Islamunterricht: "Schüler suchen ihren Weg"

epd-bild/Volkmar Schulz
Islamunterricht in Deutschland: Bisher gibt einen bunten Mix aus Modellversuchen in den Ländern. Jetzt wird die Lehrerausbildung in vier Zentren konzentriert, und Islamunterricht wird zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen zum ordentlichen Schulfach.
Islamunterricht: "Schüler suchen ihren Weg"
Was Jugendliche in Bayern ihren Religionslehrer fragen
Islam-Unterricht in der Schule - ein Streitthema in Deutschland. Moscheeverbände befürworten den Schulunterricht, fragen aber auch kritisch, ob die Kinder dadurch dem Einfluss von Imamen entzogen werden sollen. Mittlerweile bilden deutsche Universitäten islamische Religionslehrer in deutscher Sprache aus. Amin Rochdi ist Doktorand an der Universität Erlangen-Nürnberg und Lehrer für islamischen Religionsunterricht an einer Realschule in Bayern. Er sagt im evangelisch.de-Interview, dass Moschee und Schule einander ergänzen.

Herr Rochdi, Sie sind einer der ersten Absolventen des Interdisziplinären Zentrum für Islamische Religionslehre (IZIR) an der Universität Erlangen-Nürnberg und erteilen Islamunterricht an bayrischen Realschulen. Inzwischen sind Sie am IZIR auch in der Ausbildung tätig. Was sind das für Studierende, die sich in diesem Fach einschreiben?

Amin Rochdi: Junge Frauen und Männer, die dieses Fach ganz bewusst gewählt haben, weil sie Lehrer für den islamischen Religionsunterricht werden möchten; dann gibt es auch Studierende aus muslimischen Elternhäusern, die Lehramt mit ganz anderen Fächern zu studieren beginnen und aufgrund der Auflagen im erziehungswissenschaftlichen Studium das eine oder andere Seminar am Interdisziplinären Zentrum für Islamische Religionslehre belegen. Dabei stellen sie fest, dass sie zwar Muslime sind, aber über ihre Religion nicht viel wissen. Erst über die Lehrveranstaltungen bekommen sie einen Zugang zum Islam.

Wie war es bei Ihnen? Was hat ihre Entscheidung beeinflusst?

Amin Rochdi: Mein Fall ist insofern ein besonderer, als dass ich marokkanisch-italienischen Migrationshintergrund habe, also einen muslimischen Vater und eine römisch-katholische Mutter. Ich bin muslimisch in dem Sinne sozialisiert worden, dass mein Vater zu Ramadan gefastet hat, wir kein Schweinefleisch gegessen und keinen Alkohol getrunken haben; für die Mitschüler war ich deswegen Moslem. Als Heranwachsender hatte ich selbst eigentlich keinen besonders starken Bezug zu theologischen Fragen. Das hat sich erst nach dem "11. September" geändert; denn ab dem Zeitpunkt wollten die Leute von mir "als Moslem" alles mögliche wissen und stellen Fragen zum Islam - Fragen, auf die ich überhaupt nicht zu antworten wusste.

Dann hat eigentlich erst Ihr Umfeld Sie zum Moslem gemacht?

Amin Rochdi: Ja, im Grunde schon. Mit meiner Religion habe ich mich ja nicht so sehr beschäftigt. Erst als ich nach den islamistischen Attentaten in den USA viel stärker mit der Zuschreibung Moslem konfrontiert wurde, wollte ich mehr über meine Religion erfahren. Mein Vater konnte mir - wie viele Muslime damals - keine Antworten geben, also habe ich angefangen, mich einzulesen. Meine Unkenntnis hat zu dem Entschluss geführt, mehr zu erfahren und mein Wissen zu reflektieren.

