Goldene Kuppeln für eine deutsch-russische Liebe

Foto: epe-bild/Andrea Enderlein
Die russisch-orthodoxe Kirche der heiligen Elisabeth auf dem Neroberg in Wiesbaden.
Goldene Kuppeln für eine deutsch-russische Liebe
Die russisch-orthodoxe Kirche auf dem Neroberg erinnert an eine Zeit, als Europa nicht in Ost und West aufgespalten war - und an das tragische Ende einer großen Liebe. Nun ist sie 160 Jahre alt.
17.02.2015
epd
Karsten Packeiser

Am nördlichen Stadtrand von Wiesbaden ist die russische Kirche kaum zu übersehen: Fünf Sandsteintürme mit vergoldeten Zwiebelkuppeln und blitzenden goldenen Kreuzen ragen oben am Berg über die Bäume hinaus. Um Punkt zehn Uhr morgens schließt Priester Alexander Zaitsev das Portal auf, stellt die großen Hinweisschilder mit den Benimmregeln vor die Tür und lässt die ersten Touristen herein.

Vater Alexander trägt eine schwarze Soutane und den für orthodoxe Geistliche so typischen, etwas wilden grauen Vollbart. Über zu wenig Arbeit kann er nicht klagen: Rund 20 Trauungen und bis zu 150 Taufen feiert Zaitsev pro Jahr in seiner Kirche. Orthodoxe Hochzeitspaare und junge Eltern aus der ganzen Bundesrepublik und gelegentlich sogar aus den Nachbarländern melden sich bei ihm: "Manche kommen 500 oder 800 Kilometer weit angefahren", berichtet er.

Dem Bau der Kirche ging ein Drama voran

Vor 160 Jahren wurde die Kirche fertiggestellt, es war der erste russisch-orthodoxe Sakralbau außerhalb des Zarenreiches. Eine beeindruckende Ikonenwand beherrscht den Innenraum, graue Marmorsäulen streben zur zentralen, mit reichen Ornamenten und Malereien verzierten Kuppel hoch.

Russisch-orthodoxe Kirchen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stehen noch an vielen Orten in Deutschland: In Bad Ems oder Baden-Baden, wohin einst reiche Moskauer und Petersburger Aristokraten zur Kur kamen, in Leipzig zum Gedenken an die Opfer der Völkerschlacht oder auf der Mathildenhöhe in Darmstadt in der Heimatstadt von Russlands letzter Zarin Alexandra Fjodorowna.

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Die Wiesbadener Kirche auf dem Neroberg aber ist nach Meinung vieler die schönste und harmonischste von allen.

Anlass für den Bau war allerdings ein Drama, das schon Zeitgenossen tief berührte: Im Januar 1845 starb die junge nassauische Herzogin Elisabeth bei der Geburt ihrer ersten Tochter, auch das Kind überlebte nicht. Elisabeth war nicht irgendjemand, sondern eine Großfürstin aus dem Hause Romanow. Ihr Onkel Nikolaus I. herrschte als Kaiser von Russland über ein Reich, das sich von der Ostsee bis nach Alaska erstreckte. Herzog Adolph von Nassau hatte beim Zaren persönlich um Elisabeths Hand angehalten.

Vorbild Moskau

Obwohl damals keineswegs selbstverständlich unter den Aristokraten Europas, handelte es sich bei der Verbindung wohl tatsächlich um eine Liebesheirat. Der Zar erlaubte die Vermählung seiner Nichte mit dem Protestanten vom Rhein, und als das Herzogspaar nach der protzig-prunkvollen Hochzeit in St. Petersburg im Frühjahr 1844 in Wiesbaden eintraf, bereiteten Honoratioren und Volk den beiden einen glanzvollen Empfang. Die russische Großfürstin eröffnete wohltätige Stiftungen in der Stadt und eroberte schnell die Herzen der Wiesbadener. Das dramatische Ende seiner kurzen Ehe nicht einmal ein Jahr nach der Hochzeit stürzte Adolph in eine tiefe Depression.

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Mit der Mitgift des Zarenhofes in Höhe von einer Million Silberrubel wollte der Nassauer seiner Elisabeth eine standesgemäße Grabeskirche errichten. Zwei erste Entwürfe wurden von orthodoxen Kirchenoberen verworfen, weil sie gegen den kirchlichen Kanon verstießen. Dann brach der nassauische Baumeister Philipp Hoffmann eigens zu einer Reise ins Zarenreich auf, um sich mit dem russischen Kirchenbau bekanntzumachen.

Im modernen, durch und durch europäischen Sankt Petersburg fand der Deutsche, der zuvor schon am Bau des Wiesbadener Stadtschlosses mitgewirkt hatte, allerdings keine Anschauungsobjekte. "Hoffmann wollte weiter zum Ursprung, zu den Quellen der russisch-orthodoxen Architektur", sagt der Architekturgeschichts-Experte Siegbert Sattler. In Moskau wurde Hoffmann fündig und kam mit etlichen Skizzen und Ideen für den Neroberg zurück nach Wiesbaden.

Dostojewski pumpte Kirche um Geld an

Nach sechs Jahren Bauzeit war die Kirche im Jahr 1855 fertig. Geweiht wurde sie der biblischen Elisabeth, der Mutter von Johannes dem Täufer. Herzog Adolph ließ mit einem Fackelzug die sterblichen Überreste seiner Frau und der verstorbenen Tochter in die Krypta der neuen orthodoxen Kirche überführen.

Die Wiesbadener selbst fanden schnell Gefallen an dem exotischen Gotteshaus. Millionäre richteten ihre Villen nicht mehr an der Sonne aus, sondern an der Blickachse zur Kirche.

Eine ständige orthodoxe Gemeinde gab es im 19. Jahrhundert in Wiesbaden aber noch nicht. Die Priester der Stadt betreuten Kurgäste, nahmen den kranken russischen Adeligen die Beichte ab und halfen ihren Landsleuten in schwierigen Lebenslagen. Von Fjodor Dostojewski (1821-1881) ist beispielsweise überliefert, dass er die orthodoxe Kirche um Geld anpumpte, nachdem die Besuche in der Spielbank den Literaten in den Ruin getrieben hatten.

Heute zählen 250 bis 300 Mitglieder zur Wiesbadener orthodoxen Gemeinde. Nachfahren der alten russischen Aristokratie gibt es kaum noch: Die meisten Gläubigen sind in den Jahren nach dem Zerfall der Sowjetunion nach Deutschland gekommen.