Kein Ort für Träumer: Das Öko-Dorf Sieben Linden

Foto: Lilith Becker
Der Acker wird mit Pflug und Pferden bewirtschaftet.
Kein Ort für Träumer: Das Öko-Dorf Sieben Linden
1997 kamen sie mit 20 Leuten und wohnten größtenteils in Bauwagen. Heute leben 140 Menschen im Ökodorf Sieben Linden. Sie alle eint der Wunsch nach einem ökologisch nachhaltigen Leben.
07.05.2013
evangelisch.de

Simone Britsch und Christoph Strünke waschen sich mit dem gleichen Shampoo die Haare, sie benutzen die gleiche Seife, teilen ihr Essen - nicht weil sie ein Paar wären, sondern weil sie im selben Dorf leben. Und die anderen 138 Dorfbewohner tun es ihnen gleich, ob Kind oder Senior. Ganz Sieben Linden teilt sich eine Speisekammer, die gemeinsam gefüllt wird: zu 60 Prozent aus eigenem Anbau, der Rest wird im Bio-Großhandel dazugekauft. Konventionelle Lebensmittel sind hier nicht gerne gesehen, auch das Tragen von Markenklamotten ist verpönt - der Pulli darf ausgeleiert sein.

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Simone und Christoph, im Dorf duzt man sich, sind beide um die 40. Sie kennen sich schon aus dem Studium in Lüneburg, wo sie beide etwas mit Umwelt und Ökologie studiert haben. Heute wohnen sie in einem Haus des Ökodorfs Sieben Linden in der Altmark in Sachsen-Anhalt. Im Dorf gibt es mehrere Häuser, Nachbarschaften genannt. Simone und Christoph wohnen in der Nachbarschaft Windrose, Simone im ersten Stock mit Mann und vier Kindern, Christoph alleine im Erdgeschoss. Mit ihnen in der Windrose wohnen noch zwei andere Familien "mit ähnlichen Interessen", sagt Simone.

Von der Stadt zurück ins Dorf

"Ähnliche Interessen" heißt: will jeder seine eigene Wohnung mit Küche? Oder teilen sich alle Bewohner das Bad? Ziehen zwei Elternpaare zusammen ein Kind auf oder lebt man in der klassischen Kernfamilie? Alle gemeinsam eint, dass sie eine Konsum- und Industriekultur ablehnen. Es sei denn, die Kinder pubertieren und wollen mal ein anderes Deo benutzen und nicht die alten abgetragenen Klamotten anziehen, dann wird in der Gemeinschaft diskutiert, ob es eine Ausnahme geben kann. Und auch wenn eine Ausnahme mal vorkommt: das Ziel ist klar formuliert.

Durchschnittlich 300 bis 400 Raummeter Holz verheizen die Bewohner im Jahr. Foto: Lilith Becker

Hat sich eine Gruppe mit gemeinsamen Interessen gefunden, baut sie, wenn finanziell möglich, ein Haus. Die eigene Wohnungsgenossenschaft hilft dabei. Es darf ein Fertighaus sein oder auch eines nach eigenen Plänen, mit bezahlten Handwerkern oder ganz in Eigenregie gebaut - Hauptsache, das Haus ist ökologisch nachhaltig, besteht möglichst aus recycleten Materialien, wird möglichst in Strohballen-Technik errichtet. Alle Häuser in Sieben Linden haben Solarzellen auf dem Dach, Komposttoiletten in den Bädern und alle Nachbarschaften heizen mit Holz aus dem dorfeigenen Wald - nur ein Teil der Energie wird zugekauft. So ganz autark geht es dann eben doch nicht, auch wenn das das erklärte Ziel der Bewohner und der geistigen Vordenker des Dorfes ist.

Von der Stadt zurück ins Dorf war der Wunsch, der die ersten Visionäre Ende der 1980er einte: das Dorf sollte dabei nicht nur Schlafplatz für in der Stadt arbeitende Menschen sein, sondern Mittelpunkt der Bewohner. Arbeiten und Leben sollte wieder an einem Ort stattfinden und zwar mit dem Ziel von den Früchten der Arbeit selbst leben zu können.

Eigene Haustiere sind nicht erlaubt

Die Bewohner streben nach einer nachhaltigen Autarkie in allen Lebensbereichen: in Landwirtschaft, beim Bauen und Wohnen und bei der Energieerzeugung. Ziehen neue Menschen ins Dorf, wohnen sie meist zunächst in Bauwagen. Auch die zehn jungen Leute, die hier ein Freiwilliges Ökologisches Jahr machen, wohnen in Bauwagen - auch wenn deren Energiebilanz teilweise katastrophal ist. Doch Häuser bauen kostet eben nicht nur Zeit, sondern auch Geld.