Nach dem Abitur war für mich klar, ich studiere irgendetwas mit Islam. Erst habe ich Politik- und Islamwissenschaften in Heidelberg studiert; als ich dann mitbekam, dass in der Zwischenzeit in Erlangen-Nürnberg der Studiengang Islamische Religionslehre angeboten wird, um Lehrer für den Islamischen Religionsunterricht auszubilden, habe ich dorthin gewechselt. Eben um Kinder und Jugendliche aus muslimischen Familien im Unterricht mit dem Islam vertraut zu machen.

Schülerfragen: "Darf ich ein Piercing haben? Darf ich eine Freundin oder einen Freund haben?"

Was lernen die Schüler bei ihnen?

Amin Rochdi: Der Islamunterricht basiert auf einem Lehrplan mit sieben Abschnitten, dazu gehört der neben dem theologischen auch der historische Bereich, also die Geschichte und Geographie der islamischen Länder sowie Inhalte, die der persönlichen Lebenshilfe zuzuordnen sind. Den Schülern wird aber auch Wissen über andere Religionen vermittelt.

Worin unterscheiden Sie sich als Islamlehrer vom Imam in der Moschee, der für die religiöse Unterweisung zuständig ist?

Islam-Unterricht in Deutschland
In den meisten westdeutschen Bundesländern gibt es Modellversuche, bei denen man zwischen Islamkunde und bekenntnisorientiertem Religionsunterricht unterscheiden muss. Einen Überblick über die Entwicklung in den Bundesländern bietet die Deutsche Islam-Konferenz in einer Dokumentation (Stand Februar 2011). Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sind Vorreiter auf dem Weg zur Einführung eines islamischen Religionsunterrichtes in deutscher Sprache als ordentliches Schulfach. Lehrer für den islamischen Religionsunterricht werden künftig in vier Zentren für islamische Theologie ausgebildet. An der Uni Tübingen nahm zum Wintersemester 2011/12 das erste dieser vier Zentren seinen Betrieb auf, die Standorte Münster/Osnabrück, Frankfurt/Gießen und Erlangen/Nürnberg werden folgen. Das Bundesbildungsministerium fördert die vier Zentren an deutschen Universitäten mit insgesamt rund 20 Millionen Euro.

Amin Rochdi: In sehr vielem! Vor allem aber darin, dass ich als Lehrer an einer öffentlichen Schule nicht vorne stehe und über Gott und die Welt predige, sondern mich auf die Schüler beziehe bzw. aus deren Perspektive theologische Inhalte beleuchte. Ich gehe auf ihre Situation und Fragen ein und orientiere mich im Unterricht auch an diesen Fragen. Die jüngeren Schüler sind beispielsweise behaftet von der Vorstellung des strafenden Gottes; die älteren wiederum haben andere, mit der Pubertät einhergehende Probleme.

Welche Fragen kommen dann?

Amin Rochdi: Darf ich ein Piercing haben? Darf ich eine Freundin oder einen Freund haben? ... und sie wollen wissen, wie weit sie gehen dürfen, wenn Sie einen Freund oder eine Freundin haben. Fragen in Bezug auf Sexualität kommen vor allem von den Schülern und Schülerinnen, die mich schon länger kennen und damit ein gewisses Vertrauen aufgebaut haben.

Was antworten Sie?

Amin Rochdi: Ich gehe auf diese Fragen ein, aber nicht auf dem Niveau von "das ist erlaubt" und "das ist verboten". Ich arbeite mit Primärquellen, versuche den Jugendlichen zu vermitteln, dass nach den Quellen mehr als nur eine Antwort möglich ist. Ich versuche ihnen zu vermitteln, dass sie Entscheidungen selbst treffen und diese mit ihrem Gewissen ausmachen müssen. Ich sage ihnen immer, dass sie sich selbst am Jüngsten Tag verantworten müssen und keinen anderen vorschieben können. Die Schüler fragen mich, sie fragen den Imam und versuchen dann ihren eigenen Weg zu finden. Und das ist gut und völlig legitim.

Gibt es andere Fragen, die immer wieder auftauchen?

