Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft

Foto: Jens Schulze
Ein großes Thema auf der Synode: Wie geht die Evangelische Kirche mit dem digitalen Wandel in der Gesellschaft um?
Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft
Die Synode der EKD hat auf ihrer Tagung in Dresden die Kundgebung "Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft" beschlossen. Nach intensiven Beratungen im Vorfeld im Netz, in zehn Foren auf der Synode und im Synodenplenum ist dies die Fassung, die von der Synode diskutiert und mit großer Mehrheit angenommen wurde. Evangelisch.de dokumentiert den Wortlaut.
11.11.2014
evangelisch.de

Wahrnehmungen und Folgerungen

1. Als evangelische Kirche gestalten wir den digitalen Wandel mit und vertrauen auch in der digitalen Gesellschaft auf Gottes Begleitung.

2. Der digitale Wandel bringt epochale Veränderungen mit sich, die Auswirkungen auf kirchliche Kommunikation haben.

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3. Kirche hat sich immer der jeweils neuesten Medien in der Verkündigung und in der Kommunikation bedient. Dies tut die evangelische Kirche weiterhin.

4. Das Internet erweitert Chancen für die Kommunikation des Evangeliums. Es eröffnet der evangelischen Kirche neue Räume zum Hören, Erzählen und Lernen, zu gemeinschaftlichem Feiern und für Hilfe zum Leben.

5. Die evangelische Kirche muss sich verändern und weiten, damit Gemeinschaft auch in virtuellen Räumen gelebt werden kann.

6. Die evangelische Kirche bringt ihr christliches Menschenbild in den Diskurs über Privatheit und Öffentlichkeit ein.

7. Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Daten und digitalen Spuren. Der Datensammlung und -auswertung müssen Grenzen gesetzt werden.

8. Die evangelische Kirche nimmt den Bildungsauftrag der Reformation auch im Bereich der digitalen Bildung wahr.

9. Die evangelische Kirche unterstützt authentische Zeugnisse des Glaubens in der digitalen Gesellschaft.

10. Die Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft erfordert konkretes kirchliches Handeln.

Der digitale Wandel verändert unseren Alltag, unser Leben, unser Christsein. Als evangelische Kirche sind wir Teil dieses Umbruchs. Wir sind überzeugt, dass wir in christlicher Freiheit diese Entwicklung selbstbestimmt gestalten können und ihr nicht ausgeliefert sind. Eine Ethik des Digitalen hat für uns dabei das Wohl des Menschen und eine freie und gerechte Gesellschaft zum Maßstab. Die neuen Möglichkeiten wollen wir für die Kommunikation des Evangeliums nutzen.

1. Als evangelische Kirche gestalten wir den digitalen Wandel mit und vertrauen auch in der digitalen Gesellschaft auf Gottes Begleitung

Wir wissen nicht genau, was der digitale Wandel bewirken wird. Als evangelische Kirche sehen wir die Notwendigkeit, die Digitalisierung in ihrer Vielfalt und in ihren Ambivalenzen besser zu verstehen, um daraus Konsequenzen für die Kommunikation des Evangeliums zu ziehen.

2. Der digitale Wandel bringt epochale Veränderungen mit sich, die Auswirkungen auf kirchliche Kommunikation haben. 

Wie schon die Entwicklung der Schrift und die Erfindung des Buchdrucks macht die Digitalisierung Kommunikation unabhängiger von Raum und Zeit. Die damit verbundene Erweiterung von kommunikativer Reichweite und Verfügbarkeit führt zu einer bisher unbekannten Fülle an Informationen. Die Prozesse zur Auswahl, Gewichtung und Aufbereitung von Informationen haben sich verändert.
 
Die Vervielfachung der Informationen erhöht die Anforderungen an die Fähigkeit der Nutzerinnen und Nutzer. Sie sind zugleich Empfangende und Sendende. Als Empfangende müssen sie aus der Fülle an Informationen das Wichtige und das Richtige selbst herausfiltern. Als Sendende bietet sich ihnen die Chance, viele Menschen zu erreichen; sie müssen jedoch Rückmeldungen ernst- und aufnehmen und überhaupt erst wahrgenommen werden.

