Kirchenhistoriker: Ukraine-Krise ließ Kirchen zusammenrücken

Kirchenhistoriker: Ukraine-Krise ließ Kirchen zusammenrücken
Die traditionell zerstrittenen christlichen Konfessionen der Ukraine sind nach Einschätzung des Kirchenhistorikers Oleh Turij in der andauernden Krise des Landes näher zusammengerückt.
06.12.2014
epd
Karsten Packeiser

Schon zu Beginn der Proteste auf dem Kiewer Maidan-Platz hätten die Kirchen in gemeinsamen Erklärungen versucht, eine gewaltsame Eskalation zu vermeiden, sagte der Prorektor der Ukrainischen Katholischen Universität aus Lemberg (Lwiw) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch die mit Moskau verbundene ukrainisch-orthodoxe Kirche bekenne sich klar zur Einheit und Unabhängigkeit des Landes. Kein einziger ihrer Bischöfe unterstütze die "russische Aggression" gegen sein Land.

In den mit Moskau verbundenen Gemeinden nehmen Turijs Angaben zufolge interne Konflikte zu. In Russland spiele die Mutterkirche inzwischen die Rolle "einer ideologischen Stütze" der Staatsführung. Daher habe er auch Verständnis dafür, dass die ukrainische Regierung Einreiseverbote gegen russische Kirchenvertreter verhängt habe: "Wir müssen verstehen, jetzt läuft ein Krieg, und wir haben diesen Krieg nicht begonnen."

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Die oft als Beleg für die Spaltung des Landes gewertete konfessionelle Vielfalt in der Ukraine dürfe nicht nur als Nachteil oder Problem gesehen werden, sagte Turij, der an einem Graduiertenkolleg des Mainzer Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte teilgenommen hatte. Initiativen der Kiewer Regierungen, nach der Unabhängigkeit eine einheitliche Nationalkirche zu etablieren, hätten kaum Aussicht auf Erfolg: "Der Versuch, etwas mit Druck zu schaffen, bringt nur weitere Spaltungen." Turijs zu Sowjetzeiten verbotene griechisch-katholische Kirche bemühe sich seit Jahren darum, den stark politisierten Dialog zwischen den Kirchen stärker an theologischen Fragen und den Bedürfnissen der Gläubigen an der Basis auszurichten.

Die griechisch-katholische Kirche in der Westukraine erkennt den Papst in Rom als Oberhaupt an, folgt in Tradition und Gottesdienstritus aber den anderen orthodoxen Kirchen. Daher dürfen ihre Priester auch heiraten. "Die Frage des Zölibats der lateinischen Kirche ist keine Glaubensfrage", sagte Turij. Er warnte zugleich aber davor, in der Abschaffung des Zölibats ein Allheilmittel für die Nöte der Kirche zu sehen. Auch eine Debatte über die Priesterweihe für Frauen gebe es in der griechisch-katholischen Kirche nicht. "Wir werden glücklich sein, wenn die Frauenordination einmal auf unserer Liste das dringendste Problem darstellt."

Die griechisch-katholische Kirche der Ukraine hat ihre Mitglieder vor allem im ehemals polnischen Galizien. Die zahlenmäßig größte Gruppe der Christen im Land gehört bislang noch zur weiterhin mit Moskau verbundenen ukrainisch-orthodoxen Kirche, die eine gewisse Autonomie von der Mutterkirche genießt.  Nach dem Zerfall der Sowjetunion war in der Ukraine zudem ein Kiewer Patriarchat entstanden, das aber noch nicht von der orthodoxen Kirchengemeinschaft anerkannt wird. Außerdem gibt es eine weitere, kleinere selbstständige orthodoxe Kirche, Katholiken und verhältnismäßig viele Anhänger protestantischer Freikirchen im Land.