"Mama, war Gott auch mal so klein?"

Foto: epd-bild/Meinrad Riedo
"Mama, war Gott auch mal so klein?"
Weihnachten feiern wir, weil Gott Mensch wurde. Aber wie soll man sich das vorstellen? Gott als kleines Baby in einer Futterkrippe? Und der erwachsene Jesus: War er Mensch, war er Gott - oder beides? Jahrhundertelang haben Theologen darüber diskutiert.
25.12.2012
evangelisch.de

Der dreieinhalbjährige Elia hat einen kleinen Bruder bekommen. Er heißt Emanuel. Neugierig und staunend steht Elia an der Wiege, schaut den Säugling an und wirkt sehr nachdenklich. "Mama", fragt Elia schließlich, "War Gott auch mal so klein?" Das kommt darauf an, denkt die Mutter. Das kommt darauf an, ob dieser Säugling Jesus, der da in der Krippe im Stall von Bethlehem lag, ob der ein normaler Mensch war - oder Gott.

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So lautet doch die Weihnachtsbotschaft: Gott kam in die Welt. Darum feiern wir Weihnachten. Nicht wegen der Geschenke, nicht wegen der Familie, nicht wegen der Lichter am Tannenbaum. Sondern weil Gott Mensch wurde. Immer wieder hören wir das zu Weihnachten - in Andachten, Predigten und Liedern. Eigentlich eine Ungeheuerlichkeit, wenn wir mal wirklich darüber nachdenken: Gott wurde Mensch?

Zu hohen Feiertagen bekennen wir das in unseren Kirchen im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel: "Wir glauben …. an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater…"

Wie verhalten sich Gott und Mensch in Jesus zueinander?

Ein geborener Mensch soll gleichzeitig wahrer Gott sein? Die Kirchenväter haben intensiv an diesem Problem geknobelt. Die Debatte darum, wer Christus eigentlich sei, dauerte von neutestamentlicher Zeit bis Mitte des 5. Jahrhunderts und war auch nach einem formalen Beschluss noch nicht für alle letztgültig entschieden.

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Es ging hoch her in diesem Streit der Ostkirche. Konzilien und Synoden liefen alles andere als friedlich ab: Theologen und Kirchenväter schlossen sich gegenseitig aus der Gemeinschaft der Glaubenden aus, manche spalteten sich ab und gründeten eigene Kirchen - unter anderem sind die koptische, die syrisch-orthodoxe und die Assyrische Kirche des Ostens aus diesem Streit hervorgegangen.

Im Kern ging es um folgende Fragen: Wie kann es sein, dass Jesus ganz Gott und zugleich ganz Mensch war? Und falls es sein kann: Wie verhalten sich Gott und Mensch in dieser Person Jesus zueinander? Die Vorstellung, der allmächtige Gott sei in einem sterblichen Menschen vorhanden - ist die nicht absurd? Nach biblischem Verständnis muss man klar zwischen Schöpfer und Geschöpf trennen, eine Vermischung ist nicht möglich.

Der lateinische Westen fand schon im frühen dritten Jahrhundert eine recht einfach klingende Formel, die Luther später aufnahm: Die Zwei-Naturen-Lehre. Demnach ist Jesus Christus beides - Gott und Mensch - in einer Person. Die Konzilien von Nizäa (325) und Kontantinopel (381) bestätigten dieses Gedankenexperiment im Prinzip: Christus ist demnach "eines Wesens" (griechisch: "homo-ousios") mit dem Vater - und der Heilige Geist übrigens auch. Die Trinitätslehre war geboren: alle drei, Vater, Sohn und Heiliger Geist, sind Gott. Doch das klingt nur vordergründig einfach und verlangt dem logisch denkenden Theologen einiges ab.

Zwei Zentren der Theologie: Alexandria gegen Antiochia

Es bildeten sich zwei große Lager in den großen theologischen Zentren des Ostens: Alexandria und Antiochien. Die Alexandriner lehrten zunächst, Jesus sei wahrer Gott, aber nicht vollständig Mensch gewesen. Anstelle einer menschlichen Seele habe er den göttlichen Geist in sich getragen.

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Jesus müsse Gott gewesen sein, denn nur durch göttliche Vollkommenheit habe er die Menschheit erlösen können. Später kam ebenfalls aus Alexandria die Lehre, in Jesus seien Gott und Mensch zu einer völligen Einheit, zu einem neuen gottmenschlichen Wesen, verschmolzen. Den Alexandrinern ging es wesentlich um die Einheit der Person Jesu.

