Der bescheidene Brückenbauer

Foto: dpa/Ettore Ferrari
Den Menschen nah: Papst Franziskus bei einer seiner Generalaudienzen auf dem Petersplatz.
Der bescheidene Brückenbauer
Humor, Demut, Offenheit: Papst Franziskus begeistert mit neuem Stil
Jorge Mario Bergoglio steht seit 100 Tagen an der Spitze der katholischen Kirche. Der Papst aus Argentinien hat von seinem ersten Auftritt an Akzente gesetzt und einen neuen Stil im Vatikan eingeführt. Reformen aber brauchen Zeit.
21.06.2013
epd/dpa
Bettina Gabbe und Hanns-Jochen Kaffsack

Als Jorge Mario Bergoglio nach seiner Wahl zum Papst Franziskus am 13. März in schlichter Soutane statt prunkvollem Ornat auf die Loggia des Petersdoms trat und die jubelnden Pilger mit einem einfachen "Buona sera" (Guten Abend) begrüßte, begann im Vatikan eine neue Ära. Der ehemalige Erzbischof von Buenos Aires erteilte Pomp, Machtentfaltung und Selbstgerechtigkeit in der Kirche von Beginn an eine klare Absage. Bevor Bergoglio die Anwesenden segnete, bat er um deren Gebet um Segen. Der erste Jesuit auf dem Papststuhl ist nun 100 Tage im Amt.

###mehr-artikel###Die Wahl des Argentiniers war eine Sensation. Erstmals in der langen Geschichte der katholischen Kirche bestieg ein Jesuit den Stuhl Petri. Franziskus ist zudem der erste Papst aus Lateinamerika. Vom ersten Auftritt vor den Gläubigen an zeigte er sich offen, humorvoll, bescheiden. Der neue Stil begeistert die Massen, die auch nach den ersten drei Monaten des Pontifikats bei der Generalaudienz den Petersplatz überfluten. Der Hoffnungsträger aus Buenos Aires hat die Herzen der Katholiken offensichtlich erobert - der frische Wind der Demut tut vielen gut.

Schon sein ungewöhnlicher Papstname ist Programm, weist er doch auf Franz von Assisi hin, der für den Schutz von Natur und Umwelt steht, aber auch für den Kampf gegen die Armut. Am 4. Oktober, dem Gedenktag des berühmten Heiligen, reist der Pontifex nach Assisi. Das Engagement für die franziskanischen Ideale nahm er bereits mit Breitseiten gegen den Kapitalismus auf. Noch pointierter als sein Vorgänger Benedikt XVI. kritisiert er die "Diktatur der gesichtslosen Wirtschaft" und eine "Abfallkultur", die den Menschen zur Ware mache.

Kritik an "Selbstbezogenheit" der Kirche

Strenge Lehren scheint Franziskus nicht der Außenwelt zu erteilen, sondern einzig der Kirche, deren "theologischen Narzissmus" und "Selbstbezogenheit" er anprangert. Dem priesterlichen Armutsgebot entspricht der 76-Jährige, indem er auf den Umzug in die päpstliche Wohnung im Apostolischen Palast und auf Luxuskarossen verzichtet. Bergoglio trägt schwarze statt der roten Papstschuhe, einen Fischerring aus Eisen statt aus Gold. Nach dem Ende des Konklaves holte er sein Gepäck eigenhändig in der Priesterherberge in der römischen Altstadt ab. Dabei vergaß er auch nicht, die Rechnung persönlich zu begleichen.

###mehr-info###Im vatikanischen Gästehaus, wo er offenbar dauerhaft wohnen will, macht Franziskus auch mit seinen kurzen Predigten in der Morgenmesse Schlagzeilen. Etwa, wenn er gegen die "Salonchristen" oder die Macht des Karrieredenkens wettert. "Petrus hatte auch kein Konto", erklärte er unlängst in einer typischen und für alle verständlichen Kritik an der reichen Kirche, die alt werde und leblos wirke. Franziskus zieht weiße Messgewänder vor und führt so in Rom den schlichten Lebensstil von Buenos Aires fort. Es ist ein persönlicher Kontrast zum vatikanischen Prunk, an dem sich vor allem Nichtkatholiken immer wieder stoßen.

