Hüter der verlorenen Bücher

Foto: epd-bild/Simon Laufer
Vor 80 Jahren, am 10. Mai 1933, verbrannten die Nazis Zehntausende Bücher. Georg P. Salzmann aus Gräfelfing (Foto vom 30.04.2013) sammelte die verfemte Literatur sein Leben lang, um sie vor dem Vergessen zu bewahren.
Hüter der verlorenen Bücher
Vor 80 Jahren, am 10. Mai 1933, verbrannten die Nazis Zehntausende Bücher. Georg P. Salzmann aus Gräfelfing sammelte die verfemte Literatur sein Leben lang, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. Heute ist sie in Augsburg öffentlich zugänglich.
10.05.2013
epd
Simon P. Laufer

Georg Salzmanns Liebe zu den verbotenen Büchern begann im Juni 1945. Schon vorher hatte er gerne gelesen: Nazi-Schriftsteller wie Erich Dwinger oder Hugo Bernatziks "Völkerkunde". Alles andere hatte ihm sein Vater, ein überzeugter Nazi, verboten. Selbst Karl May stand auf dem väterlichen Index.

Als der Krieg verloren war, nahm Salzmanns Vater sich das Leben. Ein amerikanischer Offizier zeigte dem damals 16-Jährigen die Konzentrationslager, gemeinsam mit einem Freund besuchte er Weimar. Dort, in einer kleinen Buchhandlung, stieß er auf das Buch "Der jüdische Krieg" des von den Nazis verfemten Lion Feuchtwanger. "Das würde ich heute noch auf eine einsame Insel mitnehmen", sagt Salzmann, heute 84 Jahre alt. "Damit fing alles an."

Sammeln gegen das Vergessen

Was damals anfing, sollte viele Jahre später zur größten privaten Sammlung der von den Nazis verbotenen Literatur werden. Am 10. Mai 1933 hatte der "Deutsche Studentenbund" zu einer groß inszenierten öffentlichen Bücherverbrennung aufgerufen. Bücher von Autoren wie Heinrich Mann und Erich Kästner wurden verbrannt, später wurde die Liste verfemter Schriftsteller immer länger. "Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen", hatte Heinrich Heine schon 1821 geschrieben - und sollte recht behalten.

Salzmann las nach dem Krieg die Zeitschrift "Aufbau", die Publikation des russischen "Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands". Er begeisterte sich für Thomas Mann und Theodor Plievier (1892-1955), saugte die neu entdeckte Literatur auf, noch ohne sie systematisch zu sammeln. 1948 steckten ihn die Behörden der damaligen sowjetischen Besatzungszone ins Gefängnis, um an seine Firma zu kommen. Ein Jahr später kam Salzmann frei, heiratete und ging in den Westen.

Sein Geld verdiente er bis zum Ruhestand 1990 mit Immobilien, seine Leidenschaft galt der Literatur. "Ich habe mich immer als Teil des 'Volks der Dichter und Denker' empfunden." Aus seiner Lese- wurde Sammellust und 1976 fasste er das Ziel, die einstmals verbotenen Bücher möglichst vollständig und als Erstausgaben zu erwerben. "Mir ist bewusst geworden, dass die Nazis mit ihrer Kulturpolitik versucht haben, diesen Teil der Literatur aus dem Gedächtnis der Deutschen zu eliminieren", sagt er. So sammelte er gegen das Vergessen an.

12.000 Bücher von über 80 Autoren

Bei den Bücherverbrennungen schlug Hochkultur in Hass und Vernichtungswillen um. In Berlin wollten 70.000 Zuschauer sehen, wie etwa 25.000 "undeutsche" Bücher auf dem Opernplatz verbrannt wurden, in München kamen 50.000 Menschen zusammen. In 20 weiteren Universitätsstädten brannten die Bücher und mit ihnen die Menschlichkeit. In ganz Deutschland hörten Menschen die Hetzrede des Propagandaministers Joseph Goebbels, eines promovierten Germanisten, im Radio. Zum Auftakt und zum Ausklang spielte ein Kammerorchester Ludwig van Beethoven.

Salzmanns Sammeltrieb wurde irgendwann zur "Lebensaufgabe". Von den 60 wichtigsten Autoren wollte er alle Werke erstehen. Immer wieder lud er Schulklassen in sein Haus nach Gräfelfing ein, interessierten Schülern schenkte er Dubletten. "Ich wollte erreichen, dass die verbotenen und verbrannten Bücher nicht auch noch zu vergessenen werden", sagt er. Er leidet darunter, dass das Interesse für die ehemals verbotenen Autoren heute immer geringer zu werden scheint.

Seit 2009, als Salzmanns Haus aus allen Nähten platzte, steht die "Bibliothek der verbrannten Bücher" in der Universitätsbibliothek Augsburg. 12.000 Bücher von über 80 Autoren umfasste die Sammlung, als Salzmann sie an den Freistaat Bayern verkaufte. Ein großer Teil der Bestände ist in einem eigenen Raum der Universitätsbibliothek öffentlich zugänglich, einige handsignierte und seltene Exemplare lagern im Magazin.

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"Die Sammlung in ihrer Komplettheit, in diesem Umfang, ist schon etwas Einzigartiges", sagt Georg Stumpf von der Universitätsbibliothek. Mit Veranstaltungen will die Universität das Interesse daran aufrechterhalten, in diesem Jahr mit einer Ausstellung zum Thema "Exil in den USA". Die Aufbereitung der Sammlung ist schon weit vorangeschritten. In den Regalen fehlt noch der Buchstabe Z, wie Carl Zuckmayer und Arnold Zweig, sowie einige ausländische Autoren. "Und die eine oder andere Lücke wird noch durch Zukäufe geschlossen werden", sagt Stumpf.

Georg Salzmann ist inzwischen ein paar Häuser weiter gezogen, ins Altersheim. Immer noch schwärmt der 84-Jährige leidenschaftlich von seinem "Idol" Stefan Zweig, von politischen Autoren wie Alfred Döblin, von Feuchtwanger oder dem Expressionisten Ernst Weiß. Seinen Doktortitel, den er sich immer gewünscht hat, strebt er nicht mehr an. Aber von Büchern ist er umgeben wie eh und je. Bald eröffnet er seine erste Ausstellung im Seniorenzentrum: "Das illustrierte Buch im 20. Jahrhundert".