"Die Verkünder von Stammtischparolen hätten nicht so leichtes Spiel"

Gegen die Informations-Flut im Medien-Mainstream hilft auch kein Rettungsschirm
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Gegen die Informations-Flut im Medien-Mainstream hilft auch kein Rettungsschirm
"Die Verkünder von Stammtischparolen hätten nicht so leichtes Spiel"
Der kritische Journalist Harald Schumann im Interview zur Rolle der Medien in der Eurokrise
Im Schwerpunkt "Die Eurokrise und wir" beleuchtet evangelisch.de unterschiedliche Ursachen, Folgen und Teilaspekte der momentanen Wirtschafts- und Finanzkrise und mögliche Wege aus ihr. Der Tagesspigel-Redakteur und Otto-Brenner-Preisträger Harald Schumann beschäftigt sich schon länger mit den Hintergründen der Krise - und der Rolle der deutschen Medien dabei.

Worin besteht Ihrer Meinung nach die Hauptaufgabe der Medien in der Eurokrise?

Harald Schumann: Sie sollten diesen oft borniert klingenden nationalen Ressentiments unbedingt entgegentreten, wenn es heißt, die in den südlichen Ländern und in Irland haben schlecht gewirtschaftet und jetzt muss der arme deutsche Steuerzahler dafür herhalten, weil diese Interpretation der Krise natürlich völlig ignoriert, dass es so etwas wie eine kollektive Verantwortung für die Misere gibt. Aber wir hören, sehen und lesen ja gerne, dass wir jetzt als die disziplinierten und guten Europäer dastehen, da es uns aufwertet und wir uns in unserer Identität bestätigt fühlen. Und nebenbei wird vieles von dem, was bei uns schief gelaufen ist, überdeckt.

Also ist die Berichterstattung zur Eurokrise zu einseitig?

Schumann: Es gibt tatsächlich wenig Kollegen, die sich um die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge kümmern. Obwohl es ja eigentlich unser vorrangiger Job ist, die Leute darüber aufzuklären, wie es eigentlich wirklich ist.

"Vielleicht ist es einfacher,Klischees hinterher zu schreiben"

Woran liegt das?

Schumann: Woran es genau liegt, kann ich auch nicht richtig beurteilen. Vielleicht ist es einfacher, solchen Klischees hinterher zu schreiben. Dazu kommt natürlich auch die prekäre Lage von Journalisten, die überhaupt nicht die Zeit haben, sich damit auseinanderzusetzen. Und natürlich auch die Bequemlichkeit, denn wenn man einfach dem Mainstream hinterher schreibt, fragt einen anschließend niemand, warum man das geschrieben hat, denn es schreiben ja alle. Der Herdentrieb, den man den Akteuren am Finanzmarkt vorwirft, der ist unter Journalisten durchaus auch gegeben.

Der Nobelpreisträger und Wirtschaftsjournalist Paul Krugman kritisiert schon seit langem die Sparpolitik der Europäer. Warum findet man diese Meinungen kaum in deutschen Tageszeitungen?

Schumann: Ich nenne Ihnen ein Beispiel, dass mich sehr verblüfft hat: Da hat kürzlich sogar der IWF offiziell festgestellt, dass es kontraproduktiv ist, wenn die Sparforderungen in Ländern durchgesetzt werden, die sich mitten in einer tiefen Rezession befinden. Kurz zur Erklärung: wenn die Haushalte sparen, die Unternehmen sparen und der Staat spart –  und sparen bedeutet mehr einnehmen als man ausgibt – dann sinkt die Gesamtnachfrage in der Wirtschaft, so dass die Rezession verschärft wird, die Steuereinnahmen schneller wegbrechen, als der Staat überhaupt sparen kann - und am Ende stehen alle gemeinsam schlechter da. Diesen Zusammenhang hätte man ruhig und ziemlich frühzeitig auch in der deutschen Presse etwas intensiver schildern können, als es tatsächlich getan worden ist. Und jetzt, wo es der IWF quasi offiziell gemacht hat, wurde zwar darüber berichtet, dass Christine Lagarde sich mit Herrn Schäuble bei der IWF-Tagung gestritten hat, aber so richtig ausführlich referiert, was der IWF festgestellt hat, habe ich in spanischen Zeitungen besser gelesen als in deutschen.

"Der Mainstream wird von denen gemacht, die die Regierung stellen"

Muss man eigentlich Experte sein, um über die Eurokrise berichten zu können?