Die kirchliche Praxis stellt sich diesen epochalen Veränderungen in der Kommunikation auf allen Ebenen.

3. Kirche hat sich immer der jeweils neuesten Medien in der Verkündigung und in der Kommunikation bedient. Dies tut die evangelische Kirche weiterhin.

Die Kommunikation des Evangeliums vollzieht sich stets in medialer Gestalt, zum Beispiel durch Wort, Bild, Ton oder eine Geste. Sie erfolgt heute im persönlichen Kontakt oder elektronisch gestützt. Und sie vollzieht sich stets durch eine kulturelle Praxis, die heute vielfältige Formate einschließt, mit denen Menschen und Organisationen digital kommunizieren.

Die Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft erfordert sowohl technisches Know-how als auch die Bereitschaft, die eigene Kommunikationskultur zu reflektieren und sie den Erfordernissen mediatisierter Lebenswelten anzupassen.

In der digitalen Gesellschaft mit ihrem verstärkten Bedürfnis nach Visualisierung kann die evangelische Kirche an die biblisch und kirchenhistorisch bilderreiche Sprache des Christentums anknüpfen. Digitale Medien können Text mit Bild und Ton verbinden. Die verstärkte Entwicklung von einer schrift- zu einer bildgeprägten Kommunikationskultur wird im Netz neu belebt. Die Bedeutung unterhaltender Formate hat zugenommen.

Die digitale Wahrnehmung des Evangeliums wird in Zukunft von der Fähigkeit abhängen, bild- und tongeprägter zu kommunizieren.

4. Das Internet erweitert Chancen für die Kommunikation des Evangeliums. Es eröffnet der evangelischen Kirche neue Räume zum Hören, Erzählen und Lernen, zu gemeinschaftlichem Feiern und für Hilfe zum Leben.

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Die Möglichkeiten des Internets für die Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens und für die Kommunikation des Evangeliums entsprechen dem Selbstverständnis von Kirche als Koinonia, einer Gemeinschaft durch Teilhabe. Die Reformation hat dem Priestertum aller Getauften und dem partizipativen Charakter des Evangeliums besonderen Ausdruck verliehen. Heute bietet das Kommunikationsmodell des Netzwerkes hierfür eine neue Realisierungsmöglichkeit.

Die Digitalisierung hat neue Räume geschaffen, in denen Menschen zusammenkommen, um miteinander medial zu kommunizieren. Für die evangelische Kirche ist es unabdingbar, in der digitalen Gesellschaft aktiv, präsent, erkennbar und ansprechbar zu sein. Dazu lässt sie sich auf deren Kommunikationsregeln ein und gestaltet diese kritisch mit.

Digitale Netzwerke bieten die Chance, weltweite Beziehungen intensiver zu gestalten und über soziale und physische Barrieren hinweg in Verbindung zu bleiben. Sie eröffnen Möglichkeiten, das Evangelium von Jesus Christus gemäß dem missionarischen Auftrag der Kirche zu kommunizieren. Als evangelische Kirche kommunizieren wir in vertrauensvoller, verständlicher und in einladender Weise.

5. Die Evangelische Kirche muss sich verändern und weiten, damit Gemeinschaft auch in virtuellen Räumen gelebt werden kann.

Die Digitalisierung der Gesellschaft führt dazu, dass durch digitale Räume neue Formen von Gemeinde entstehen. Nicht physische Nähe, sondern Kommunikation ist für sie wesentlich. Die evangelische Kirche respektiert und fördert diese neuen Gestalten von Gemeinde.

Der Auftrag der Kirche, das Evangelium zu kommunizieren, gilt auch in digitalen Räumen. Auch hier muss die evangelische Kirche – in Konkurrenz zu zahllosen anderen Botschaften – das Evangelium zu Gehör bringen. Die evangelische Kirche erkennt die Notwendigkeit, angemessen in der digitalen Welt zu kommunizieren. Sie wird die Mittel bereitstellen, die für eine entsprechende Ausbildung von Kompetenzen erforderlich sind.

