"Wir wollen gesehen werden" - Lippenstift und Rouge für Blinde

Foto: epd/Rolf Zöllner
Beim Blindenfestival in Berlin lässt sich die blinde Sängerin Andrea Eberl von Star-Visagist Rene Koch schminken.
"Wir wollen gesehen werden" - Lippenstift und Rouge für Blinde
Visagist René Koch bietet Schmink-Workshops für Blinde an
Durch eigenes Experimentieren in der Dunkelheit entwickelte René Koch ein spezielles Schminkprogramm für Blinde und Sehbehinderte. Bald soll es bundesweit Kurse geben.
04.08.2012
epd
Von Sarah Salin

Sorgfältig trägt René Koch die Farbe auf den Lippen der Sängerin Andrea Eberl auf. Ganz genau erklärt der berühmte Visagist die einzelnen Handgriffe. Diese sprachlichen Informationen sind äußerst wichtig für die anwesenden Schmink-Workshop-Teilnehmerinnen in dem Studio in Berlin-Kreuzberg. Denn die Frauen sind stark sehbehindert oder blind, manche von Geburt an.

"Andrea, wenn Sie es später zu Hause selbst probieren, drehen Sie den Lippenstift nur ein klein wenig heraus", rät Koch: "Dann machen sie mit den Lippen ein Schnütchen, als ob Sie jemanden küssen möchten." Das aufgetragene Korallenrot stehe der Sängerin ausgezeichnet, urteilt der Schönheitsexperte, dem sich schon Weltstars wie Claudia Schiffer, Jodie Foster oder Hildegard Knef anvertrauten. "Nach dem Workshop schenke ich Ihnen den Lippenstift."

Jeder Handgriff sitzt: "Ertastbares Schminken"

Seit 2010 entwickelt Koch ein spezielles Schminkprogramm für schwer sehbehinderte und blinde Frauen. "Wir üben jeden Handgriff und nennen es ertastbares Schminken." Doch der durch seine vielen Medienauftritte bekannte Visagist gibt zu: "Als ich zum ersten Mal die Anfrage erhielt, war ich ganz schön überrascht."

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Die blinde Susanne Emmermann schrieb ihm damals per E-mail: "Sie können etwas Farbe in unser Leben bringen - und vielleicht bekommen Sie auch ein Blind Date." Diese Worte berührten Koch. Also startete er ein Selbstexperiment: Er setzte sich in einer mondlosen Nacht bei absoluter Dunkelheit in sein Studio und schminkte sich selbst: "Ganz so schlecht war das Ergebnis nicht", stellte er fest. Darum lud er die E-mail-Schreiberin und sieben weitere blinde Frauen in sein Wilmersdorfer Kosmetik-Studio ein.

Helfen, die Angst vor Fehlern zu überwinden

Das war vor zwei Jahren. Seither bietet Koch kostenlose Kurse für blinde und sehbehinderte Frauen an. Hannah Reuter hat schon mehrere Kurse bei ihm besucht. Die junge Frau ist von Geburt an blind. Sie erzählt: "Ich hatte vor den Workshops nie darüber nachgedacht, mich zu schminken. Meine Angst, dabei Fehler zu machen und dafür ausgelacht zu werden, war einfach zu groß."

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In den Kursen lernte Reuter, dass sie am besten die Wangen einzieht, wenn sie Rouge aufträgt. Beim Pudern ist es wichtig, sich zu merken, wo er bereits aufgetragen wurde. Koch wählt mit geschultem Auge die passenden Kosmetikprodukte für jede Frau individuell aus. "Zu schrille und aufdringliche Farben sind nicht gut, falls doch mal etwas daneben geht", sagt er.

Prinzipiell könnten Blinde alle "Grundschritte des Schminkens" lernen: Make-up auftragen, Puder, Rouge, Lidschatten, Wimperntusche, Lippenstift und Lipgloss. Doch sei es gut, zuerst mit den einfachen Elementen, wie Puder auftragen, zu beginnen. Reuter sagt, dass sie inzwischen mit drei verschiedenen Farben Lidschatten umgehen könne. "Es hat etwas Übung gebraucht, aber so schwer ist es dann doch nicht."

Schminken als Chancengleichheit

Koch betont: "Ich möchte sehbehinderten und blinden Frauen die gleichen Chancen geben, wie sie Sehende haben." Alle Frauen sollten die Möglichkeit haben, sich für die Arbeit, Bewerbungsgespräche oder auch Dates schöner zu machen.

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Auch Männer seien in seinen Kursen willkommen, sagt Koch. Niemand brauche Angst haben, sich an ihn zu wenden, nur weil er auch schon mit Stars wie Claudia Schiffer gearbeitet hat, sagt Koch. Ihm kommt es auf eine gute Atmosphäre an: "Bei meinen Workshops gibt es Kaffee und Kuchen wie bei Tante Käthe und für die Blindenhunde Würstchen."

Andere Visagisten lernen von Koch

Volker Lenk, Pressesprecher beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband, kennt keinen anderen Visagisten, der wie Koch arbeitet. Besonders freut sich Lenk über die geplante Ausdehnung des Projekts. "Koch ist dabei andere Visagisten zu schulen, so dass bald bundesweit Workshops angeboten werden können."

"Wenn sehende Frauen ehrlich zu sich selbst sind, dann müssen sie zugeben, dass sie sich für die anderen und nicht für sich selbst schminken", sagt Koch. Seine blinde Kursteilnehmerin Susanne Emmermann teilt diese Ansicht: "Wie können zwar nicht sehen, aber wir wollen gesehen werden."