TV-Tipp des Tages: "Mord in Eberswalde" (WDR)

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TV-Tipp des Tages: "Mord in Eberswalde" (WDR)
TV-Tipp des Tages: "Mord in Eberswalde“, Samstag, 23. November, 20.15 Uhr im WDR-Fernsehen
Der Fall Hagedorn war ein handfester Justizskandal in der DDR: Weil das SED-Regime der Meinung war, im Sozialmus gebe es keine Pädophilie, musste ein Mensch sterben. Der Täter wurde hingerichtet.

Eigentlich hätte der Fall Hagedorn vor gut 40 Jahren in Ostdeutschland für ähnlich viel Aufsehen sorgen müssen wie in den 1960er Jahren der Fall Bartsch im Westen. Aber weil die SED der Meinung war, pädophile Kindermörder seien im Sozialismus nicht vorgesehen, musste ein weiterer Junge sterben, ehe Erwin Hagedorn endlich gefasst werden konnte. 1972 wurde ihm der Prozess gemacht. Er war der letzte Bürger der DDR, an dem die Todesstrafe vollzogen wurde.

Film verschwand im Giftschrank

Zwei Jahre später dienten seine Untaten als Vorlage für eine Folge der DFF-Krimireihe "Polizeiruf 110" ("Im Alter von ..."), doch erneut machte die Staatsraison einen Strich durch die Rechnung: Kurz zuvor hatte der westdeutsche Schriftsteller und Drehbuchautor Friedhelm Werremeier, Erfinder des ersten "Tatort"-Kommissars Trimmel, mit einem Buch über Hagedorns Geschichte ("Der Fall Heckenrose") für Aufsehen gesorgt. Prompt verschwand der ohnehin unter schwierigen Bedingungen zustande gekommene "Polizeiruf"-Film im Giftschrank; die SED wollte kein neues Öl ins Feuer gießen.

Es hatte in der BRD heftige Proteste gegen die Hinrichtung Hagedorns gegeben. Im Gegensatz zum Prozess gegen Bartsch, dem zumindest im Revisionsverfahren die Verantwortung für seine Taten abgesprochen wurde, hielt der ostdeutsche Richter Hagedorn für zurechnungsfähig. 2009 tauchte der vernichtet geglaubte Film wieder auf, allerdings ohne Ton. Vor zwei Jahren ließ der MDR eine Synchronfassung produzieren.

Heute nennt man das Profiling

Natürlich funktioniert "Mord in Eberswalde" auch ohne dieses Hintergrundwissen, aber es verleiht dem sehenswerten Film einen zusätzlichen Reiz, zumal Holger Karsten Schmidt den Fall Bartsch ausdrücklich ins Drehbuch integriert hat. Hauptfigur seiner Geschichte ist Heinz Gödicke (Ronald Zehrfeld), Hauptmann der Volkspolizei im brandenburgischen Eberswalde, dessen Ermittlungsansatz zur damaligen Zeit selbst für westdeutsche Kollegen ungewöhnlich gewesen wäre: Als im Wald die grausam zugerichteten Leichen zweier Jungs gefunden werden, versucht er, sich in den Täter hineinzuversetzen und dessen Motive zu verstehen.

Heute nennt man das Profiling, aber zu Beginn der 1970er Jahre war diese Denkweise revolutionär; erst recht in einer ostdeutschen Kleinstadt. Stasi-Major Witt (Florian Panzner) lässt Gödicke nur widerwillig gewähren, und als die Methode keinen unmittelbaren Erfolg hat, kommt der Fall schließlich zu den Akten. Monate später, nach einem weiteren Mord, stellt sich raus, dass Gödicke kurz vor dem Ziel war.

Ob der Kommissar wirklich ein Verhältnis mit der Frau (Ulrike C. Tscharre) des Majors haben muss, ist vermutlich Geschmackssache, aber als die Liaison auffliegt, treibt der daraus resultierende Konflikt die Rivalität zwischen den beiden Männern naturgemäß auf die Spitze. Von einer entsprechenden Schlägerei abgesehen inszeniert Stephan Wagner (zuletzt "Lösegeld") den Film dennoch ausgesprochen geduldig. Er kann sich sogar den Verzicht auf die genreüblichen Spannungsverstärker leisten: Die Drehbücher Schmidts ("Mörder auf Amrum") sind bekannt für starke Figuren, Wagners Inszenierungen sind stets von großer Dichte.

Die bis hin zu Tscharres Achselhaaren detailgetreue Rekonstruktion des alltäglichen Sozialismus (Produktionsdesign: Zazie Knepper) geschieht beiläufig und drängt sich nie in den Vordergrund, der Film lebt vor allem von der überzeugenden Zeichnung der Figuren, der treffenden Besetzung auch der Nebenrollen (allen voran Martin Brambach als Gödickes Partner) sowie den verblüffend authentisch wirkenden Komparsen. Sieht man davon ab, dass Zehrfelds breites Kreuz permanent seine schlechtsitzenden Sakkos zu sprengen droht, werden Ausstattung und Handlungsort mehr und mehr zweitrangig. Wagner nimmt sich viel Zeit, den Kommissar beim Denken und Warten zu beobachten. Auf diese Weise gelingt es ihm, den Film auch stilistisch jener Epoche anzupassen, in der er spielt.