Fromm und isoliert: "Home Schooling" in den USA

Gut gebildet, aber sozial isoliert: Das ist ist die Kritik am "Home Schooling" in den USA.
Foto: John Dow / photocase.com
Gut gebildet, aber sozial isoliert: Das ist ist die Kritik am "Home Schooling" in den USA.
Fromm und isoliert: "Home Schooling" in den USA
In Deutschland verboten, in den USA Alltag: Eltern schicken ihre Kinder nicht zur Schule, sondern unterrichten sie selbst. Doch zunehmend melden sich ehemalige Hausschüler kritisch zu Wort.
11.01.2014
epd
Konrad Ege

In den USA lernen rund 1,8 Millionen Kinder - das sind 3,4 Prozent der Kinder im Schulalter - zu Hause bei ihren Eltern, viele in christlich-evangelikalen und konservativ geprägten Familien. Doch zunehmend melden sich nun ehemalige "Home School"-Kinder kritisch zu Wort. Zum Beispiel Ryan Stollar. Er betreibt die Webseite "Homeschoolers Anonymous", auf der Betroffene von "spirituellem Missbrauch", Isolierung und Persönlichkeitsproblemen berichten.

Auch die freie Journalistin Hännah Ettinger (24) wurde zu Hause unterrichtet. Sie ist nicht überrascht über die vielen skeptischen Stimmen. Die Erziehung im elterlichen Heim habe Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre einen Boom erlebt, und die "Home School"-Kinder von damals seien nun erwachsen, erläutert Ettinger. Sie könnten ihren damaligen Unterricht reflektieren.

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Ettingers "Home School"-Familie mit neun Kindern gehörte einer fundamentalistischen Gemeinde an. Dort habe man sehr in einem einfachen, nach Gut und Böse eingeteilten Weltbild gedacht. Die Bibel könne alle Probleme lösen, hieß es.

Der Ausstieg aus dieser Welt mit ihren vermeintlichen Gewissheiten und vielen Regeln sei schwer. Anstoß für sie sei gewesen, dass ihr Vater ihr noch im Alter von 21 Jahren Vorschriften habe machen wollen, ob sie ihren Freund küssen dürfe.

Akademisch gesehen sei das "Home Schooling" für sie ein Erfolg gewesen, berichtete die 26-jährige Rachel Coleman aus dem Bundesstaat Indiana. Aber in sozialer Hinsicht entsetzlich: Sie habe als Kind isoliert und fast wie in einem Kloster gelebt, ihr Umgang sei beschränkt gewesen auf Familie und Kirchengemeinde. 

Wie viele fundamentalistisch motivierte "Home School"-Eltern hätten ihre Eltern viel erwartet. Sie wollten christliche Kinder groß ziehen, die einmal mithelfen, die USA von ihren sündhaften Wegen wegzubringen.

Bleiben die Bedürfnisse der Kinder auf der Strecke?

Die "Home School"-Bewegung begann in den 70er Jahren als Versuch fortschrittlich orientierter Pädagogen. Sie wollten für die Kinder eine Alternative zu den autoritär geprägten Schulen schaffen. Heute ist der Unterricht zu Hause jedoch geprägt vom christlichen Fundamentalismus, von Eltern, die ihre Töchter und Söhne von der vermeintlich anti-christlichen Haltung in staatlichen Schulen fern halten wollen.

Diese Eltern legen Wert auf ihr grundsätzliches Recht, die Bildung ihrer Kinder zu bestimmen. In allen 50 US-Bundesstaaten hätten Eltern das Recht erkämpft, ihre Kinder selbst zu unterrichten, erklärt die "Home School Legal Defense Association" (HSLDA), ein Rechtshilfeverband für mehr als 80.000 Familien. "Eltern benötigen keine Ausbildung", heißt es auf der Webseite des HSLDA. "Hingabe und harte Arbeit" genügten.

Kritiker sagen, dabei blieben die Bedürfnisse der Kinder oft auf der Strecke. Die von ihren Eltern zu Hause unterrichtete Rachel Coleman hat die Hilfsorganisation hsinvisiblechildren.org gegründet, um auf besondere Probleme des "Home Schooling" aufmerksam zu machen. Die Organisation dokumentiert unter anderem Missbrauchsfälle in Hausschul-Familien.

Zwar gebe es in Familien, wo zuhause unterrichtet werde, nicht mehr Missbrauch als in anderen Familien, so Coleman. Doch wenn ein Kind isoliert aufwachse und nicht zur Schule gehe, könnten die Täter den Missbrauch leichter verbergen.

Es kommt immer auf die Elten an

In fundamentalistischen Hausschul-Kreisen seien zudem Erziehungsanleitungen weit verbreitet, die zu körperlichen Strafen raten. In Anlehnung an das biblische Buch der Sprüche, dem zufolge die "Rute der Zucht" bei der Erziehung zum Einsatz kommen müsse, sollen die Strafen dem "Wohl" des Kindes dienen.

In den USA gibt es kein grundsätzliches Verbot der Prügelstrafe. In etwa der Hälfte der Bundesstaaten sind allerdings Körperstrafen verboten, bei denen "blaue Flecken" oder "bleibende Spuren" erzeugt werden. Der HSLDA-Verband hat sich nachdrücklich gegen Reformen ausgesprochen, die "das Recht der Eltern" begrenzen würden, ihre Kinder "angemessen körperlich zu bestrafen".

Doch selbst Kritiker der Hausschul-Bewegung in den USA vertreten die Auffassung, dass der Unterricht durch die Eltern auch positiv sein kann. Kinder mit Lernproblemen zum Beispiel, genauso wie besonders intelligente Kinder, könnten unter Umständen vom "Home Schooling" profitieren, sagt Ryan Stollar von "Homeschoolers Anonymous". Es komme auf die Eltern an, und der Staat müsse seine Aufsicht ausüben.