Islamwissenschaftler: Scharia vereinbar mit westlichen Rechtsordnungen

Islamwissenschaftler: Scharia vereinbar mit westlichen Rechtsordnungen
Der Islamwissenschaftler Bülent Ucar hält das islamische Recht, die Scharia, für vereinbar mit den Rechtsordnungen moderner westlicher Staaten.
10.01.2013
epd
Martina Schwager

Religion könne nicht losgelöst von der jeweiligen Gesellschaft betrachtet werden, sagte der Direktor des Instituts für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück am Donnerstag in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Zeitgeist und Struktur der heutigen westlichen Gesellschaften haben Auswirkungen auch auf die Interpretation der islamischen Quellen." So beeinflusse etwa das westliche Frauenbild, das von der Gleichberechtigung geprägt sei, die Auslegung des islamischen Rechts in Deutschland.

Plural verfasste liberale Demokratien böten auch Muslimen einen guten Rahmen, das Alltagsleben nach islamischen Normen zu gestalten, betonte Ucar: "Entscheidend ist, dass es jedem Menschen möglich ist, seine Überzeugungen auszuleben, solange er nicht die Rechte anderer verletzt."

"Das Verständnis für Religionsfreiheit schwindet"

An diesem Freitag beginnt an der Universität Osnabrück in Kooperation mit dem Zentrum für Islamische Theologie in Tübingen ein Workshop für angehende Islamwissenschaftler über das islamische Recht. Die Doktoranden sollen sich nach Angaben Ucars mit einer konzeptionellen Weiterentwicklung des islamischen Rechts in der Moderne auseinandersetzen. Die Islamische Tradition biete aus sich heraus Möglichkeiten, die Scharia weiterzuentwickeln, unabhängig vom aktuellen Zeitgeschehen.

In Deutschland seien die Freiheiten für Muslime sogar größer als in einigen der islamisch geprägten Staaten, wie etwa der Türkei, sagte der Religionspädagoge. Dort dürften Frauen mit Kopftüchern noch immer nicht die staatlichen Schulen und Hochschulen betreten. In Deutschland gebe es religiös geprägte Schulen, Hochschulen, Wohlfahrtsorganisationen und Jugendeinrichtungen. Die deutsche Rechtsordnung sei sehr entgegenkommend.

Sorge bereiteten ihm aber rechtspopulistische gesellschaftliche Strömungen, denen die Religionsfreiheit nichts bedeute, sagte Ucar: "Sie werfen den Muslimen vor, dass sie einen Staat auf Grundlage der Scharia gründen wollten. Tatsächlich sind sie selbst nicht bereit, die Religionsfreiheit zuzulassen." Darin sehe er eine große Gefahr. Diese Entwicklung beruhe auf der Säkularisierung der Gesellschaft insgesamt. Immer weniger Menschen hätten Verständnis dafür, dass Gläubige ihren Glauben auch praktisch ausübten. "Damit schwindet auch das Verständnis für die Religionsfreiheit."