Amin Rochdi: Ja, und zwar die Frage: "Kommen Christen in den Himmel?" Quer durch alle Jahrgangsstufen, die ich unterrichte, also von Schülern der 5. bis 10. Klasse, wird diese Frage immer wieder gestellt.

Wie kommen denn die Schüler auf diese Frage?

Amin Rochdi: Vielleicht, weil in ihrer primären religiösen Sozialisation hier und da aufschnappen, dass Christen nicht ins Paradies kommen. Diese Frage wird mir sicherlich auch gestellt, um mich zu checken. Denn die Schüler bekommen ja mit, dass ich zu so manch einem Thema eine andere Meinung habe als die, die sie in ihrem sozialen Umfeld mitbekommen.

"Für die Einübung der rituellen Handlungen ist nicht die Schule zuständig"

Neuerdings bewegt sich ja viel in Punkto islamischer Religionsunterricht. Diese Entwicklung wird durch die Politik forciert – wohl auch mit dem Hintergedanken, dass dann Kinder und Jugendliche dem Einfluss von Imamen aus den so genannten Hinterhofmoscheen weniger ausgesetzt sind. Ist der islamische Religionsunterricht eine Alternative zur religiösen Unterweisung in den Moscheegemeinden?

Amin Rochdi: Nein, das sehe ich nicht so. Während in der Moschee alles auf den gläubigen Muslim abzielt, geht es im Unterricht in einer öffentlichen Schule primär darum, die Schüler mit den notwendigen Kenntnissen und Kompetenzen auszurüsten, um sich als mündige Muslime in der Religion finden zu können und so freie individuelle Glaubensentscheidungen treffen zu können; es geht also darum, dass die Schüler ihr Muslimsein für sich erkennen und anderen gegenüber erklären können.

Der Unterricht in der Moschee kann gar nicht ersetzt werden, weil wir uns in der Schule dem Spirituellen und dem Gebet nicht ausreichend widmen können; ich kann den Kindern in einem Unterricht, der zwei Stunden in der Woche stattfindet, auch nicht das Koran-Lesen beibringen. Für die Einübung der rituellen Handlungen ist nicht die Schule zuständig. Der Islamunterricht in der Schule ist eine Ergänzung, aber kein Ersatz.

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Welche Rückmeldung bekommen Sie auf ihren Unterricht?

Amin Rochdi: Eltern berichten immer wieder mal, dass zuhause über den Islam gesprochen, ja diskutiert werde. Der Islamunterricht hat also auch eine Wirkung auf die Familie... und auch auf die Moscheegemeinden und letztendlich auch auf die islamische Theologie. Die wahren theologischen Fragen werden im Schulalltag und von den Jugendlichen gestellt und dies muss in der Ausbildung für islamische Religionslehrer berücksichtigt werden.

Neulich fragte mich ein Schüler, warum es keine weiblichen Imame gibt. Es hat mich gefreut, dass der Jugendliche so aufgeweckt ist und sich mit seiner Religion und der Praxis beschäftigt. Eine solche Frage zeugt von einer hohen Reflexionsgabe des Schülers. Hier zeigt sich die Wechselwirkung zwischen der Hochschulforschung und dem Schulalltag. Mit solchen Fragen müssen wir uns an der Uni beschäftigen – theologisch und pädagogisch - wenn wir den Anspruch erheben wollen, tatsächlich als Theologen und Religionspädagogen im deutschen Kontext wahrgenommen zu werden.

Das Interview mit Amin Rochdi führte Canan Topçu am Rande des Theologischen Forums Christentum - Islam in der Akademie der Diözese Ruttenburg-Stuttgart. Zielgruppe dieses wissenschaftlichen Netzwerkes sind TheologInnen, Sozial- und KulturwissenschaftlerInnen, die sich in der Forschung und in praktischen Arbeitsfeldern mit dem Verhältnis von Islam und Christentum befassen.