"Die Piroge": In einem Boot mit Flüchtlingen

Flüchtlinge aus dem Senegal
Foto: EZEF
"Die Piroge": In einem Boot mit Flüchtlingen
Packend, bildgewaltig, hautnah: Der Film "Die Piroge" des senegalesischen Regisseurs Moussa Touré zeigt das Schicksal afrikanischer Bootsflüchtlinge aus einem ungewohnten Blickwinkel – und zeichnet damit ein berührendes Bild der afrikanischen Realität.

Jury der Evangelischen Filmarbeit

Ein buntbemaltes Fischerboot in den endlosen Weiten des Atlantiks, an Bord 29 Männer und eine Frau mit ganz eigenen Wünschen, Träumen und Hoffnungen – auf dieses Bild verdichtet Regisseur Moussa Touré die westafrikanische Flüchtlingsproblematik. Sein Film "Die Piroge" betrachtet das Thema aus einer ungewohnten Perspektive. Touré lässt seine Kamera mit auf die gefahrvolle Reise gehen, ist hautnah dabei, wenn die Flüchtlinge mit den Gefahren der Überfahrt kämpfen. Gleichzeitig aber fragt Touré auch nach den sozialen Ursachen für die Emigration der Massen.

Es ist ein Blickwinkel, der den europäischen Zuschauer überrascht und neugierig macht. Moussa Touré zeichnet ein farbenfrohes Panoptikum des Senegal als einer vitalen und lebendigen Gesellschaft. Da geht es um iPhones, Ringwettkämpfe und die Träume junger Männer vom ersten Plattenvertrag. "Die Piroge" (frz. "La Pirogue") bedient gerade nicht das Klischee von Armut und Verzweiflung. "Es geht niemand aus Hunger von dort weg", sagt Bernd Wolpert. Der Leiter des Evangelischen Zentrums für Entwicklungsbezogene Filmarbeit (EZEF) kennt sich selbst in Afrika aus und hat die Entstehungsgeschichte des Films verfolgt. Sein Institut hat gemeinsam mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) die Produktion von "Die Piroge" unterstützt. 

Wolpert schätzt an Tourés Film, dass er die vielfältigen Gründe und Motivationen der Flüchtlinge sichtbar und verstehbar werden lässt. "Es ist eine der größten Eigenschaften des Films, dass er den Perspektivwechsel leicht macht", sagt Wolpert. Wichtig sei, dass "Die Piroge“ nichts mit einer Opferhaltung zu tun habe. "Wenn wir uns auf den Film einlassen, sehen wir die Migrationsthematik eben nicht nur von den Zinnen der Festung Europa, sondern aus der Sicht von Afrikanern".

Emotionale Konflikte auf kleinstem Raum

Aus der Sicht der Afrikaner, das bedeutet auch, ethnische und kulturelle Unterschiede zu verstehen. Die Schicksalsgemeinschaft an Bord der Piroge ist ein bunter Haufen von Männern mit ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten. Da gibt es einige, die von der Künstlerkarriere in Europa träumen, während andere sich ganz realistisch als Feldarbeiter in Andalusien sehen. Manche der Männer sind Fischer, andere haben das Meer noch nie gesehen. Sprachliche Hürden spielen ebenso eine Rolle wie entgegengesetzte Überzeugungen. Da gibt es den zweifelnden Kapitän Baye Laye, der das ganze Abenteuer am liebsten abblasen würde, und den Schlepper Lansana, der sich selbst nach einem besseren Leben sehnt.

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Moussa Touré lässt all diese Konfliktlinien auf denkbar kleinstem Raum aufeinandertreffen – an Bord eines überladenen Kahns. "Hier sind alle auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen“, sagt Bernd Wolpert. Das sei der Antrieb des Films, der den Zuschauer bis zum Schluss packt. Je strapaziöser die Überfahrt wird, je größer die Gefahren, desto mehr wird die kleine Gemeinschaft zusammengeschweißt. Aber es gibt auch Reibepunkte, wenn zum Beispiel eine junge Frau als blinder Passagier aufgespürt wird oder die Flüchtlinge entscheiden müssen, ob sie einem anderen Boot in Seenot helfen sollen.

Hunger, Durst, Angst und Verzweiflung – mit alldem müssen die Passagiere der Piroge immer wieder kämpfen. Die emotional stark aufgeladenen Szenen stehen im Kontrast zur opulenten Bildsprache des Films, der das Geschehen ausgesprochen ästhetisch in Szene setzt. Darf das sein? Für Bernd Wolpert besteht hier kein Gegensatz: "Wenn man die fiktionale Form wählt, dann ist es auch erlaubt, die ganze Bandbreite filmischer Mittel zu nutzen." Gerade durch Tourés Fixierung auf intime Nahaufnahmen werde der Zuschauer in das Geschehen hineingezogen. "Hier bekommen die Flüchtlinge ein Gesicht“, findet Wolpert. "Jeder dieser Menschen bekommt Individualität".

Kritik und Selbstironie

Am Ende schaffen die Flüchtlinge es nur bis auf die Kanaren – von dort sollen sie per Flugzeug zurück in ihr Heimatland geschickt werden. Doch anders als viele Flüchtlingsdramen bemängelt "Die Piroge" nicht etwa die restriktive Einwanderungspolitik der EU. "Nicht die Europäer werden angeklagt", betont Wolpert. "Es wird eher der senegalesische Staat kritisiert, der ein Rückkehrabkommen mit Europa schließt und so die eigenen Bürger ihrer Freiheit beraubt“.

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Mit diesem kritischen und manchmal auch selbstironischen Blick hat es Moussa Touré in den vergangenen zwanzig Jahren zu einem der größten Filmemacher des Senegal gebracht. Filme wie "TGV" und "Toubab Bi" zeichneten das Bild eines vielfältigen, manchmal skurrilen, aber auch pragmatischen Kontinents und seiner Einwohner. "Die Piroge" ist nachdenklicher, geht mehr unter die Haut - und gerade damit ist Touré gelungen, auch die europäischen Kritiker zu begeistern. Der Film wurde bei den Festspielen in Cannes vor ausverkauftem Haus gezeigt; er räumte deutsche, französische und afrikanische Filmpreise ab.

"Die Piroge" ist ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr Menschlichkeit, welches das Schicksal von Millionen Bootsflüchtlingen stellvertretend sichtbar macht. Deshalb glaubt Bernd Wolpert daran, dass der Film eine große Öffentlichkeit für drängende Fragen schafft: "Schwierige Themen erreichen dadurch, dass sie in einer packenden Geschichte erzählt werden, auch Menschen, die sich sonst nicht mit der Thematik beschäftigen".

Kein Publikum für Flucht und Migration?

Trotzdem konnte die EZEF keinen deutschen Filmverleih für das Flüchtlingsdrama begeistern. "Flucht und Migration sind hier ein negativ besetztes Thema", erklärt Wolpert. Viele Verleiher schreckten deshalb davor zurück, dem Zuschauer mit solch einem Film entgegenzutreten. Doch da unterschätzen die Verleihfirmen ihr Publikum, glaubt die EZEF.

Das Institut hat den Verleih daher selbst in die Hand genommen. Im April startete der Film offiziell als "Film des Monats" der Evangelischen Filmarbeit, im kommenden Monat wird er zunächst vor allem in hessischen Programmkinos vorgeführt. Ab Juni wird Moussa Touré "Die Piroge“ dann persönlich in vielen deutschen Großstädten vorstellen.