einer Arbeitsgruppe vorbereitet hat. Deren Kundgebungsentwurf kann hier auf evangelisch.de diskutiert werden, er wird in Dresden besprochen und am Mittwoch verabschiedet. "Vielleicht tut es uns gut, erstmal Grundlagen zu schaffen", sagte Klahr mit Blick auf die recht allgemeinen Formulierungen in dem Dokument. "Es bleibt kritisch festzustellen, wie wenig die bewusste Mitgestaltung der digitalen Gesellschaft in unseren Kirchen etabliert ist", gab er zu und stellte der EKD zwei Hausaufgaben, nämlich "religiöse Sprachfähigkeiten und Kompetenz für das Digitale" zu entwickeln. Bei all dem gilt für den "digital immigrant" Klahr: "Als Evangelische Kirche vertrauen wir auf das Mitsein unseres Gottes."