Kirchen warnen vor "sexueller Ideologie" im Schulunterricht

Regenbogen auf einer Schultafel
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Ist es "Ideologie", wenn auch gleichgeschlechtliche Lebensformen im Unterricht vorkommen?
Kirchen warnen vor "sexueller Ideologie" im Schulunterricht
Die Kirchen in Baden-Württemberg kritisieren die "Leitprinzipien" für einen Bildungsplan 2015 in Baden-Württemberg, nach denen das Thema Homosexualität einen höheren Stellenwert im Unterricht bekommen soll.
11.01.2014
epd/dpa/evangelisch.de

In Baden-Württemberg wächst die Kritik an dem umstrittenen Bildungsplan 2015. Katholiken und Protestanten kritisieren vor allem neu entwickelte "Leitprinzipien" für Lehrpläne, nach denen das Thema Homosexualität einen höheren Stellenwert bekommen soll. Bildungsleitlinien von beruflicher Orientierung über Medienbildung bis zu Gesundheitsförderung sollen auf die "Akzeptanz sexueller Vielfalt" ausgerichtet werden. Ein entsprechender Entwurf soll spätestens im September vorliegen werden und dann in die öffentliche Anhörung gehen.

###mehr-links### Am Freitag warnten die beiden evangelischen Landeskirchen und die zwei katholischen Diözesen gemeinsam vor einer Instrumentalisierung, Ideologisierung und Indoktrination in der Bildung, insbesondere "im sensiblen Bereich der sexuellen Identität und damit verbundener persönlicher und familiärer Lebensentwürfe"."Was in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft kontrovers ist, muss nach Überzeugungen der Kirchen auch in Bildungsprozessen kontrovers dargestellt werden", heißt es in der gemeinsamen Erklärung der Kirchen. Bildung solle Kinder und Jugendliche starkmachen, eine eigene Identität auszubilden und ihre Gemeinschaftsfähigkeit zu fördern.

Von einer Online-Petition gegen den Bildungsplan, die bereits von fast 101.000 Menschen unterzeichnet wurde, distanzieren sich die Kirchen nicht. Es bleibe jedem Bürger unbenommen, sich in geeigneter Weise zu Wort zu melden. Dies dürfe allerdings nicht durch Hetzportale und diffamierende Blogeinträge im Internet geschehen.

Die dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland angehörende Tabea Dölker gehört zu den Unterzeichnern der Petition. Sie sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), junge Menschen sollten altersgemäß befähigt werden, sich begründet eine eigene Meinung zu bilden. Die Unterdrückung von unliebsamen Meinungen, wie sie im Bildungsplan zum Ausdruck komme, schade der Demokratie.

Landesregierung nennt die Kritik "absurd"

Auch der badische evangelische Oberkirchenrat Christoph Schneider-Harpprecht verteidigte die Kritik der südwestdeutschen Kirchen an den "Leitprinzipien" für den neuen Bildungsplan 2015. Im ARD-Nachtmagazin am Samstagmorgen sagte er, das Thema Homosexualität solle darin als gesellschaftliche Normalität dargestellt werden. Allerdings würden die Kontroversen darüber nicht diskutiert, sagte Schneider-Harpprecht.

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Der Generalsekretär der nach eigenen Angaben rund 1,3 Millionen Unterstützer zählenden Deutschen Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb, forderte mit Verweis auf Grundgesetz und Landesverfassung Priorität für Ehe und Familie gegenüber anderen Lebensformen.

Eine für Samstag in Stuttgart vorgesehene Tagung mit dem Initiator der Petition, dem Realschullehrer Gabriel Stängle, wurde abgesagt. Offizieller Grund für die Absage ist, dass es Hunderte von Anmeldungen gegeben habe, was man logistisch nicht hätte bewältigen können, sagte ein Sprecher dem epd. Mittlerweile gibt es eine Gegenpetition, die schon mehr als 42.000 Unterstützer gefunden hat.

Volker Beck: Lindner soll "donnerndes Schweigen" brechen

Vertreter der grün-roten Landesregierung weisen die Kritik an dem Bildungsplan zurück. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) nannte die Behauptung absurd, das Kultusministerium wolle die Schüler pädagogisch und moralisch umerziehen. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Peter Hauk äußerte dagegen Verständnis für die Gegner des Bildungsplans und forderte für deren Position Toleranz.

SPD-Parteichef Nils Schmid sagte beim traditionellen Spitzentreffen seiner Partei, das Vermeiden von Diskriminierung jeder Art müsse Teil der Bildungspläne sein. Die SPD verurteilte die Petition, die sich gegen eine Aufwertung des Themas Homosexualität im Unterricht wendet. Sie zeichne Zerrbilder und versuche, Ängste zu schüren.

Volker Beck, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, forderte FDP-Chef Christian Lindner auf, "sein donnerndes Schweigen" zu diskriminierenden Tönen aus der FDP Baden-Württemberg zu brechen. Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Hans-Ulrich Rülke, hatte im Zusammenhang mit dem Bildungsplan gesagt, für die FDP sei die Familie die wichtigste Lebensform. Seine Überzeugung sei, dass Familien mit Kindern die für die Gesellschaft wertvollste Lebensform seien.

Pfarrkonvent und Schülerbeirat sehen hinter dem Bildungsplan

Pfarrerinnen und Pfarrer in den lesbisch-schwulen Konventen Baden und Württemberg bedauern es, dass sich die Kirchen nicht eindeutig von einer Online-Petition gegen den Bildungsplanes 2015 distanziert haben. Sie stellen sich ausdrücklich hinter dessen Leitprinzipien und sehen darin "wesentliche Grundsätze des christlichen Menschenbilds" verwirklicht, nämlich "Weltoffenheit, Toleranz sowie Respekt vor jedem Menschen und seiner unantastbaren Würde". Die Stellungnahme wurde unterschrieben von Pfarrerin Gisela Dehlinger aus Stuttgart und Pfarrer Sören Suchomsky aus Karlsruhe.

Der Vorsitzende des Landesschülerbeirates, Christian Stärk, sagte "Spiegel online": "Die sexuelle Vielfalt ist doch ein Teil unserer Gesellschaft, warum sollte sie nicht im Unterricht vorkommen?" Niemand werde wegen des Bildungsplans schwul oder hetero. "Die Pubertät ist die Zeit zum Ausprobieren, und da ist es doch befreiend zu wissen, dass alle Richtungen okay sind. Ich finde die Argumente realitätsfern und noch schlimmer: Solche Ablehnung fördert Homophobie", sagte Stärk.

(Dieser Artikel wurde zuletzt am Sonntag, 12. Januar, um 06.40 Uhr aktualisiert)