Kein Pardon: Zwangsräumungen in Spanien

Se Vende - For Sale Schild (zu verkaufen) an einem Haus in Mallorca
Foto: dpa Picture-Alliance/Lars Halbauer
Se Vende - For Sale, zu verkaufen, steht an diesem Haus in Mallorca. Viele Hausbesitzer in Spanien verlieren ihre Häuser, weil sie in der Krise die flexiblen Zinsen ihres Kredits nicht mehr zahlen können. Dann wird zwangsgeräumt.
Kein Pardon: Zwangsräumungen in Spanien
In Spanien haben immer mehr Menschen kein Dach über dem Kopf, aber dafür einen gewaltigen Schuldenberg. Selbstmorde von Verzweifelten nehmen zu. Auch das neue Jahr begann mit Schreckensmeldungen: Innerhalb von 24 Stunden verbrannten sich unabhängig voneinander in Málaga zwei Männer.

Es war ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk für Josefa, Francisco und ihre sechs Kinder im Alter von ein bis zehn Jahren –  sie durften die Feiertage zu Hause verbringen. Eigentlich hätte die Familie ihre Wohnung in der katalanischen Provinzhauptstadt Lleida am 21. Dezember 2012 verlassen müssen. Seit mehreren Monaten konnten Francisco und Josefa, beide langzeitarbeitslos und Ende dreißig, die Miete nicht mehr zahlen.

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Doch die Polizeibeamten, die die Zwangsräumung hätten durchführen sollen, drangen nicht einmal bis zur Wohnungstür durch: Rund 50 Demonstranten hatten mit roten STOP-Schildern bereits am frühen Morgen den Zutritt verstellt. Die Aktivisten der Schuldnerinitiative Plataforma d'Afectats per la Hipoteca (PAH) hatten der Familie schon im Vorfeld zur Seite gestanden, sie auf die Ämter begleitet, Petitionen geschrieben, Anwälte besorgt. Die 2009 gegründete Bürgerinitiative konnte nur einen Bruchteil der 400.000 Zwangsräumungen, die seit Beginn der Krise in Spanien vollstreckt wurden, verhindern. Im Fall von Josefa und Francisco, die ihren vollen Namen nicht in der Presse lesen wollen, hatten sie Erfolg – vorerst, denn es handelt sich nur um einen Aufschub.

Die Sozialwohnung, die bei Einzug der Familie 150 Euro, zuletzt aber 300 Euro gekostet hat, gehört der Generalitat, wie die Autonomieregierung Kataloniens genannt wird. Doch die Misere von Francisco und Josefa ist auch auf das Ausbleiben von Hilfsgeldern der katalanischen Regierung zurückzuführen. Francisco hat Anspruch auf eine Invalidenrente, Josefa auf Sozialhilfe und Kindergeld. Doch das Geld von der Generalitat bleibt seit 2010 aus - der Staat ist pleite. Katalonien ist die am stärksten verschuldete Autonomieregion Spaniens. Die Demonstranten diktierten der lokalen Presse diese Fakten in die Schreibblöcke. Ein Skandal vor Weihnachten kam der Stadtverwaltung ungelegen und die Beamten wurden wieder abgezogen. Doch der nächste Räumungstermin im Februar steht schon fest. Die PAH-Aktivisten in ihren typischen gelben Hemden werden wieder da sein.

Die Zinsspirale macht die Kredite unbezahlbar

"Wir erleben eine Situation, in der extreme Armut und Obdachlosigkeit zum Massenphänomen wird", beklagt Marta Afuera Pons, Sprecherin der PAH in Girona. Es fängt an mit dem Verlust der Arbeit, dann endet nach einigen Monaten die Arbeitslosenhilfe vom Staat. Mit der ersten nicht bedienten Monatsrate oder Mietzahlung fallen Verzugszinsen von 18 bis 21 Prozent an – die Spirale dreht sich unaufhaltsam abwärts. 

Die Proteste gegen Zwangsräumungen sind weithin sichtbar. Foto: PAH/Ricard Tortosa

Rund 4 Millionen Menschen haben seit Beginn der Krise 2008 ihre Arbeit verloren. Ganze Großfamilien leben oft nur noch von einem einzigen Einkommen. Doch selbst eine feste Anstellung ist keine Garantie dafür, nicht plötzlich auf der Straße zu stehen. Der 29-jährige Carles Gimenez und die 26-jährige Neus Matas haben beide eine gute Anstellung – er bei einer Straßenbaufirma, sie als Friseurin. Das junge Paar kaufte 2007 eine kleine bescheidene Wohnung. "Damals stiegen die Preise so rasend, dass es uns vernünftig schien, möglichst bald eine Wohnung zu kaufen", erklärt Neus. Ein Haus bedeutet in Spanien traditionell Sicherheit. Vor der Krise gab es daher kaum einen Mietmarkt.

Doch die 700 Euro, die Neus Matas und Carles Gimenez anfangs im Monat zahlen mussten, stiegen mit der Krise auf eine  monatliche Rate von zuletzt 1.800 Euro. Das war genau die Summe, die beide zusammen verdienen. Bis Ende 2008 wurden 98 Prozent der Hypotheken in Spanien mit einer flexiblen Rate unterzeichnet. Auch heute noch haben 85 Prozent der neuen Hypotheken so einen Zinssatz - in Deutschland sind es nur 15 Prozent.

