Von der "freudvollen Lust" im reformierten Glauben

Foto: Züricher Altstadtgemeinde
Gottesbild eines elfjährigen Kindes aus der Züricher Altstadtgemeinde.
Von der "freudvollen Lust" im reformierten Glauben
Reformierte Kirchen entbehren jeden Überfluss. Der Kirchenraum ist leer, weil er Resonanzraum für das Gespräch mit Gott sein soll, sagt Pfarrer Christoph Sigrist, der den Gottesdienst im ZDF am 2. Juni 2013 aus Zürich halten wird. Was bedeutet das Bildnisverbot für den reformierten Glauben?
31.05.2013
evangelisch.de

Wenn am Sonntagmorgen um halb zehn die Übertragung des Gottesdienstes aus Zürich beginnt, dann wird Pfarrer Christoph Sigrist umgeben sein von Menschen aus seiner Altstadtgemeinde. "Der ZDF-Gottedienst hat uns einen unheimlichen Schwung im Gemeindeleben gegeben", sagt Christoph Sigrist.

Ein reformierter Christ zu sein, was bedeutet das eigentlich? Diese Frage hätten er und die Gemeindemitglieder sich noch einmal ganz neu stellen und erarbeiten können. Initialzündung für Christoph Sigrists Botschaft, die er im Gottesdienst vermitteln möchte, seien jedoch Touristen aus Deutschland, die immer wieder die gleiche Frage an ihn richten würden: "Ist diese Kirche noch in Betrieb?"

Gott ist eine Frau

Das Grossmünster in Zürich hat eine Orgel, Kirchenbänke und Buntglasfenster. Jedoch keinen Altar, keinen gekreuzigten Christus oder Bilder an den Wänden. "Der reformiert geprägte Glauben nach Huldrych Zwingli glaubt mit dem leeren Raum", sagt Sigrist. Der leere Raum sei dabei der Resonanzraum, um eine eigene Sprachfähigkeit zu entwickeln.

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Diese eigene Sprachfähigkeit will Christoph Sigrist gemeinsam mit den Gemeindemitglieder im Gottesdienst demonstrieren, und zwar im Geiste des reformierten Erbes, dem Priestertum aller Glaubenden. Für den Gottesdienst bedeutet das unter anderem: Fünft- und Sechstklässler werden Bilder zeigen, die sie im Religionsunterricht gemalt haben, nachdem sie den Auftrag bekamen: "Zeichnet eure Vorstellung von Gott".

Gott als Hirtin, gemalt von einem elfjährigen Mädchen. Foto: Züricher Altstadtgemeinde

"Als patriarchisch geprägt, bin ich dann hinein getappt", sagt Christoph Sigrist. "Einen Hirten hast du gemalt", habe er zu einem Mädchen gesagt, das ihm sein Bild zeigte. Doch das Mädchen hatte eine Hirtin gemalt. "Und diese Freiheit wird uns reformiert Glaubenden gegeben", sagt Christoph Sigrist. Die Freiheit, sich ein eigenes Bild von Gott zu machen.

Den Glaubenden nicht ablenken

Denn das zweite Gebot, "Du sollst dir kein Bildnis machen", das für Huldrych Zwingli im Mittelpunkt des Glaubens stehe, bedeute keinesfalls, dass Bilder im reformierten Glauben keine Rolle spielen würden. Das beweisen nicht nur die Bilder in den Glasfenstern des Grossmünster, sondern vor allem die in der Froschauer Bibel, die zum Kirchenschatz des Grossmünster gehört.

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"Die Hure von Babylon ist dort als eine wunderschöne Frau gemalt", sagt Christoph Sigrist. Die Funktion der Bilder in Huldrych Zwinglis Froschauer Bibel sei eine "Luststeigerung für das freudvolle Lesen des Textes", gibt Sigrist die Begründung Zwinglis für die zahlreichen Bilder in seiner Bibel-Übersetzung ins Deutsche wieder.

Bilder im Kirchenraum fehlten jedoch, "weil Zwingli nicht wollte, dass der Glaubende von seiner Spiritualität abgelenkt wird", sagt Christoph Sigrist. 24 Altäre schaffte Huldrych Zwingli deshalb gemeinsam mit der Obrigkeit zwischen 1524 und 1526 aus dem Grossmünster, außerdem zahlreiche Bilder. Nur ein Teil davon hängt gerettet im Landesmuseum in Zürich. Das meiste wurde damals verbrannt.

Das Evangelium erzählt wie ein Witz

"Ich bin jedoch auch ein Kind meiner Zeit", sagt der reformierte Pfarrer Christoph Sigrist. Ein Isenheimer Altar lenke ihn deshalb nicht von seinem Glauben ab, sondern könne ihn im Gegenteil auch inspirieren. "Dennoch habe ich den Reflex zu denken, ich stehe in einer katholischen Kirche, sobald Bilder darin hängen."

Die Bilder, der Wandschmuck, Skulpturen, Altäre: das alles demonstriere nicht die Macht Gottes, sondern die Macht der Kirche, der Institution. Aber dennoch gehe ein Reden über Gott über Bilder, sagt Sigrist. Das sollen im ZDF-Gottesdienst Maturantinnen erzählen, die sich über Max Frischs Andorra Gedanken machten: "Können wir überhaupt bilderlos denken?", werden sie fragen.

Dann wird auch Pfarrer Christoph Sigrist mit seiner Predigt zu Wort kommen: "Doch ich habe nicht so viel Redezeit", und das sei gut, da es wichtig sei, mit dem Priestertum aller Gläubigen ernst zu machen. "Die Darstellung des Glaubens sehe ich als offenes Kunstwerk", sagt Sigrist. Seine Aufgabe sei es dabei, das Evangelium so zu erzählen, dass der Glaube ausgelöst werde. "Ich sage nicht, du musst glauben, sondern ich erzähle den Glauben so, wie man einen Witz erzählt." Das bedeutet: Er muss ihn gut erzählen. Und wenn der Zuschauer lache, dann sei er zum Glauben gekommen.

Der Fernsehgottesdienst aus dem Grossmünster in Zürich wird am Sonntag live ausgestrahlt: 2. Juni 2013, ZDF, 9:30 bis 10:15 Uhr.