"Küsse werden sehr unterschiedlich interpretiert"

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Nicht zu stürmisch: Küsse und Blicke werden in unterschiedlichen Kulturkreisen verschiedentlich wahrgenommen.
"Küsse werden sehr unterschiedlich interpretiert"
Wenn sich zwei Menschen aus verschiedenen Kulturen näher kommen, können sie in einige Kommunikations-Fallen tappen. Denn die interkulturelle Liebe birgt zahlreiche Missverständnisse. Die Professorin Margarete Payer forscht zu internationalen Kommunikationskulturen und erklärt im Interview mit evangelisch.de zum Schwerpunkt "Frühlingsgefühle", warum ein Kuss für einen Amerikaner etwas völlig anderes bedeutet als für eine Engländerin und was ein Inder wirklich meint, wenn er "no problem" sagt.

Frau Prof. Payer, was ist denn der Klassiker unter den interkulturellen Missverständnissen der Liebe?

Margarete Paye:  Das Lächeln von Thailänderinnen. Denn vor allem europäische Männer verstehen es oft als Zeichen der Zuneigung und Liebe, in Wirklichkeit ist es aber lediglich ein Zeichen der Höflichkeit. Thailänderinnen sind meist dazu erzogen worden, zu lächeln, um andere Menschen nicht traurig zu machen. Deshalb würde eine Thailänderin sogar dann einen Mann anlächeln, wenn sie ihn verachtet.

Können sich Menschen aus zwei verschiedenen Kulturkreisen schon bei der Begrüßung missverstehen?

Paye: Die ersten Momente des Kennenlernens sind ja extrem wichtig, wenn zwei sich näher kommen wollen. Aber leider kann man tatsächlich schon bei der Begrüßung einiges falsch machen, wenn man die andere Kultur kaum kennt. Eine Inderin beispielsweise würde es als unhöflich empfinden, wenn ihr ein Mann die Hand hinstreckt. Auch streng muslimische Männer würden einer Frau nicht die Hand reichen, weil sie das als unzulässigen Übergriff empfinden. Das Problem ist, dass beispielsweise eine christliche Frau das als Zurückweisung interpretieren könnte.

"Ein Asiate empfindet es als respektlos, wenn jemand Blickkontakt sucht."

Was ist ein typisch deutsches Flirtverhalten, mit dem man sich das Date beispielsweise mit einem asiatischen Menschen verderben könnte?

Paye: Zwei Deutsche würden bei einem Date ja versuchen, lange und intensive Blicke auszutauschen. Ein Asiate allerdings fühlt sich dabei in der Regel wahnsinnig unwohl. Für ihn ist es ein Zeichen des Respekts, die Augenlider zu senken und es zu vermeiden, dem anderen in die Augen zu sehen. Er empfindet es deshalb als respektlos, wenn jemand ständig seinen Blickkontakt sucht. Der Deutsche wiederum interpretiert natürlich die ausweichenden Blicke als Desinteresse und denkt, dass die Zuneigung nicht erwidert wird.

Inwiefern kann Körperkontakt zu Missverständnissen zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen führen?

###mehr-artikel###Paye: Küsse zum Beispiel werden sehr unterschiedlich eingesetzt und interpretiert. In Lateinamerika, Italien und Spanien küsst man zum Teil sogar völlig Fremde und sucht ohnehin schnell Körperkontakt, was zum Beispiel ein Norddeutscher als Übergriff auffassen könnte. Das heißt, wenn ein Lateinamerikaner einen auf den Mund küsst, muss das nicht zwangsläufig amourös gemeint sein. Aber auch in arabischen Ländern ist es beispielsweise völlig normal, dass Männer in der Öffentlichkeit miteinander Händchen halten und Zärtlichkeiten austauschen. Das ist für sie ein Zeichen dafür, dass sie sich verstehen, während wir denken könnten, sie seien homosexuell.

Das heißt, Küsse bedeuten überall etwas anderes?

Paye: Ja. Das zeigt auch eine Untersuchung zwischen amerikanischen Soldaten und Britinnen. Dabei wurde die Annäherung zwischen zwei Menschen auf 25 Schritte bis zum Geschlechtsverkehr zergliedert. Für die britischen Frauen in der Studie kam der Kuss nur wenige Schritte vor dem Sex. Für die Amerikaner hingegen war der Kuss schon Schritt fünf. Das führte dazu, dass die amerikanischen Soldaten der Ansicht waren, die britischen Frauen seien so leicht herum zu kriegen. Denn hatten sie sich erst einmal auf einen Kuss eingelassen, dann waren sie in der Regel auch mit ihnen ins Bett gegangen. Schließlich ist er für die Britinnen bereits die Vorstufe zum Geschlechtsverkehr, während für die Amerikaner der Kuss eine harmlose Berührung am Anfang der Eroberungskette ist.

Wenn sich eine Frau zu einem Drink einladen lässt, muss das ja in Deutschland nicht viel heißen. Gibt es Kulturen, in denen sie damit aber eindeutige Signale aussendet?

