"Geiselnahmen oder Schießereien sind eher die Ausnahme"

Foto: Hendrik Heiden/ZDF
Veronica Ferres als Polizeipfarrerin Lena Fauch. Eher Fiktion als Realität - in Wirklichkeit sind die Seelsorger kaum bei Einsätzen dabei.
"Geiselnahmen oder Schießereien sind eher die Ausnahme"
Polizeiseelsorgerin Hilda Schneider über ihren Alltag, das Fernsehen und die Gratwanderung von Drehbüchern
Polizisten erleben Gewalt und haben bei den Bürgern häufig kein gutes Ansehen. Seelsorger helfen Ihnen, damit umzugehen. Heute zeigt das ZDF die erste Folge der Krimiserie "Lena Fauch", Veronica Ferres spielt die titelgebende Heldin. Ihr echtes Vorbild ist Polizeiseelsorgerin Hilda Schneider - deren Alltag ist aber nicht ganz so spektakulär, sagt sie im Interview mit evangelisch.de.
08.10.2012
evangelisch.de

Frau Schneider, wie sieht ihre Arbeit als Polizeiseelsorgerin aus?

Hilda Schneider: Wir sind so eine Art "Betriebsseelsorge", wir betreiben bisweilen Seelsorge zwischen Tür und Angel. Manchmal fahren wir auf Streife mit, um die Arbeit der Polizisten besser kennenzulernen und um Kontakte zu ihnen zu knüpfen. Außerdem organisieren wir Seminare, Workshops, etwa zum Thema "Überbringen einer Todesnachricht", und bieten Einzelgespräche an. Hin und wieder stehen auch Trauungen, Taufen oder Gottesdienste an, aber viel seltener als im klassischen Gemeindepfarramt.

Hilda Schneider, 57 Jahre alt, arbeitet seit zwölf Jahren als Polizeipfarrerin. Foto: privat

Am Montag Abend läuft die erste Folge von "Lena Fauch", in der Veronica Ferres eine Polizeiseelsorgerin spielt – was halten Sie von der Serie?

Schneider: Ich finde es sehr gut, dass unser Berufsbild in die Öffentlichkeit transportiert wird. Weil viele Menschen sich weder im Klaren darüber sind, was Polizisten Tag für Tag erleben, noch von der Arbeit der Polizeiseelsorge wissen. Dass es die Polizeiseelsorge gibt, damit die Polizisten ihren Dienst gut machen können – wenn das in der Serie transportiert wird, dann gefällt mir das.

Sie haben vor zwölf Jahren mit der Arbeit als Polizeipfarrerin begonnen. War Ihnen damals klar, was Sie erwartet?

Schneider: Nein, ich hatte nur wenig Ahnung, womit sich die Polizisten wirklich beschäftigen müssen. Außer, dass sie Radarkontrollen machen, Und natürlich, dass sie Mörder suchen – was man so aus Krimis kennt. Im Großen und Ganzen ist es das ja tatsächlich. Aber wie sie diese Arbeit dann beschäftigt, das habe ich mir nie so klar gemacht.

"Die Polizisten nehmen mit: 'So schlecht ist der Mensch'"

Was meinen Sie damit?

Schneider: Was Polizisten manchmal für eine Rückmeldung bekommen, wenn sie zum Beispiel Falschparker notieren: "Habt ihr nichts besseres zu tun? Fangt doch die Verbrecher!" – und das ist noch eine milde Reaktion. Bisweilen werden sie angelogen oder angeschrien. Das Menschenbild der Polizisten verändert sich dadurch hin zum Negativen, weil sie permanent mit Menschen zu tun haben, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Und die Polizisten beginnen dann, auch anderen Menschen gegenüber misstrauisch zu werden, zum Beispiel ihrer Familie. Sie erleben viel Schreckliches, viel Leid und nehmen dann mit: "So schlecht ist der Mensch". Aber auch: Wie gefährlich das Leben sein kann, dass man eigentlich alles richtig macht, doch manchmal zur falschen Zeit am falschen Ort ist.

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Wie gehen Sie selber mit dem um, was die Polizisten erleben?

Schneider: Darüber sprechen hilft, das versuche ich auch den Polizisten immer wieder klar zu machen. Einmal im Monat mache ich Supervision mit einem Psychotherapeuten, der auch Theologe ist. Ich selber muss auch aufpassen, dass ich nicht zu misstrauisch werde, genau wie die Polizisten. Mich beeinflusst auch, was ich mitbekomme. Manchmal träume ich auch von Situationen, die mich sehr beschäftigen: Zum Beispiel hat sich vor einiger Zeit eine junge Polizistin das Leben genommen. Der Abschied am Sarg gemeinsam mit ihrem Ehemann hat mich sehr berührt. Oder der Halleneinsturz in Bad Reichenhall vor sechs Jahren – danach war ich mehrere Wochen sehr dünnhäutig. Daneben gibt es aber auch positive Momente: wenn ich merke, dass ich helfen kann, dann macht mich das sehr froh.

"So spektakulär ist mein Beruf nicht"

Wie haben Sie die Dreharbeiten zu "Lena Fauch" unterstützt?

Schneider: Ich habe viele Gespräche geführt: mit dem Autoren, mit dem Regisseur, mit der Hauptdarstellerin Veronica Ferres. Bei dem Dreh war ich hin und wieder aus Interesse dabei. Lustigerweise habe ich dort zufällig Polizisten getroffen, die ich von meiner Arbeit her kenne und die bei den Dreharbeiten als Komparsen dabei waren. Und für Requisiten habe ich gesorgt: ein paar Dinge aus meinem Büro – wie Bücher, Tassen, eine Seelsorge-Fahne – sind in dem Film zu sehen.

Finden Sie, die Serie stellt Ihre Arbeit realistisch dar?

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Schneider: Nein, so spektakulär, wie das ZDF meinen Beruf zeigt, ist er nicht. Aber mit meiner normalen Arbeit locken Sie vermutlich keine Zuschauer. Geiselnahmen, Amokläufe oder Schießereien sind eher die Ausnahme. In der Regel bin ich nicht unmittelbar bei Einsätzen dabei, sondern in der Nachsorge. Oder präventiv in Seminaren, zum Beispiel: "Wie kann man sich vor Traumata schützen?" Unsere Arbeit geschieht also viel mehr im Verborgenen. Das ist natürlich für einen Drehbuchautor oder Regisseur schwer zu händeln – es ist eine Gratwanderung.