Ein Bauwagen: typische Behausung einiger Bewohner. Foto: Lilith Becker

Geld bedeutet für die Bewohner Sieben Lindens zwar weniger als für einen Großteil der Bevölkerung, doch auch wenn sie gerne unabhängig davon wären - ohne geht es nicht. Wer nach Sieben Linden ziehen möchte, muss Mitglied der Siedlungsgenossenschaft werden und sich mit einer Einlage von 12.500 Euro beteiligen. Außerdem muss sich jeder natürlich an der anfallenden Arbeit auf dem Gelände des Dorfes beteiligen. 90 der 100 Erwachsenen arbeiten zudem in den Dorfeigenen Betrieben: im Land- und Gartenbau, in der Forstwirtschaft oder im Bildungsbereich.

Zwei Pferde ziehen den Pflug über den Acker, die Vögel zwitschern und nebenan stapeln junge Leute Kompost mit der Mistgabel für einen Biomeiler. Autofahren und Mobiltelefone sind auf dem Gelände verboten, es gibt jedoch Internet. Ein paar Gemeinschaftsautos des Dorfes stehen auf dem Parkplatz hundert Meter vor dem Dorf, dort ist auch die Handyzone. Haus- oder Nutztiere gibt es keine, abgesehen von den Zugpferden, da sich bisher die Fraktion der strengen Veganer durchgesetzt hat. Katzen und Hunde beispielsweise sind nicht gestattet, weil sie den Lebensraum der Vögel und Wildtiere des angrenzenden Waldes stören könnten.

Feuerlösch- und Badeteich sowie Biotop; das Haupthaus des Dorfes im Hintergrund. Foto: Lilith Becker

Das Ökodorf Sieben Linden ist ein Traum - für Menschen mit einer Sehnsucht in sich nach ökologisch gerechtem Leben. Ökologisch gerecht gegenüber sich selbst, anderen und ihrer Umwelt. Doch Sieben Linden ist kein Ort für Träumer. "Wir mussten uns von der Gemeinde bis in die Regierung hinein die Zustimmung erarbeiten", sagt Dieter Halbach, der 1997 als einer der ersten Bewohner im Dorf einzog. "Außerdem mussten wir die Gruppe so entwickeln, dass sie die Kompetenzen dazu erlernt, gerne miteinander zu leben".

Gemeinschaft zu leben bedeutet, im permanenten Austausch miteinander zu stehen. Im Falle von Sieben Linden begann es mit einem Plenum, dass sich jede Woche traf, um alles zu besprechen, was die Gemeinschaft betraf. Heute sind daraus fünf gewählte "Räter" geworden, die sich um Themen wie Lebensmittel, Bauen oder Soziales kümmern.

Um persönliche Befindlichkeiten untereinander zu klären, macht die Dorfgemeinschaft einmal im Jahr eine Intensivwoche, in der sie sich mit sich selbst beschäftigt. Außerdem üben sich die Bewohner in gewaltfreier Kommunikation, beispielsweise im wöchentlichen Forum: in einem Stuhlkreis steht eine Person, die den Umsitzenden ihre Gefühlslage zu einem beliebigen Thema erläutert. Die anderen geben daraufhin "Spiegel", wie die Bewohner es nennen. Die Gefühlslage des Sprechenden soll dabei nicht diskutiert werden, sondern die Methode soll helfen, Emotionen zu kanalisieren und so das gegenseitige Verstehen fördern.

"So sehen wahre Christenmenschen aus"

"Ich bin hier, weil ich wissen will, warum die Sieben Lindener es geschafft haben, schon so lange zusammenzuleben", sagt Wilfried Klenter, Architekt aus Münster, der an Projektinformations-Tagen im Ökodorf teilnimmt. Ein Wochenende, das Menschen tiefere Einblicke in die Struktur des Dorfes gewährt, die sich mit dem Gedanken tragen nach Sieben Linden zu ziehen. Außerdem ein Seminarangebot des Bildungsbereichs des Ökodorfs.

