Rituale: Symbolhandlungen geben Sicherheit

epd-bild/Jens Schulze
Gleich zwei religiöse Rituale in einem Gottesdienst: Die Konfirmanden haben gerade ein Übergangsritual hinter sich dun feiern nun ein Gemeinschaftsritual - das Abendmahl.
Rituale: Symbolhandlungen geben Sicherheit
Alltagsrituale geben Sicherheit und Orientierung. Entstanden sind Rituale aus den Religionen: In den Sakramenten und Kasualien der Kirchen bestehen sie fort, zum Beispiel in der Konfirmation als Übergangsritual.

Rituale finden nicht nur im Gottesdienst statt. Im Grunde ist unser ganzes Leben von Ritualen durchzogen. Oft merken wir das aber nicht einmal, denn meist finden diese unbewusst statt. Es sind schon Kleinigkeiten, der morgendliche Kaffee, die Kerze oder Zeitungslektüre. Wenn sie etwa aus Terminnot wegfallen, bleibt oft ein Unwohlsein für den Rest des Tages. Rituale leben von der Wiederholung, von der Gewissheit, dass sie heute so ablaufen wie gestern und auch wieder morgen. Damit geben Rituale Sicherheit. Rituale müssen verständlich sein, zumindest in der Gruppe, der Familie, der Kommunität, in der sie geübt werden. Rituale vermitteln das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Sie stiften damit Identität.

Rituale haben deshalb einen solch hohen Stellenwert, weil sie ursprünglich eine kultische Bedeutung hatten. "Ein Ritual ist ein religiöser Akt zwecks Opferbringung, Dankgebeten, Kontaktaufnahme zu Göttern und Geistern. Wir sagen, ich mache ein Ritual. Früher war es umgekehrt. Das Ritual war vorgegeben, der Mensch vollzog es", weiß Gabriele Lademann-Priemer, bis Ende letzten Jahres Weltanschauungsbeauftragte der nordelbischen Kirche in Hamburg.

Früher Blutopfer - heute kirchliche Rituale

Götter fordern Opfer, damit sie den Menschen Schutz gewähren. In archaischen Zeiten waren das durchaus noch Blutopfer, Tier- ja sogar Menschenopfer. Das erste und gleichzeitig letzte Blutopfer der Christenheit wurde im Sühnetod Jesu Christi vollzogen, stellvertretend für uns alle. Im Gedächtnis daran feiert die christliche Gemeinde bis heute Gottesdienst, hält im Abendmahl Gemeinschaft mit ihrem Herrn. Wenn Christen heute opfern, dann ist es ein Lobopfer in Gebet und Gesang. Alltags-Rituale sind im Grunde ein Opfer von Zeit. Man knappst Minuten bis Stunden dafür ab, einen Sonderraum der Besinnung und der Selbstvergewisserung zu schaffen. Heutigen modernen Menschen ist die Wichtigkeit ihrer täglichen Gewohnheiten kaum mehr bewusst.

Kein Mensch, ob nun gläubig oder ungläubig, könnte aber ohne Rituale auskommen, ist sich der Psychologe Michael Utsch, Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, sicher. Rituale leben von Symbolen. Viele Erwachsene haben etwa noch heute ihren Teddy aus der Kindheit, die erste Kuscheldecke, Objekte mit Symbolcharakter. Jedes Ritual arbeitet mit solchen Objekten, und jeder Mensch hat ganz eigene Symbol-Objekte, die nur für ihn einen ganz persönlichen Stellenwert besitzen.
"Wenn meine Mutter, mein Vater wesentliche Personen waren, tauchen Bilder der Geborgenheit auf, etwa die Kuscheldecke. In der Phase des Erwachsenwerdens werden sie zu Sicherheit vermittelnden Übergangsobjekten", erklärt Utsch.

Die kirchlichen Kasualien sind Symbolhandlungen. Seit 2000 Jahren versammeln sich Christen um den Tisch des Herrn. Psychologisch gesprochen: Was für einzelne das Kuscheltier als Sicherheit gebendes Übergangsobjekt bis in das Erwachsenenalter darstellt, ist für die Glaubensgemeinschaft das verbindende Ritual des Abendmahles.
Manche Rituale verdichten sich zu Zeremonien, die besonderen, feierlichen Anlässen vorbehalten sind. Als kirchliche Rituale können sie in der Regel nicht so einfach von Laien übernommen werden. Die so genannten Übergangsrituale Taufe, Konfirmation, Trauung, Bestattung, werden von Pfarrerinnen und Pfarrern durchgeführt. Sie heißen Übergangsrituale, weil sie einen schwierigen meist emotional berührenden Teil des Lebens begleiten. In der Taufe die Aufnahme in die Gemeinde, in der Konfirmation der Übergang vom Kind zum Erwachsenen, bei der Hochzeit die Verabschiedung der Eheleute aus den Elternhäusern, und vor allem bei der Beerdigung der Weg vom Leben in den Tod.

Ritualdesigner helfen in Situationen, die man alleine nicht bewältigt

Aber die christlichen Rituale sind heutzutage längst nicht mehr jedem geläufig. Mittlerweile ist ein ganzer Markt für so genannte freie Ritualdesigner entstanden, die gegen Bezahlung Zeremonien wie Geburtsfest statt Taufe oder indianische Initiation statt Firmung oder Konfirmation anbieten. Besonders für Ehe- als auch wieder Trennungsrituale werden die Dienste dieser Ritualmeister zunehmend in Anspruch genommen. Christian Ruch ist nicht nur katholischer Theologe, sondern auch freier Ritualdesigner in der Schweiz. In dieser Tätigkeit ist er schon häufig auf individuelle Kundenwünsche eingegangen. Er nennt ein Beispiel etwa bei einem Trennungsritual für ein Paar mit drei halbwüchsigen Kindern:

"Das Ritual findet auf Wunsch der Ehefrau in der Nähe des bisherigen Wohnorts statt. Für den ersten Teil haben alle fünf Beteiligten auf einen Zettel geschrieben, was sie persönlich am meisten belastet und verbittert. Diese Zettel werden nun im ersten Teil mit Gegenständen, Gedanken und Gefühlen in einem Feuer verbrannt, das heißt gereinigt und verwandelt. Schließlich gehen alle jeweils allein zu einem Baum, sie suchen und stützen dort die eigene Erneuerungskraft. Den Schluss bildet ein am Waldrand zubereiteter gemeinsamer Imbiss und ein kräftiger Reisesegen fürs Leben."

Das hört sich einfach an. Aber gerade Menschen in Konflikt- oder Trauersituationen scheitern oft daran, solche Rituale aus eigener Kraft ohne fremde Hilfe von außen durchzuführen. Die persönliche Betroffenheit und emotionale Befangenheit ist in der Regel einfach zu groß und überwältigend. Dann braucht man den Pfarrer oder eben den freien Ritualdesigner, der die Betroffenen mit einem Ritual befreit, so dass sie ins normale Leben zurückfinden.

 

Hörtipp: "Vor dem Essen wird gebetet - Vom Sinn der Rituale, Eine Sendung von Thomas Klatt, rbb-Kulturradio, Donnerstag 17. 05., 9.04-9.30 Uhr