"Und die Welt steht still": Lieder aus dem Hospiz

Letzte Lieder und Geschichten
Foto: Lena Obst
Barocke Arien, deutsche Schlager und Whitney Houston. Bildausschnitt aus dem Cover von "Und die Welt steht still. Letzte Lieder und Geschichten von Menschen im Hospiz".
"Und die Welt steht still": Lieder aus dem Hospiz
Stefan Weiller hat Sterbenskranke aus zwei Hospizen in Frankfurt am Main und Wiesbaden nach den Liedern ihres Lebens gefragt und daraus eine beeindruckende multimediale Lesung mit Konzert zusammengestellt. Drumherum lässt er behutsam Geschichten erzählen und Lieder spielen, die die Welt stillstehen lassen.
15.05.2013
evangelisch.de

"Wenn's geht." Vieles geht im Hospiz nicht mehr. Aber wenn's geht, möchte die Frau aus Zimmer 1 heute Käsekuchen nach dem Schnitzel. Sterben im Hospiz heißt auch Leben im Hospiz. Rekapitulieren. Schwelgen. Bereuen. Sich und seine Lieben vorbereiten auf das Unausweichliche.

Du hast jeden Raum
Mit Sonne geflutet.
Hast jeden Verdruss
Ins Gegenteil verkehrt.

Die Geschichten erzählen von Freunden, die den Weg ins Hospiz schon lange nicht mehr finden. Ob es schon am Wort  - "Hospiz" - liegt? Viel Trost könne im langsamen Sterben liegen, findet der Ehemann der Patientin aus Zimmer Nummer 2. Die Zeit im Hospiz, das Sterben mache das gemeinsam Erlebte erst ganz. Vom Abschieben der Patienten könne nicht die Rede sein: "Wir erleben nun auch das Sterben gemeinsam." Eine ganz besondere Geschichte aus dem gemeinsamen Leben der beiden gebe es noch unbedingt zu erzählen, momentan sei seine Frau zu schwach. Doch zu dem Gespräch kommt es auch an einem anderen Tag nicht mehr.

Schauspielerin Daniela Fonda führt die Zuhörer in der Frankfurter Heiliggeistkirche von Zimmer zu Zimmer des Hospizes. Hansi Jochmann, deutsche Synchronstimme von Jodie Foster, spricht die persönlichen Gedanken der Sterbenden. Chor, Orchester und Solisten tragen die letzten Lieder der Patienten vor. Durch die Leinwand im Altarraum schimmert das Farbenspiel der Mosaikfenster. Pro Geschichte, pro Lied erleuchtet eine Kerzenflamme mehr. Sie flackern im Wind, brennen aber bis zum Ende.

Stefan Weiller hat es geschafft, trotz des tieftraurigen Themas keine trübsinnige Lesung zusammenzustellen. Viele Zuschauer vergießen bei bestimmten Liedern Tränen. Trotzdem wird zwischendurch gelacht. So wie bei der Dame, die von ihrem "Kuchen-Kaffee-Kartenspiel-Kreis mit acht Witwen" erzählt. Jetzt seien nur noch drei übrig – und sie eben ein bisschen, "aber das reicht ja nicht mal mehr zum Bridge". Trotzdem kommen die Freundinnen zu Besuch und dann beginne jeder zweite Satz mit "Weißt du noch...?". "Da liege ich dann, diese alte Frau, und lache – erzählen Sie das mal den Nachbarn." Sie wünscht sich das Lied "So nimm denn meine Hände". Eine andere Patientin sah Indrid van Bergen in einer Fernsehsendung "Wie das Glas in meiner Hand" singen. Dieser Umgang mit dem Sterben gefalle ihr. Gelegentlichen Neid auf das Leben und die Gesundheit der anderen gibt ein Patient zu.