6. Die evangelische Kirche bringt ihr christliches Menschenbild in den Diskurs über Privatheit und Öffentlichkeit ein.

Die Inhalte und Formen digitaler Kommunikation erscheinen radikal auf die Person zentriert. Nutzerinnen und Nutzer produzieren, unmittelbar verknüpft mit ihrer je eigenen Lebensrealität, Inhalte und Formen selbst. In diesem Sinne bietet digitale Kommunikation große Potentiale für die Verwirklichung menschlicher Freiheit und die Entfaltung der Persönlichkeit und verändert dabei zugleich die Konzepte von Privatheit und Öffentlichkeit.

Wir müssen uns als evangelische Kirche verstärkt in den medienethischen Diskurs einbringen, der neben den technischen auch die rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen beschreibt, um Privatheit und Öffentlichkeit in ein Freiheit förderndes Verhältnis zu setzen, dass dem christlichen Verständnis der Würde des Menschen und seiner Verantwortung im Zeichen von Schuld und Vergebung entspricht.

Mit dieser Aufgabe stellen sich folgende Fragen: Wie können digitale Kommunikationsräume gestaltet werden, in denen Begegnungen als Ausdruck gegenseitiger Wertschätzung und Anerkennung erlebt werden? Wie kann darin die Privatheit als Ausdruck der Würde jedes einzelnen Menschen respektiert werden? Wie können heilsame Formen des Erinnerns entwickelt werden, die Menschen nicht auf das digitale Gedächtnis festlegen, sondern menschliche Freiheit erhalten, indem sie Vergebung und Neuanfang ermöglichen?

7. Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Daten und digitalen Spuren. Der Datensammlung und -auswertung müssen Grenzen gesetzt werden.

Teilhabe in der digitalen Gesellschaft berührt grundsätzlich Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit. Für die evangelische Kirche stehen dabei der Mensch, seine Freiheit, Autonomie und Schutzbedürftigkeit im Mittelpunkt.

Durch die Digitalisierung aller Lebensbereiche entstehen bei privaten und staatlichen Akteuren derart große Mengen an Daten, dass durch neue Sammel- und Auswertungsverfahren eine Überwachung, Manipulation, Diskriminierung und Ausbeutung von Menschen möglich ist. Der Mensch droht auf die über ihn verfügbaren Daten reduziert zu werden. Als evangelische Kirche erinnern wir an das bleibende Geheimnis, das dem Menschen als Geschöpf Gottes zukommt.

Die aktuellen Diskussionen über die Kommerzialisierung sämtlicher Lebensvollzüge, die Macht von Unternehmen und die unzureichende demokratische Kontrolle machen ebenso wie die Enthüllungen zur Überwachungspraxis von Staaten deutlich, dass das Internet kein herrschaftsfreier Raum ist.

Wir verpflichten uns, unter den aktuellen Gegebenheiten massenhafter Abhörung und Auswertung von digitaler Kommunikation auch die kirchlichen Seelsorgeangebote kritisch zu prüfen: Wie können wir Seelsorge- und Beichtgeheimnis schützen?

Wir erinnern den Staat an seine Verpflichtung, die Grundrechte seiner Bürgerinnen und Bürger zu sichern. Angesichts des fortwährenden Verstoßes gegen die Grundrechte im Bereich digitaler Daten fordern wir die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union auf, für eine digitale Infrastruktur zu sorgen, die nicht nur technisch, sondern auch grundrechtssichernd funktioniert.

8. Die evangelische Kirche nimmt den Bildungsauftrag der Reformation auch im Bereich der digitalen Bildung wahr.

Die mit der Digitalisierung verbundenen Hoffnungen auf eine egalitäre Kommunikation erfüllen sich nicht von selbst. In der digitalen Gesellschaft gilt, dass Bildung und insbesondere Medien- und Digitalkompetenzen den Zugang und die Nutzungsmöglichkeiten des Internets bestimmen. Medienethische Bildung und Wissen über Wirkung und Wirkweisen von Bildern und Texten helfen Menschen, positive und negative Folgen der eigenen Kommunikation wahrzunehmen und zu gestalten. Ein besseres Verständnis von Digitalisierung, Daten und Netzwerken liefert Grundlagen für Freiheit und Teilhabe.

