EKD-Ratschef: Lerngeschichte der Toleranz nicht abgeschlossen

EKD-Ratschef: Lerngeschichte der Toleranz nicht abgeschlossen
Schweres Erbe für Protestanten: Martin Luther war Judenhasser, Islamfeind und auch kein Streiter für Gleichberechtigung der Frauen. Zum Ende des Themenjahres "Reformation und Toleranz" geht die EKD mit ihrem Reformator hart ins Gericht.

Zum Ende des Themenjahres "Reformation und Toleranz" hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, Protestanten dazu aufgerufen, sich mehr mit anderen Überzeugungen zu beschäftigen. "Die Lerngeschichte der Toleranz ist, trotz aller Fortschritte, nicht abgeschlossen", sagte Schneider bei der Diskussionsveranstaltung der EKD am Freitagabend in Berlin. Vertreter der evangelischen Kirche, von Freikirchen sowie des Judentums und Islams waren sich dabei einig, dass Martin Luther heute als Vorbild für Toleranz nichts taugt.

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"Welcher der Reformatoren aus dem 16. Jahrhundert als Vorbild für eine echte, moderne Toleranz dienen könnte, wird auch am Ende des Themenjahres 'Reformation und Toleranz' der Lutherdekade unbeantwortet bleiben", resümierte Schneider. Die Reformation habe trotzdem aufgrund des Freiheitsgedankens mit Toleranz zu tun, zumindest im Ergebnis, sagte er.

Schneider verwies auf Luthers Grundsatz, Gewalt in Gewissens- und Glaubensfragen abzulehnen. Leider habe aber die Realität des Reformationszeitalters anders ausgesehen. Schneider verwies auf die Bauernkriege, Luthers Judenhass und dessen Skepsis gegenüber dem Islam.

Unterschiede nicht mit Gewalt vernichten

"Martin Luther war der Begründer des deutschen Antisemitismus", sagte der jüdische Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik. Der Reformator habe in seinen Schriften gefordert, was die Nazis umgesetzt hätten: Synagogen in Brand gesetzt, Häuser geplündert und Juden ermordet.

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Die Kirchenhistorikerin Andrea Strübind warnte davor, dabei eine direkte Parallele zu ziehen, betonte aber, dass Judenhass in früheren Jahrhunderten immer Teil des Christentums gewesen sei. Umso froher müsse man heute sein, "dass wir weichgespülter sind", sagte die baptistische Christin.

Die Reformationsbotschafterin Margot Käßmann forderte, die Religionen müsste zum Faktor der Konfliktentschärfung werden, "weil sie eine Toleranz kennen, die Unterschiede nicht mit Gewalt vernichten will, sondern als kreative Kraft sehen, die Welt und Zukunft menschenfreundlich gestalten kann", sagte die frühere EKD-Ratsvorsitzende.

Sie rief vor allem dazu auf, sich mehr über andere Religionen zu informieren. Das forderte auch die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor. "Es ist nicht nur der Atheist, der keine Ahnung von Religionen hat" und Gläubigen teilweise aggressiv begegne, sagte sie. Dies beobachte sie auch bei religiösen Menschen.