Paye: Auf jeden Fall. Wenn sich eine Frau in Indien, Thailand oder in muslimischen Ländern zu einem Drink einladen lassen würde, dann heißt das nicht: "Ich gehe halt mal mit einem Kumpel was trinken", sondern es würde in der Regel interpretiert als: "Ja, ich bin bereit, mit dir ins Bett zu gehen."

"Wer in Mexiko gelbe Blumen verschenkt, wünscht dem Beschenkten den Tod."

Mit welchen Geschenken sollte man bei einer interkulturellen Liebe vorsichtig sein?

Paye: In asiatischen Ländern oder in Lateinamerika muss man sehr auf die Farbe achten. Wer in China weiße Blumen oder in Mexiko gelbe Blumen verschenkt, der macht dem Beschenkten keine Freude, sondern wünscht ihm den Tod. Denn diese Farben werden nur für Grabschmuck verwendet. Nicht viel falsch machen kann man mit roten Rosen, die sind überall ein Zeichen der Liebe. Wobei man in China aber aufpassen muss, dass es nicht nur vier Rosen sind. Denn die vier ist in China eine Unglückszahl, wobei die acht eine Glückszahl ist. In Japan wiederum sollte man sich hüten, seinem Liebsten ein Messer zu schenken, außer man möchte Schluss machen. Denn Messer sind dort ein Symbol der Trennung.

Können wir uns denn wenigstens darauf verlassen, dass die verbalen Signale, die zwei Menschen aus unterschiedlichen Kulturen austauschen, auch richtig verstanden werden? Vorausgesetzt natürlich, sie können sich sprachlich verständigen?

Paye: Nein. Das hängt vor allem damit zusammen, dass viele Menschen im asiatischen Raum, aber auch in Lateinamerika sich schwer tun, "nein" zu sagen, weil sie das als unhöflich empfinden und das Gefühl haben, ihr Gegenüber könnte dadurch das Gesicht verlieren. Inder sagen zum Beispiel meist "no problem", wenn sie eigentlich "nein" meinen. Somit kann es einem durchaus passieren, dass eine asiatische Frau freundlich einer Verabredung zusagt, dann aber einfach nicht kommt.

Auch über das unterschiedliche Zeitverständnis kann es zu Missverständnissen kommen. Eine Verabredung um 20 Uhr heißt in allen südlicheren Kulturen nur, dass man sich nicht vor 20 Uhr trifft. Es kann aber auch eine oder mehrere Stunden später, an einem anderen Tag oder sogar nie sein. Für Europäer ist das sehr gewöhnungsbedürftig. In diesen Ländern kann es einem im Übrigen auch passieren, dass man eingeladen wird und dann gibt es lange Gesichter, wenn man tatsächlich vor der Tür steht. Das ist sogar in den USA so, allerdings kann man sich dort zumindest an die Faustregel halten: Um so konkreter die Einladung, um so ernster ist sie gemeint. "Komm doch mal vorbei", ist nicht ernst gemeint, "komm doch am Sonntag vorbei", schon.

Wenn zwei Menschen aus unterschiedlichen Kulturen all diese Anfangshürden genommen haben und eine Liebesbeziehung eingegangen sind, gibt es interkulturelle Unterschiede, die auch nach jahrelangem Zusammenleben noch zu Missverständnissen führen können?

Paye: Ja. Viele Südostasiaten haben beispielsweise große Schwierigkeiten, ihre Gefühle mitzuteilen und sind oft dazu erzogen worden, sich nicht zu beschweren. Das ist ein großes Problem, wenn sie mit Menschen verheiratet sind, die eine andere Streitkultur haben. Denn wenn diese anfangen, zu schimpfen oder irgendetwas zu bemängeln, dann schweigt der südostasiatische Partner oft, wehrt sich nicht und sagt auch selbst nicht, was ihn stört. Er staut seine Wut stattdessen an und wenn es ihm zu viel wird, haut er einfach ab oder macht Schluss.

Diese mangelnde Streitkultur kann übrigens auch ganz extreme Folgen haben. In Bangkok gibt es eine Klinik, die sich darauf spezialisiert hat, männliche Geschlechtsteile wieder anzunähen. In Thailand ist das nämlich eine übliche Art und Weise, wie einige Frauen sich für das Fremdgehen ihrer Männer rächen. Statt ihnen frühzeitig zu sagen, dass sie das nicht akzeptieren, stauen sie ihre Wut so lange an, bis sie in der Lage sind, zum Messer zu greifen und ihrem Mann den Penis abzuschneiden.

Prof. Margarete Payer ist Magister der Theologie und hat in den USA, den Philippinen, Indonesien, Australien und Bolivien zu internationalen Kommunikationskulturen geforscht. In ihren Vorlesungen zu diesem Thema an der Hochschule der Medien in Stuttgart sensibilisiert sie Studenten der Wirtschaftsinformatik und digitalen Medien für fremde Kulturen und bereitet sie so auf Auslandspraktika vor. Prof. Margarete Payer ist 70 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Tübingen.