Die evangelische Kirche hat die Aufgabe, digitale Bildungsprozesse aus christlicher Perspektive neu zu denken. Evangelische Kirche tritt grundsätzlich dafür ein, dass Teilhabe für alle möglich wird, unabhängig von Alter, Herkunft, Wohnort und Einkommen.

9. Die evangelische Kirche unterstützt authentische Zeugnisse des Glaubens in der digitalen Gesellschaft.

Digitale Räume und Netze sind für immer mehr Menschen aller Generationen fester Bestandteil ihrer Welt. Christinnen und Christen sind zuhause in digitalen Räumen und Netzen und geben dort ihr christliches Zeugnis.

Die mit den digitalen Medien verbundene interaktive, partizipative und rezeptionsorientierte Kommunikation beinhaltet erhebliche Umstellungen für die kirchliche Kommunikation. Einen entscheidenden Beitrag zur notwendigen Veränderung der kirchlichen Kommunikationskultur sehen wir darin, zu kommunikativer Verantwortung zu befähigen. 

Wir begrüßen die freie Verfügbarkeit von Inhalten, weil und soweit sie der Teilhabe aller Menschen an geistigen Inhalten und dem ungehinderten öffentlichen Ideenaustausch dient. Zugleich bedarf es Regelungen, die sich einer Verfälschung der Inhalte entgegenhalten lassen, die Urheber vor immaterieller wie materieller Ausbeutung schützen und die wirtschaftlichen Bedingungen der geistigen Produktion erhalten.

Von diesem Spannungsverhältnis ist auch die Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft berührt: Die Verbreitung des Bibeltextes unterliegt ökonomischen Bedingungen. Entscheidend bleibt aber, die Bibel aller Welt frei zugänglich zu machen und zu erhalten. Das gehört zum Auftrag der Kirche und aller Christen.

10. Die Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft erfordert konkretes kirchliches Handeln.

  • Der Rat und die Kirchenkonferenz der EKD werden gebeten, Digitalkompetenz von beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitenden sowie evangelischen Religionslehrkräften zu fördern und weiter zu entwickeln.
  • Der Rat der EKD wird gebeten, die aufgeworfenen theologischen Fragen zu bearbeiten und die EKD in die Lage zu versetzen, sich in medienethischen Diskursen stärker als bisher einzubringen.
  • Der Rat der EKD wird gebeten, innerkirchliche und externe Expertinnen und Experten, bestehende Projekte, Initiativen und Institutionen in Bezug auf die digitale Gesellschaft ins Gespräch zu bringen und miteinander zu vernetzen.
  • Der Rat der EKD wird gebeten, sich dafür einzusetzen, dass das Seelsorge- und Beichtgeheimnis auch in der digitalen Welt geschützt wird.
  • Die Gliedkirchen werden gebeten, sich für die Verankerung von Digitalkompetenz in den Bildungsplänen einzusetzen.
  • Die Träger kirchlicher und diakonischer Arbeit werden gebeten, die inklusiven Chancen der Digitalisierung stärker für die Menschen zu erschließen.
  • Das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) wird gebeten, im Onlineportal evangelisch.de glaubensrelevante und ansprechende Online-Angebote zu vernetzen, zur Kommunikation des Evangeliums einzuladen, Menschen gezielt anzusprechen und dafür in den Ortsgemeinden zu werben.
  • Der Rat der EKD wird gebeten, sich bei der Bundesregierung für den Netzausbau und für Zugangsgerechtigkeit einzusetzen

Dresden, den 12. November 2014

Die Präses der Synode
der Evangelischen Kirche in Deutschland

Dr. Irmgard Schwaetzer


Die Veröffentlichung der Beschlüsse erfolgt unter dem Vorbehalt der endgültigen Ausfertigung durch die Präses der Synode!