Mit Mentorin geht alles ein bisschen leichter

Socius-Projekt Frankfurt
Foto: Sarika Feriduni
Monika Hoffmann unterstützt Saron Elias und ihren kleinen Sohn im Alltag.
Mit Mentorin geht alles ein bisschen leichter
Im Projekt "Socius" bildet die evangelische Kirche in Frankfurt Ehrenamtliche zu Mentoren für Flüchtlinge und Migranten aus. Sie helfen beim Neustart in Deutschland – egal, ob es um die Sprache, Behördengänge oder einfache Alltagsdinge geht. Die 20-jährige Saron Elias aus Eritrea hat "das Schlimmste jetzt geschafft", wie ihre Mentorin Monika Hoffmann sagt.

"Ich helf' dir mal", sagt Monika Hoffmann und hebt den kleinen Joel (zwei Monate) aus seinem Kinderwagen. Die beiden Decken, in die der Junge eingewickelt ist, sollen nicht herunterfallen, denn es ist kalt an diesem sonnigen Novembertag in Frankfurt am Main. Joel guckt mit großen braunen Augen unter seiner Mütze hervor. Behutsam legt Monika Hoffmann das Baby in die Arme der jungen Mutter, Saron Elias. Sie lächelt – stolz auf ihr Baby und dankbar für die Hilfe.

Saron Elias mit ihrem Sohn Joel.

Saron Elias ist 20 Jahre alt, eine hübsche Frau mit langen schwarzen Locken und Nasenpiercing, sie stammt aus Eritrea. Es war ein schwieriger Weg aus ihrem Heimatdorf bis hierhin, in eine Wohnung im Frankfurter Stadtteil Schwanheim, wo sie jetzt mit ihrem kleinen Sohn wohnt. Ohne Hilfe hätte sie manches wohl nicht geschafft – ohne das Projekt Socius und ihre Mentorin Monika Hoffmann.

Mit gerade einmal 15 Jahren hat die junge Frau den Entschluss gefasst, Eritrea zu verlassen, "einfach erstmal weg, egal wohin". Ein Grund war, dass sie nach der siebten Klasse nicht mehr zur Schule gehen konnte, denn es fuhr kein Bus dorthin, erzählt sie. Zu Fuß schaffte sie den Weg nicht, denn Saron Elias leidet unter den Folgen von Polio. Umso größer war ihre Angst vor dem Militärdienst, zu dem in der Diktatur in dem ostafrikanischen Land alle Jugendlichen eingezogen werden. Die jungen Soldatinnen und Soldaten müssen häufig Zwangsarbeit leisten, und ihr schlecht bezahlter Dienst kann auf unbestimmte Zeit verlängert werden, berichtet auch Amnesty International. Die Zukunft erschien Saron Elias so düster in ihrer Heimat, dass sie keine andere Möglichkeit sah, als die Mutter und die Geschwister schweren Herzens zu verlassen.

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Sie floh per Bus in den Sudan, bekam dort von ihrer Tante Geld für ein Flugticket und landete in Frankfurt am Main. Als Minderjährige mit Behinderung wurde sie nicht abgeschoben, sondern in ein Kinderheim gebracht, wo sie eine Zeitlang leben und den Hauptschulabschluss machen konnte. Doch mit dem 18. Geburtstag endete die Unterstützung abrupt – Saron Elias musste allein zurecht kommen. "Ich war so fertig, das war so schwer", erinnert sie sich, "ich hab mich so allein gefühlt!" Sie wandte sich an die evangelische Sozialberatung für Migranten und Flüchtlinge in Höchst. Dort erkannte man: Ein Fall für Socius.

"Es geht um die Menschen und nicht um die Religion"

In dem Projekt des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt am Main lassen sich Ehrenamtliche zu Mentorinnen und Mentoren für Migranten ausbilden. In Abend- und Wochenendseminaren haben bisher 67 Menschen gelernt, wie die rechtliche Lage von Flüchtlingen ist, welche Angebote es für sie gibt, wie man gut kommunizieren, beraten und unterstützen kann – und denken auch darüber nach, was das alles für einen selbst bedeutet.

Monika Hoffmann ist ehrenamtliche Mentorin.