Während Franziskus seine Weltkirche vor Verkalkung warnt, Korruption und Geldgier anprangert, braucht eines sicherlich noch viel Zeit: die Reform der erstarrten Kurie in Rom, die unter seinem Vorgänger Benedikt XVI. von tiefsten Krisen wie dem "Vatileaks"-Skandal erschüttert worden ist. "Ich selbst bin sehr unorganisiert, aber die damit beauftragten Kardinäle bringen das voran, sagt Franziskus. Acht Würdenträger aller Kontinente sollen Reformen vorschlagen und ihn bei der Leitung der Weltkirche beraten. Auch der Münchner Kardinal Reinhard Marx ist in dem Gremium.

An die Ränder der Gesellschaft gehen

Dass Franziskus den Veränderungsprozess ernsthaft angehen will, könnte auch die ihm jüngst zugeschriebene Klage über eine "Homosexuellen-Lobby" im Vatikan zeigen. Der neue Papst gilt durchaus als konservativ, dabei aber zugänglicher und weniger theologisch als sein deutscher Vorgänger. Seine Herde fordert Franziskus ständig auf, "nach draußen" zu gehen, also an die Ränder der Gesellschaft. Die Ärmsten sehnten sich nach Beistand. Fährt der Mann mit weit offenen Armen in seinem offenen Geländewagen auf dem Petersplatz an der Menge der "Brüder und Schwestern" vorbei, wendet er sich immer wieder kleinen Kindern und Kranken zu.

Doch wird sich dieser Papst auch in moralischen und theologischen Fragen bewegen und vom strikten Kurs seiner Vorgänger abweichen? Bei Themen wie Homosexualität, Abtreibung, Verhütung, Ehelosigkeit der Geistlichen sowie Frauenpriestertum sind von dem ehemaligen Leiter der argentinischen Jesuiten kaum Veränderungen zu erwarten. Es wird also auf die Nuancen ankommen, die ein vielleicht flexibler Papst offeriert. Zunächst einmal schreibt er eine Enzyklika zum Glauben zu Ende, die sein Vorgänger Joseph Ratzinger nicht mehr fertig bekommen hat. Es gibt Spekulationen, dass ihm Benedikt XVI., der in einem ehemaligen Nonnenkloster in den vatikanischen Gärten wohnt, dabei zur Hand geht.

Gerade in Deutschland wird die Amtsführung des neuen Papstes aufmerksam beobachtet. Im Land der Reformation hatte das Ansehen der katholischen Kirche unter dem Eindruck der Missbrauchsskandale besonders stark gelitten. Sprache und Auftreten von Benedikt XVI. vermittelten einen vor allem in Deutschland als nicht mehr zeitgemäß empfundenen Autoritätsanspruch. Die ökumenische Bilanz seiner Amtszeit ist bescheiden. Was Franziskus im Dialog der Konfessionen bewegen kann, bleibt abzuwarten. Als gutes Zeichen wurde bewertet, dass er als einen der ersten offiziellen Gäste den EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider empfing.

"Sie werden sich noch wundern"

Auch wenn nicht zu erwarten ist, dass der Papst die Einladung zum Reformationsjubiläum 2017 annimmt: "Sie werden sich noch wundern, was Franziskus ausrichtet", so der Befreiungstheologe Leonardo Boff kurz nach der Wahl Bergoglios. Einer persönlichen Tradition aus den Zeiten als Erzbischof getreu vollzog Franziskus in der Karwoche den Ritus der Fußwaschung nicht an ausgewählten Priestern in einer römischen Basilika sondern an jungen Straftätern in einem Gefängnis. Unter ihnen war auch eine junge Muslimin. Der Papst kniete bei der Fußwaschung vor ihr und demonstrierte damit auch seine Auffassung vom Dialog mit Angehörigen anderer Religionen.

###mehr-links###Seine erste und gleich intensive Begegnung mit den Gläubigen im Ausland wartet im Juli auf den Papst, wenn er zum katholischen Weltjugendtag nach Rio de Janeiro fährt. Auch dort wird er vor der Masse junger Leute eine Rückkehr zu den Wurzeln des christlichen Denkens predigen, sie zur Solidarität mit den Ärmsten ermuntern und lächelnd Brücken bauen. Derweil baut Bergoglio noch sein Image als unkompliziertes Kirchenoberhaupt aus. Jüngstes Beispiel: Er ist jetzt auch stolzer Besitzer zweier Motorräder, die ihm der US-Hersteller Harley-Davidson nach einer Generalaudienz schenkte. In den Vatikangärten kann er sie kaum ausfahren. Wobei mancher sich nicht wundern würde, sähe er den Argentinier, den neuen Sympathieträger der Kirche, über Italiens Autostrada brettern.