Die Antiochener dagegen betonten mehr das Trennende. Jesus musste für sie ein echter Mensch gewesen sein, denn nur einer, der die Tiefen des menschlichen Daseins durchlebt, kann die Menschheit erlösen. Wie das Göttliche in diesen Menschen Jesus kam, versuchten die Antiochener mit der Lehre von der "Einwohnung" zu erklären: Gott wohne in dem Menschen Jesus, so dass sich in seiner Person Göttliches und Menschliches verbinden, ohne ganz zu verschmelzen.

Der Streit eskalierte im 5. Jahrhundert wegen eines Disputes über Maria, Jesu Mutter: War sie "Gottesgebärerin" oder "Christusgebärerin"? Letzteres würde bedeuten, dass Jesus Mensch, nicht Gott gewesen sei. Während solche Fragen heute in Ruhe von Theologen in ihren wissenschaftlichen Elfenbeintürmen diskutiert werden, nahm damals die Bevölkerung durchaus Anteil daran - gerade als Maria ins Spiel kam, die viele Gläubige sehr verehrten. Auf der Synode von Ephesus im Jahr 431 wurde beschlossen, Maria sei Gottesgebärerin, Jesus also Gott.

Papst Leo I. brauchte nur in die Schublade zu greifen

Damit war der Streit allerdings immer noch nicht beendet, auch eine Kompromissformulierung im Jahr 433 wurde nicht von allen akzeptiert. Besonders hoch her ging es auf der Synode 449, bei der noch nicht einmal abgewartet wurde, bis alle Synodalen eingetroffen waren. Kurzerhand erklärte die Synodenleitung die alexandrinische Position von der Einheit Christi für gültig und verurteilte die Lehre der Antiochener. Das tumultartig verlaufende Treffen ging unter der Bezeichnung "Räubersynode" in die Kirchengeschichte ein.

Danach kam es allerdings erstaunlich schnell zu einem Kompromiss, für den die Theologen der Ostkirche sogar die lateinische Westkirche um Rat fragten, namentlich Papst Leo I. Der griff in die Schublade und schickte die Lehre von den zwei Naturen an die östlichen Kollegen. Jesus sei ganz Gott und ganz Mensch in zwei unvermischten Naturen, hieß es darin. So kam es schließlich auf dem Konzil von Chalcedon im Jahr 451 zum Durchbruch.

Das Bekenntnis von Chalcedon lautet: "Wir folgen also den heiligen Vätern und lehren alle einmütig, einen und denselben Sohn zu bekennen, unseren Herrn Jesus Christus. Derselbe ist vollkommen in der Gottheit und derselbe ist vollkommen in der Menschheit, derselbe wirklich Gott und wirklich Mensch aus einer vernünftigen Seele und einem Körper. Er ist dem Vater wesensgleich nach der Gottheit und derselbe uns wesensgleich nach der Menschheit, in jeder Hinsicht uns ähnlich, ausgenommen die Sünde. (…) Wir bekennen einen und denselben Christus, den Sohn, den Herrn, den Einziggeborenen, der in zwei Naturen, unvermischt, ungewandelt, ungetrennt, ungesondert geoffenbart ist. (…)"

In Jesus hat Gott uns Menschen gezeigt, wie er ist

Es entsteht der Eindruck, als habe man in den umständlichen Formulierungen des Chalcedonense möglichst viele Theologenmeinungen und Synoden-Ergebnisse integrieren wollen. Doch mit noch so wortreichen Formeln ist das Mysterium der Menschheit und Gottheit Christi letztlich nicht einfacher zu verstehen als mit der alten Zwei-Naturen-Lehre. Der kleine Junge, der da in Bethlehem in der Krippe lag und später als erwachsener Mann am Kreuz starb, war demnach wirklich Mensch und wirklich Gott.

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"War Gott auch mal so klein?" In dieser kindlichen Formulierung kommt die Weihnachtsbotschaft beinahe klarer zum Ausdruck als in allen Bekenntnissen der Welt. In Jesus hat Gott uns Menschen gezeigt, wie er zu uns steht: Er ist bereit, für uns Menschen alles zu tun und tiefstes Leid zu durchleben, voller Liebe und Anteilnahme. Das Paradoxon löst sich nur auf, wenn wir Vertrauen haben und im Glauben verstehen: Gott musste ganz Gott bleiben und als echter Mensch geboren werden - anders ging es einfach nicht.

"Ja, mein Schatz", antwortet Elias Mutter, "Gott war auch mal so klein. Er wollte unbedingt wissen, wie es sich anfühlt, ein Baby zu sein und in einer Krippe zu liegen." Und dann, während der kleine Emanuel in seiner Wiege friedlich schläft, erzählt sie ihrem Großen die Weihnachtsgeschichte.