"Das isses!", wusste Monika Hoffmann sofort, als ihr ein Flyer von Socius in die Hände fiel. Über Menschen, die "einfach so abwertende Äußerungen von sich geben, entweder aus Unwissenheit oder wegen ihrer Vorurteile", regt sie sich richtig auf. Monika Hoffmann hat ein Herz für Flüchtlinge, hört sich gern ihre Erlebnisse an und weiß, dass viele traumatisiert sind. "Die Politik macht zu wenig", findet sie. "Es ist gut, dass die Kirche was tut, gerade die evangelische Kirche engagiert sich sehr." Trotzdem war sie erleichtert, als man sie bei der Bewerbung für Socius nicht nach ihrer Konfession fragte. Denn Glaube ist nicht ihre Motivation. "Es geht um die Menschen und nicht um die Religion", sagt Monika Hoffmann voller Überzeugung.

Am ersten Weihnachtstag 2013 verabredeten sich die beiden Frauen in einem Restaurant. Zunächst ging es darum, Vertrauen aufzubauen. Saron Elias gibt zu, dass das für sie eine schwierige Übung war: "Ich rede nicht so einfach mit jedem über meine Probleme", sagt sie. "Ich kann die Menschen nicht so gut einschätzen." Doch offensichtlich hat Monika Hoffmann es geschafft, das Vertrauen der ernsten jungen Frau zu gewinnen.

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Anfangs trafen sie sich bis zu drei Mal pro Woche, regelten gemeinsam Dinge wie Strom und Gas für die Wohnung in Schwanheim, gingen zum Jobcenter. "Wenn man mit Migranten oder Flüchtlingen zu Behörden geht, werden sie ganz anders wahrgenommen", ist die Erfahrung von Monika Hoffmann, "sie haben eine Stimme dabei, und dann geht es ein bisschen leichter." Saron Elias nickt zustimmend. Nach und nach versucht sie jetzt, Behörden-Briefe selber zu verstehen und Fragen alleine zu beantworten.

Dann wurde Saron Elias schwanger, und mit Joel ist nun wieder alles anders. Ihre eigene Mutter ist weit weg, ab und zu telefonieren sie. "Ich weiß nicht, wann ich meine Mutter wiedersehe", sagt die junge Frau traurig. Stattdessen hilft ihr Monika Hoffmann, deren eigene Kinder längst erwachsen sind. Krankenhaustermine, Babysachen besorgen, Kontakt zu anderen Müttern in Schwanheim aufbauen – bisher hat alles geklappt und dem kleinen Joel geht es gut. Einmal rief Saron Elias ihre Mentorin notfallmäßig an: Das Baby hörte nicht auf zu schreien. "Gib ihm Tee und streichle den Bauch", riet die erfahrene Mutter – und es half.

Ein ansteckendes Ehrenamt

Neben all dem üben die beiden beständig Deutsch – und wie man Gemüse kocht. Da muss Saron Elias lachen. Es gibt für sie eine Zeit vor und nach dem Auftauchen von Monika Hoffmann: "Danach ist dieses Leben normal geworden", sagt sie. Als nächstes, wenn Joel etwas größer ist, will Saron Elias eine Ausbildung machen.

"Für mich ist es schön zu sehen, dass es funktioniert", sagt die Mentorin, die vorher schon eine andere Migrantin mit Kindern betreut hat und sicher auch nach Saron Elias wieder einen oder eine Mentee übernehmen wird. "Die Menschen gewinnen an Selbstsicherheit, können sich dann hier alleine zurechtfinden und leben ihren Alltag."

Mittlerweile sind auch Monika Hoffmanns Söhne neugierig geworden – dieses besondere Ehrenamt scheint ansteckend zu sein: Der Jüngste will sich jetzt selbst zum Mentor ausbilden lassen, das geht ab März 2015. Ein älterer Sohn ist Lehrer und hat Saron Elias eingeladen, den Schülern von ihrem Dorf in Eritrea zu erzählen – und von ihrer Flucht. "Saron hat das Schlimmste jetzt geschafft", sagt Monika Hoffmann. Dann schieben die beiden Frauen den Kinderwagen Richtung Schwanheim Zentrum, Handschuhe für den kleinen Joel kaufen.