Kein Weg aus dem Musterkirchenkreis

Illustration: iStockphoto/Alex Slobodkin
Das Dorf kritisiert die "Huber-Kirche", in der ohne Rücksicht auf Verluste von oben nach unten durchregiert werde. Für die ehemalige Gemeinde tut sich ein tiefer Riss in der Kirche auf.
Kein Weg aus dem Musterkirchenkreis
Nach dem Impulspapier "Kirche der Freiheit" im Jahr 2006 wollte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sich mehr auf das konzentrieren, was in der Zukunft wichtig ist. Für Gemeinden heißt das aber unter anderem, dass sie bestimmte Arbeitsbereiche zusammenlegen. Die Gemeinde Manker-Temnitztal ist zwar freiwillig fusioniert. Aber als sie dann wieder eigenständig werden wollten, mussten Pfarrer, Kirchenrat und der engagierte Rechtsanwalt einsehen: Einfach wird das nicht.

Vor gut vier Jahren wurde im Kirchenkreis Wittstock-Ruppin ein Reform- und Fusionsprozess eingeleitet, der ganz so aussah, wie im Impulspapier "Kirche der Freiheit" vom damaligen EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber beschrieben. Gemeinden fusionieren zu Großgemeinden, die Gemeindepfarrer werden zu flexiblen Spezialtheologen und die Finanzen werden nicht mehr von den Gemeinden selbst, sondern zentral verwaltet.

Dumm nur, dass schon zu Beginn der Erprobungsphase Gemeinden nicht mitspielen wollten. Jetzt hat die Ortsgemeinde Manker-Temnitztal bei der Landeskirche geklagt. Sie will ihre Kirche wieder neubilden und selbständig werden. In erster Instanz hat die alte Ortsgemeinde verloren. Kritiker befürchten, dass dies Signalwirkung für die ganze EKD haben könnte.

Kirchenleitung überzieht Pfarrer mit Disziplinarmaßnahmen

Der Superintendent des Kirchenkreises Wittstock-Ruppin, Matthias Puppe, sieht den Reform- und Fusionsprozess in seinen Gemeinden auf einem guten Weg. Es gehe im 21. Jahrhundert darum, flexibler und moderner zu werden. "Viele Mitarbeiter arbeiten jetzt im Team. Ich beobachte eine große Zufriedenheit mit dem Berufsbild, weg von diesem Einzelkämpfertum", schwärmt der Superintendent.

Südwestlich von Neuruppin sehen die Gemeinde Manker-Temnitztal und ihr Pfarrer Stephan Scheidacker das ganz anders. Man verliere seine Eigenständigkeit, wenn die Finanzen von oben geregelt werden. Auch befürchtet man, dass der Dorfpfarrer zum Spezialtheologen verkomme, der von weit her nur noch stundenweise etwa für die Jugend- oder Altenarbeit vorbeischaut. Der Reformprozess zugunsten von Gesamtgemeinden führe zur Beseitigung der dorfkirchlichen Strukturen.

Pfarrer Stephan Scheidacker. Foto: Thomas Klatt

"Wer sich ein bißchen auf dem Land auskennt, der weiß, dass jedes Dorf seine eigene Identität hat. Das ist die bewusste und systematische Abschaffung von Kirche auf dem Land", warnt der bisherige Pfarrer von Manker-Temnitztal, der mittlerweile in der Nachbarkirchengemeinde im Nachbarkirchenkreis Dienst tut. In einer sogenannten Friedensvereinbarung wurde festgelegt, dass Scheidacker auch weiterhin für seine alte Gemeinde tätig sein dürfe. Doch seitens der Landeskirche wurde der Frieden aufgekündigt. Seit Monaten wird der widerständige Pfarrer von seiner Kirchenleitung mit Disziplinarmaßnahmen überzogen, von der Beurlaubung bis zur Androhung, ihn psychiatrisch begutachten zu lassen. Scheidacker hat dagegen beim Konsistorium Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Mittlerweile wurden sogar die Schlösser im Gemeindehaus ausgetauscht, damit er nicht mehr in seinem alten Dorf arbeiten kann.

Kritiker sollen einfach mundtot gemacht werden, ahnt Scheidacker. Mit aller Gewalt soll ein Musterkirchenkreis für die gesamte Evangelische Kirche in Deutschland durchgedrückt werden, ein Prestigeprojekt der Kirchenleitung. Im Dorf spricht man auch von der "Huber-Kirche", wo eben ohne Rücksicht auf Verluste von oben nach unten durchregiert werde. Superintendent Matthias Puppe bestreitet das vehement.

Seltsam ist nur, dass gerade mit Unterstützung der EKD nun zum Ende der fünfjährigen Erprobungsphase eine Evaluation durchgeführt wird. Die Gemeinde Manker-Temnitztal werde aber, obwohl sie darum gebeten hatte, gar nicht erst befragt, sagt Scheidacker. "Das erinnert mich an die DDR, wo die Fünfjahrespläne immer übererfüllt wurden. Es wird nur schöngeredet", vermutet der Pfarrer.

