Kretschmann: "Das Religiöse nicht aus dem öffentlichen Raum verbannen"

Kretschmann: "Das Religiöse nicht aus dem öffentlichen Raum verbannen"
Eine "kooperierte, ausbalancierte Trennung von Staat und Kirche" wünscht sich der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat davor gewarnt, "das Religiöse aus dem öffentlichen Raum zu verbannen". Er könne nicht erkennen, "wo, wem und wie eine radikale laizistische Trennung von Staat und Religion einen Zugewinn an Freiheit verschaffen würde", sagte Kretschmann am Freitag in Stuttgart. Der Grünen-Politiker plädierte dagegen für eine "kooperative, ausbalancierte Trennung" von Staat und Kirche. Dies befreie die Politik von falschem Erwartungsdruck und bewahre den Staat vor Allmachtsphantasien.

###mehr-artikel###

Der Verzicht auf eine strikte Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften verhindere, "dass der Gesellschaft durch das Abdrängen von Religion ins Private eine grundsätzliche Dimension von Kultur verloren geht", sagte Kretschmann. Er sprach bei einer vom Staatsministerium Baden-Württemberg und der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart veranstalteten Tagung zum Thema "Freiheit von, für, mit Religion".

Der Grünen-Politiker sagte, eine "kooperative oder ausbalancierte Trennung" bringe die Religionsgemeinschaften dazu, sich in einem säkularen Kontext bewegen zu müssen. "Die Religionsgemeinschaften können ihre kulturelle Prägekraft nicht einfach nur behaupten, sondern müssen ihre Glaubensinhalte und Glaubenslehren vernünftig und plausibel gegenüber der Gesellschaft kommunizieren und sich den Fragen der Menschen aussetzen", sagte Kretschmann. Kirchen und Religionsgemeinschaften müssten so "anschlussfähig an die Gesellschaft und zeitgenössisch sein".

Di Fabio: Etablierte Einrichtungen werden zunehmend negativ gesehen

Eine staatliche Gleichbehandlung der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften könne nicht heißen, "das mit den großen christlichen Kirchen erreichte religionspolitische Niveau abzusenken", betonte der Ministerpräsident. Im Gegenteil müsse man das Erreichte auch für andere und kleinere Religionsgemeinschaften zugänglich machen: "Aus dem gewachsenen und bewährten Staat-Kirche-Verhältnis muss ein modernes und offenes Staat-Religionsgemeinschaft-Verhältnis werden."

Nach Einschätzung des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio werden etablierte Einrichtungen in der Gesellschaft zunehmend negativ gesehen. "Wir leben in einer Gesellschaft, die allmählich den Sinn für Institutionen verliert", sagte di Fabio in Stuttgart. Das gelte für Parteien wie für die Kirchen. Die positiven Werte, die mit diesen Einrichtungen verbunden seien, würden manchmal zu wenig berücksichtigt. "Wir nehmen die Kirchen - und eigentlich alle Institutionen - vor allem vom Skandal her wahr", kritisierte der Staatsrechtler. In der Gesellschaft werde diese "Institutionen-Abwehr kultiviert". Es gebe einen Säkularisierungstrend, der religionskritisch und zuweilen religionsfeindlich sei.

Der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Altbischof Wolfgang Huber, sagte, die Unterscheidung von Religion und Staat sowie Religion und Politik gehöre "zentral in die Kultur des Westens". Er warnte davor, die positiven Aspekte der Säkularisierung zu vernachlässigen und darin nur einen "Zerfallsprozess" zu sehen, wie es in kirchlichen Kreisen manchmal üblich sei. "Dass wir in einer Region der Welt leben, in der es einen säkularen Staat gibt, ist ein Segen", betonte Huber.