Schumann: Man muss nicht Experte sein, man muss einfach mit mehr als nur einer oder zwei Quellen reden. Es ist ja nicht so, dass es in Deutschland an Expertise mangeln würde, um sich nähere Kenntnisse zu beschaffen. Es gibt ja auch gute Ökonomen, die die bisherige Rezessionsverschärfungspolitik im Rahmen dieser Sparprogramme hart kritisieren. Die kommen natürlich auch hin und wieder zu Wort, vor allem in den Fachblättern 'Handelsblatt' und 'Financial Times Deutschland'. Aber sie dringen eben nicht zum ###mehr-personen### Mainstream durch. Und der Mainstream wird von denen gemacht, die die Regierung stellen. Dazu muss man allerdings ehrlicherweise sagen, dass die Opposition auch miese Arbeit leistet. Es ist ja so, dass sich weder die Grünen noch die SPD wirklich trauen, den Sparvorgaben aus dem Kanzleramt entgegenzutreten, weil sie fürchten, dass sie dann als Geldverschwender angeprangert werden und sie dann im kommenden Wahlkampf gegen Frau Merkel nicht bestehen. Deswegen haben sie bei allem mitgemacht, sogar beim Fiskalpakt, obwohl es ein undemokratisches Monstrum ist.

Was bedeutet eine schwache Opposition für die Medien?

Schumann: Die Medien sind hier ein bisschen zu entschuldigen, denn es kommt bei einer kritischen Berichterstattung schon auch auf eine starke Opposition an, die diese Kritik in die Öffentlichkeit trägt. Das würde es den Medien dramatisch erleichtern. Und da kommt  außer von der Linkspartei leider relativ wenig.

"Es gibt Medien und Organe, die über genug Ressourcen verfügen, um anständig zu berichten"

Müsste es nicht endlich eine eigene Rubrik 'Europa' geben in den Tageszeitungen?

Schumann: Ich glaube, das ist für die allermeisten einen Platzfrage. Es würde bedeuten, dass man eine Zeitungsstruktur umwirft - und das macht man nicht gerne. Die Leser sind gewohnt, bestimmte Sachen an bestimmten Plätzen zu finden. Einfach zu entscheiden, dauerhaft und für immer eine Rubrik 'Europa' einzuführen, würde voraussetzen, dass man meint, die Leser goutieren das. Da bin ich auch selber nicht so ganz sicher. Mal angenommen, ich wäre Chefredakteur und müsste so eine Entscheidung treffen, ich würde zögern, weil: Zeitungsstrukturen umzuwerfen ist immer auch mit der Möglichkeit verbunden, Leser zu verlieren.

Haben die großen Verlagshäuser und Medienanstalten zu wenig Kapazitäten?

Schumann: Es gibt Medien und Organe, die über genug Ressourcen verfügen, um anständig zu berichten, wie zum Beispiel der 'Spiegel', die 'Zeit' oder auch die öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten. Zum Teil passiert das auch. In den politischen Magazinen wie 'Frontal 21' oder 'Monitor', da wird kritisch berichtet. Das Problem: Es erreicht den Mainstream nicht. Es erreicht, wenn man so will, die 'Tagesschau' nicht.

"Man kann indirekt rückschließen, dass das, was im Fernsehen über die Eurokrise berichtet wird, sehr eng dran ist an dem, was Kanzlerin Merkel und ihr Staat gerne möchten"

Sehen sie einen Unterschied zwischen der Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen und der Printmedien?

Schumann: Was auffällt ist, ist, dass es nicht gelingt, den Menschen wirklich nahezubringen, wie weitgehend die Verflechtung in Europa längst ist. Also zum Beispiel die Tatsache, dass die Immobilienblasen in Irland und Spanien ganz wesentlich von deutschen Banken und Investoren finanziert wurden und es ohne diese unkritische Kreditvergabe an größenwahnsinnige Banker in diesen Ländern gar nicht erst zu dieser Überschuldung gekommen wäre. Wenn das jeden Tag in der 'Tagesschau' käme – denn das Fernsehen ###mehr-artikel### ist nach wie vor die Hauptinformationsquelle – dass es eine kollektive Verantwortung für die Überschuldung in den Krisenstaaten gibt, dass Deutschland mitverantwortlich ist, dann würde die Debatte vielleicht auch nicht so schräg laufen und die Verkünder von Stammtischparolen hätten nicht so leichtes Spiel. Man kann indirekt rückschließen, dass das, was im Fernsehen über die Eurokrise berichtet wird, sehr eng dran ist an dem, was Kanzlerin Merkel und ihr Staat gerne möchten: Sie als große Madame Disziplinbringerin in Europa, die Deutschen haben alles richtig gemacht und nur die anderen alles falsch.

Ist das Unwissen eventuell von der Regierung Merkel gewollt?

Schumann: Also natürlich hat die Regierung Merkel kein Interesse daran, dass das in großem Stil kommuniziert wird. Sie steht in Umfragen ja gut da. Wenn nun heraus käme, dass das, was Deutschland im Rahmen der EU-Rettungsprogramme verhandelt, ganz wesentlich deutschen Investoren und deutschen Gläubigern der Krisenländer zugute kommt, was ja im Grunde eine Umverteilung des Risikos von privaten Anlegern auf die öffentliche Hand ist,  wenn das konsequent so berichtet würde, dann würde das dem Nimbus der Merkel-Regierung einen Abbruch tun.