"Extrem traurig, wie hier Christen mit Christen umgehen"

Das langjährige Gemeindekirchenratsmitglied Christa Golchert wehrt sich gegen die Reform von oben und dass ihr Gemeindepfarrer aus dem Verkehr gezogen werden soll. "Pfarrer Scheidacker ist 25 Jahre bei uns. Er hat unsere Kirchen in unseren Gemeinden instand gesetzt. Durch die große Fusion ist es ja so, dass sie die Pfarrer von oben selber einsetzen wollen. Wir wollen keinen fremden Pfarrer", klagt die Gemeindechristin.

Um nicht mehr nur am Gängelband des Kirchenkreises zu sein hat Christa Golchert jetzt mit anderen Gemeindegliedern den privaten "Christlicher Verein Manker-Temnitztal" gegründet. Und ihre Mitstreiterin Cornelia Seidel-Huschke ergänzt fassungslos: "Ich habe nichts gegen Moderne und nichts gegen Veränderung. Ich finde es nur extrem traurig, wie hier Christen mit Christen umgehen. Manche müssen eben die Macht ausüben und das finde ich sehr sehr traurig."

Fusionsprozess in rechtlicher Grauzone

Zuletzt hat die Gemeinde Manker-Temnitztal auf die Kirchengerichtsbarkeit gehofft und auf Wieder-Neubildung als selbständige Kirchengemeinde geklagt. Aber vergebens. Eine Gemeinde, die es nicht mehr gibt, weil sie fusioniert wurde, könne nicht mehr klagen. Denn nach einer Zusammenlegung sei eine Gemeinde eben keine juristische Person mehr, entschied jetzt das Berliner Kirchengericht in erster Instanz und wies die Klage der Brandenburger ab.

###mehr-links###Rechtsanwalt Georg Hoffmann, der die betroffene Kirchengemeinde Manker-Temnitztal vertritt, ist davon überzeugt, dass die Landeskirche die Gemeinden vor fünf Jahren zu Beginn des Fusionsprozesses getäuscht hat. Die Ortskirchenräte hätten heute so gut wie nichts mehr zu entscheiden, weder in Personal- noch in Haushaltsfragen. Die Gemeinde Manker-Temnitztal sei betrogen worden, habe sie doch ihre Eigenständigkeit verloren, ohne dass dies kirchenrechtlich klar benannt worden sei.

Martin Richter, verantwortlicher Jurist im Konsistorium der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, hält dagegen, dass es von Anfang an Transparenz und viele Gespräche gegeben habe. Allerdings gibt der Kirchenjurist zu, dass sich der Fusionsprozess zum Teil noch in einer rechtlichen Grauzone bewegt.

Keine Gemeindepfarrer in den Dörfern mehr?

"Die Satzung ist von der Gesamtkirchengemeinde beschlossen worden. Allerdings sieht das Erprobungsgesetz vor, dass diese Satzung von der Kreissynode zu genehmigen ist. Und diese Genehmigung gibt es noch nicht. Wir sind insofern im Schwebezustand innerhalb der Erprobungsphase", erklärt Richter.

Selbst wenn Manker-Temnitztal nun in die Berufung gehen sollte, werde die Reform mit Biegen und Brechen durchgesetzt, ahnt der Anwalt der Gemeinde. Letztlich sei das Urteil gegen Manker-Temnitztal nicht nur ein Signal an die Region, sondern an alle evangelischen Kirchengemeinden in Deutschland. Beispielhaft solle hier ein Reformprozess im Kirchenkreis für die ganze EKD durchgesetzt werden. Selbst der für den Fusionsprozess im Kirchenkreis verantwortliche Jurist Martin Richter spricht von einem Modell-Charakter.

Eine Art Supergemeinde?

Hoffmann fürchtet nun, es gehe letztlich nicht nur darum, alte Gemeindestrukturen zu zerstören, sondern künftig werde es auch keine Gemeindepfarrer in den Dörfern mehr geben.

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"Das Problem ist, dass die Kompetenzen der Kirchenkreise erweitert werden und die Kirchenkreise eine Art Supergemeinde werden. Die machen die Personalpläne, die entscheiden, ob eine Pfarrstelle wieder besetzt wird oder nicht. Und die EKD hat, um das zu erleichtern, das Pfarrerdienstrecht geändert, damit Gemeindepfarrer leichter versetzt werden können, was früher nicht möglich war", warnt der Rechtsvertreter der Gemeinde Manker-Temnitztal.

Mittlerweile hat Rechtsanwalt Hoffmann zusammen mit Gleichgesinnten den "Gemeindebund in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz" gegründet. Gemeinsam wollen sie für eigenständige Kirchengemeinden kämpfen. Und sie wollen verhindern, dass der dörfliche Gemeindepfarrer bald nur noch eine Erinnerung aus alten Tagen sein könnte.