Es kommt eine vielfältige Mischung zusammen, so vielfältig wie die Leben, die in den Zimmern würdevoll und reflektiert zu Ende gehen. Von "Weißt du wieviel Sternlein stehen" und "Lili Marleen" über Mozarts "Komm lieber Mai" und "Christel von der Post" hin zu "Over the rainbow". Die Stimme aus einem weiteren Zimmer wünscht sich den Akkordeon-Walzer aus "Die fabelhafte Welt der Amélie", weil "Amélie das Leben so feiert". Sie selbst habe einen "Grundschmerz, der trotz Morphium nicht weggehe, hingenommen".

Wir haben versucht
Auf der Schussfahrt zu wenden.
Nichts war zu spät
Aber vieles zu früh.

Ob es nicht schwerfalle, los zu lassen? "Hat man jemals alles erlebt, was man wollte in der Welt?" Aus Episoden wie diesen strömen Willensstärke und Gefasstheit in die Heiliggeistkirche.

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Das Hospiz sei die Zeit der letzten Male, aber eben auch der ersten Male: Das erste Mal darüber reden, was nach dem Tod sein wird. Einige schaufeln sich eine Portion Alltag ins Hospiz. Das sei die Zeit, um aufgeschobene Dinge zu schaffen: "Ich höre Barock. Im Barock sind die unterschiedlichsten Gefühle aufgeteilt in Arien – nicht so wirr wie im Leben." Es folgt die Arie "Comfort Ye".

Es sind Lebensweisheiten, die der Künstler Weiller aus den Begegnungen gezogen hat und dem Publikum präsentiert. "Führen Sie eine Liste mit Dingen, die Sie erledigen oder erleben wollen? Dann will ich Ihnen etwas sagen: Hassen Sie Ihren Job? Kündigen Sie ihn. Gibt es Menschen, die Ihnen nicht bekommen? Trennen Sie sich. Gibt es Orte, die Sie immer schon einmal sehen wollten? Reisen Sie. Warten Sie nicht zu lange. Ich wollte immer einmal nach Skandinavien und dann war das Haus nicht bezahlt, die Kinder zu klein, die Arbeit zu wichtig oder alles andere irgendwie wichtiger. Deshalb habe ich es nie gesehen. Aber immerhin im Traum habe ich es bereist. Und wenn ich tot bin, spielen Sie etwas aus Skandinavien." Welches Lied genau? "Überraschen Sie mich." Es wurde "Uti var hage".

Eine weitere Patienten suchte sich "I will always love you" von Whitney Houston aus. Leider habe sie die CD zuhause vergessen. Weiller schickt ihr die CD ins Hospiz - das Päckchen kommt bald mit dem Vermerk "unzustellbar" zurück.

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Die Dame im dritten Bett ist frisch frisiert, die Bluse faltenfrei. An ein Leben nach dem Tod glaube sie nicht: "Diese Welt ist der beste Ort." Das Lied, das die Menschen mit ihr verbinden sollen, ist "A jiddische Mame". Einen Großteil ihrer Jugend habe sie, die Jüdin, im Lager verbracht, wurde von ihrer Mutter getrennt. Sie hatte nur die "jiddische Mame" in Liedform. Die Mutter starb, kurz nachdem die Tochter sie wiedergefunden hatte. Das Lied wurde dann bei der Beerdigung der Mutter gespielt – und soll es auch an der Beerdigung der Tochter. "Mir gefällt der Gedanke, dass alle mein Lied hören, obwohl ich nicht mehr da bin – und es werden sich alle an mich erinnern."

Ob sie Angst vor dem Tod habe? "Ich lebe gerne, bin neugierig. Aber sterben müssen wir alle. Vielleicht ist entscheidend, wie wir leben." Sie schließt mit einer Formel, mehr Rat, als Verabschiedung: "Lebt wohl, ihr Lieben."

Habe dich sicher
In meiner Seele.
Ich trage dich bei mir
Bis der Vorhang fällt.
(Herbert Grönemeyer "Der Weg")