Ein Leben lang für die Bank arbeiten

Als die Banken in die Klemme gerieten, trieben sie die Rückzahlungsraten schlagartig in die Höhe. Die wenigsten Schuldner wurden im Vorfeld über dieses Risiko aufgeklärt: "Man sagte uns, so etwas passiere in der Realität nie", berichtet Gimenez. Tatsächlich ist dies aber nach 2008 die Normalität geworden, so dass selbst Menschen mit gutem Einkommen reihenweise ihre Häuser an die Banken verloren. Das junge Paar wollte nicht die Schmach erleben, von einem Räumungskommando vor die Tür gezerrt zu werden. Sie zogen einige Tage vor dem Termin zu Gimenez Eltern.

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Doch die Schulden sind sie damit nicht los. Die geräumten Wohnungen werden versteigert und geraten so häufig in den Besitz der Gläubigerbank – und zwar zu einem Preis, der weit unter dem hochspekulierten Kaufwert der Vorkrisenjahre liegt. Gimenez und Matas Wohnung in der katalanischen Stadt Kleinstadt Tarrega kostete die jungen Leute 180.000 Euro. Versteigert wurde sie für 38.000 Euro. Die Differenz plus Verzugszinsen bleibt als Schuld bestehen. Eine Privatinsolvenz gibt es in Spanien nicht. "Wir werden ein Leben lang nur für die Bank arbeiten", erklärt Neus Matas resigniert und fügt sichtbar betroffen hinzu: "Den Traum eine Familie zu gründen, kann ich mir nun aus dem Kopf schlagen."

Das amerikanische Modell, Hypothekenschulden mit der Abgabe der Immobilie zu tilgen, fordern Richter und Staatsanwälte auch für Spanien. "Die Geldinstitute haben die Gerichte zu ihren Inkasso-Büros gemacht", beklagt der Richterverband APM. Zahlreiche Richter weigern sich, "legal richtige aber moralisch falsche" Entscheidungen über Wohnungsenteignungen zu treffen. Sie halten die spanische Gesetzgebung aus dem Jahr 1909 für veraltet und kritisieren, dass sie den Wohnungseigentümern in den Räumungsverfahren keine Chance lasse.

Die Kredite treiben Menschen in den Tod

Für ihre riskante Kreditvergabepraxis sind die Banken bisher nicht zur Rechenschaft gezogen worden. "Im Gegenteil: Sie bekommen eine Finanzspritze von 60 Milliarden", klagt Afuera Pons. Bankia, die Bank von Bedoya, Gimenez und Matas, erhielt zum Beispiel im Herbst 2012 eine Finanzspritze von 4.5 Milliarden Euro aus dem staatlichen Rettungsfonds nachdem das Bankhaus durch seine Verluste im Immobiliengeschäft ins Schlingern geraten war.

Leerstehende Wohnungen in Spanien. Foto: Annika Müller

Bis November 2012 hatte sich die Politik indes wenig mit den Zwangsräumungen befasst. Es musste erst zum Drama kommen: Mindestens acht Menschen sprangen seit Oktober 2012 kurz vor der Zwangsräumung der Wohnung oder des Hauses aus dem Fenster oder vom Balkon. Nur ein 53-Jähriger in Valencia überlebte schwer verletzt. Auch das neue Jahr begann mit Schreckensmeldungen: Innerhalb von 24 Stunden verbrannten sich unabhängig voneinander in Málaga zwei Männer.

"Das ist nur die Spitze des Eisbergs", betont Marta Afuera Pons. Die meisten Fälle von Selbstmorden in Zusammenhang mit Zwangsvollstreckungen kämen nicht an die Öffentlichkeit. In Spanien ist Selbstmord wegen der angeblichen Nachahmungsgefahr ein Tabu für die Presse. In der Provinz Málaga, der einzigen Region, aus der offizielle Zahlen vorliegen, haben sich aber in den Jahren 2010 bis 2012 jährlich rund 170 Menschen das Leben genommen – dreimal mehr, als in den Jahren vor der Krise.

Polizeigewerkschaft unterstützt die Verweigerung von Zwangsräumungen

Erst diese Reihe von Selbstmorden zwang Mariano Rajoy dazu, zu reagieren. Nun ist ein Moratorium von bis zu zwei Jahren in Härtefällen vorgesehen. Um davon zu profitieren, dürfen die jährlichen Einkünfte einer Familie 19.000 Euro nicht überschreiten und die im Elternhaus lebenden Kinder nicht über drei Jahre alt sein. Von den 172 Zwangsräumungen, die in der 140.000-Einwohner-Stadt Lleida im Januar 2013 anstünden, würden diese Kriterien nur auf zwei Betroffene zutreffen, berichtet die PAH. Auch würde in diesen zwei Jahren der Duldung durch die Verzugszinsen der Schuldenberg weiter anwachsen. "Das Moratorium war von vorneherein so definiert, dass es von möglichst wenigen in Anspruch genommen werden kann". kritisiert Afuera Pons.

Langsam scheint jedoch die kalte, alltägliche Routine der Zwangsenteignungen aufzubrechen. Die größte spanische Polizeigewerkschaft (SUP) sicherte Polizisten juristische Hilfe zu, die nicht an Zwangsräumungen teilnehmen wollen. Kutxabank, eine Bank im Baskenland versprach, auf Zwangsvollstreckungen zu verzichten.

Doch noch immer werden täglich über 500 Wohnungen in Spanien zwangsgepfändet und weitere Menschen auf die Straße gesetzt, während je nach Schätzung 600.000 bis 3.1 Millionen Wohnungen in ganz Spanien leer stehen. Die von der Regierung jüngst geschaffene "Bad Bank" hat sogar den Auftrag, Wohnblöcke abreißen zu lassen, für die es am Markt keinen Bedarf gebe. "Unsere Gesellschaft kann sich das nicht leisten", findet Afuera Pons.