Chemikalien-Lieferungen: Grüne fordern Aufklärung, Kanzlerin beschwichtigt

Chemikalien-Lieferungen: Grüne fordern Aufklärung, Kanzlerin beschwichtigt
Angesichts der Debatte um von Deutschland gelieferte Chemikalien an Syrien werden Forderungen nach einer schärferen Rüstungsexportkontrolle laut.

Der Grünen-Außenexperte Frithjof Schmidt verlangte am Donnerstag Aufklärung über die Lieferungen durch das Bundeswirtschaftsministerium. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wies die Vorwürfe zurück, wonach die Substanzen in Syrien möglicherweise zur Herstellung von Chemiewaffen verwendet wurden. "Wir gehen davon aus, dass die Substanzen für die zivile Nutzung genutzt wurden", sagte Merkel in einem Interview mit den ARD-"Tagesthemen". 

Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums hat Deutschland zwischen 2002 und 2006 die Lieferung von rund 111 Tonnen sensibler Substanzen, die auch zur Herstellung des Nervengiftes Sarin verwendet werden können, genehmigt. Die Genehmigungen fielen in die Regierungszeit der rot-grünen und der schwarz-roten Koalition.

Die Zusagen seien sorgfältig geprüft worden, hatte das Ministerium in einer am Mittwoch verbreiteten Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion versichert. Die Bewertung aller verfügbaren Informationen habe keine Hinweise auf eine militärische Nutzung ergeben.

SPD: Giftgas-Programm war noch nicht bekannt

Der Grünen-Politiker Schmidt sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), sollten die Stoffe doch für die Herstellung von Chemiewaffen verwendet worden sein, hätte das deutsche Rüstungsexportkontrollsystem kläglich versagt.

###mehr-links### Gert Weisskirchen, außenpolitischer Sprecher der SPD zum Zeitpunkt der Genehmigung, verteidigte den Vorgang. Weisskirchen sagte am Donnerstag im Deutschlandfunk, die Lieferungen seien zwar von Bundesregierungen mit sozialdemokratischer Beteiligung genehmigt worden. Damals sei das syrische Giftgas-Programm "in der heutigen Schärfe" aber noch nicht bekannt gewesen.

Auch die Organisation für das Verbot von Chemischen Waffen (OPCW), die ihren Sitz in Den Haag hat, wollte die Chemikalien-Lieferung nicht kommentieren. Erst wenn ein anderer Vertragsstaat der Chemiewaffen-Konvention gegen Deutschland klagt, könne die Organisation eingreifen, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Ob die Lieferungen von waffentauglichen Chemikalien an das Assad-Regime unter das Verbot der Konvention fallen, könne man deshalb nicht sagen.

Lieferungen im Wert von rund 173.000 Euro

Schwere Vorwürfe erhebt dagegen der Sprecher der kirchlichen Anti-Rüstungs-Kampagne "Aktion Aufschrei", Paul Russmann. Wer Chemikalien an einen Diktator liefere, die auch zur Herstellung von Chemiewaffen geeignet sind, handele gewissenlos, sagte er dem epd. "Insbesondere dann, wenn das Regime wie in Syrien die internationale Konvention zur Ächtung von Chemiewaffen nicht unterzeichnet hat", ergänzte er.

Der Rüstungsexperte der Linkspartei, Jan van Aken, hatte zuvor schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen der rot-grünen sowie der schwarz-roten Regierungen zwischen 2002 und 2006 erhoben. Syrien habe zu diesem Zeitpunkt ein riesiges Chemiewaffenprogramm unterhalten, sagte van Aken.

Den Angaben zufolge handelt es sich bei den Lieferungen um rund 111 Tonnen Fluorwasserstoff, Natriumfluorid und Ammoniumhydrogenfluorid. Die Substanzen sind genehmigungspflichtig. Der Export ist jedoch nicht verboten, da sie auch in der Industrie, etwa bei der Herstellung von Zahnpasta verwendet werden. Der Wert dieser an Syrien verkauften Lieferungen liegt bei rund 173.000 Euro.

Bei einem Angriff mit Sarin waren am 21. August im Raum Damaskus Hunderte Menschen getötet worden. Westliche Regierungen machen die Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad dafür verantwortlich.