Wilfried Klenter ist Mediator und hat zahlreiche Gemeinschaftsprojekte begleitet. "Die meisten scheitern", sagt er. Denn Wunsch und Wirklichkeit klafften zu oft auseinander. Sieben Linden hingegen ist seit seiner Existenz innerhalb von 16 Jahren kontinuierlich gewachsen. Wilfried Klenter glaubt, dass das Gelingen des Gemeinschaftsprojekts an der hingebungsvollen Kommunikation liegt, die die Bewohner miteinander pflegen. Auch Helmut Fehse, der 2001 als Bürgermeister der Gemeinde Beetzendorf, in die Sieben Linden eingemeindet wurde, zum Ökodorf interviewt wurde, sagte über die Bewohner: "Was mich fasziniert, ist dieser Umgang miteinander. Sie können mit denen stundelang und endlos diskutieren und werden nie erleben, dass da einer ausrastet. Also im Umgang miteinander: So sehen wahre Christenmenschen aus, habe ich immer gesagt."

Der Wandelgang des Globolo - ein Ort der Einkehr aus Robinien errichtet. Foto: Lilith Becker

Die Sieben Lindener sind für Religion offen, wie sie es für den Lebensstil unterschiedlicher Menschen sind. Es gibt Christen, Buddhisten, Atheisten, Menschen, die eine Spiritualität in sich spüren und die Anhänger der Tiefenökologie. Diese betrifft im Grunde jedoch alle Dorfbewohner mehr oder weniger, da die Tiefenökologie Teil der Vision ihres Dorfes ist: sich als Teil eines Ganzen zu begreifen, als Teil der Gruppe und der Natur, und deshalb der Versuch in Rücksicht auf alle Schöpfung zu leben.

Ausdruck findet das auch auf dem spirituellen Gemeinschaftsplatz des Dorfes - auf dem Globolo, eine Wortschöpfung aus Globus und Bolo. Eine Geomantin hatte diesen Ort gefunden; mit dem Haupthaus am Eingang des Dorfes ist er über den Drachenweg verbunden, nach einer unterirdischen Energielinie in der Geomantie benannt. Ein Wandelgang aus Robinien umgibt den Platz. Es gibt ein Windspiel und drei Plätze für Jurten, außerdem einen Lehmofen. Der Ort dient der Stille, aber auch der Gemeinschaft für Sommerfeste.

Elisabeth Reinicke fühlt sich für das Globolo verantwortlich. Seit viereinhalb Jahren lebt sie in Sieben Linden. "Wir sind hier in Sieben Linden sehr stark im Schaffen von Materie und in der Struktur", sagt sie, weshalb das Globolo für sie ein Ort sei, "wo auch das Feinstoffliche mehr Platz hat. Wo zum Beispiel die Elementarwesen oder sowas wie Gebet oder Meditation oder einfach Lauschen oder Muße" ihren Platz hätten.

Der Alltag bedeutet in Sieben Linden wie außerhalbaber auch: Arbeit. Menschen, die von außerhalb kommen und sich für Sieben Linden interessieren, sind jedoch oft fasziniert von der Gemeinschaft wie sie hier gelebt wird: "Die Zeit vergeht hier langsamer", sagt Julia Schwegmann, "die Gemeinschaft beeinflusst und motiviert sich gegenseitig in einer sehr positiven Weise", findet Dirk Jacobsen, "wie die Menschen hier miteinander umgehen ist stimmig und offen", sagt Detlef Flüh.

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Doch trotz des vielen Guten ist nichts Lebendiges perfekt. Die Ziele sind groß und das gemeinsame Leben aber dennoch Kompromissen unterworfen. Ein paar Besucher sind irritiert wegen der vielen Plastikeimer und der Plastikgartenmöbel auf dem Gelände. Eine junge Frau, die ein Ökologisches Jahr macht, ist der Meinung, dass es ein zu großes Angebot an Essen gibt: "Das ist für mich nicht genug Absage an die Konsumkultur", sagt sie. Bewohnerin Simone Britsch nennt ihre Lebensweise lächelnd "Öko-Luxus", und eine Besucherin, alleinerziehende Mutter von drei Kindern, ist traurig, weil sie nicht zur potenziellen Zielgruppe des Dorfes gehört: "Als ich Sieben Linden im Internet gefunden habe, dachte ich: mein Traum passt genau hier hinein." Aber sie wird diesen Traum hier voraussichtlich nicht finanzieren können.

Die Vision des Dorfes ist eine ehrenvolle, das Projekt Sieben Linden ein lebendiges und der Idealismus wird auch durch Fluktuation und die Besucher der vielen Seminare am Leben gehalten. Sieben Linden ist ein Traum - aber eben kein Ort für Träumer.