Das lange Coming-out der Kirchen

Regenbogen-Lichtinstallation in einer Kirche
Foto: epd-bild/Jens Schulze
Lichtinstallation des Berliner Künstlers Götz Lemberg in der evangelischen Klosterkirche St. Marien im niedersächsischen Lilienthal. In der Installation hat Lemberg das Licht in seine Spektralfarben zerlegt. Sieben Meter lange Neonröhren durchleuchten die Fenster der Kirche wie ein Regenbogen.
Das lange Coming-out der Kirchen
Bis heute ringen Lesben, Schwule, Bisexuelle, TransMenschen und Intersexuelle um Akzeptanz in der evangelischen Kirche. Seit den siebziger Jahren hat sich einiges getan: von der Gründung der Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) bis hin zur eingetragenen Lebenspartnerschaften im Pfarrhaus. Ein historischer Überblick.

Seit Mitte der 70er Jahre trauen sich christliche Lesben, Schwule und Bisexuelle aus ihren Nischen. Ihre Bewegung – bunt, vielfältig – war für die Kirche zunächst eine Herausforderung. Heute hat eine Mehrheit der Christinnen und Christen verstanden, dass die Befreiung der Homosexualität aus der Schmuddel-Ecke, aus gesellschaftlicher und theologischer Ausgrenzung Teil der ganzheitlichen Befreiung des Menschen ist und dass Kirchen an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn sie Minderheiten respektieren und einladen.

Ein schwuler Gemeindehelfer ebnete den Weg

Aus einem Treffen schwuler Männer beim Evangelischen Kirchentag in Berlin 1977 entstand die Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK). Viele Teilnehmer waren Mitarbeiter der evangelischen Kirche, später kamen Katholiken dazu. Auch einige Frauen sind in der HuK aktiv, zusätzlich entwickelten sich mehrere Gruppen von Lesben in der Kirche. TransMenschen und Intersexuelle schlossen sich später der Bewegung an. Wurzeln dieser Initiativen waren Schwulenbewegung und Frauenbewegung, aber auch erste theologische Werke aus den USA und den Niederlanden, die homosexuelles Leben positiv sahen.

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Bis Ende der 1960er Jahre schwiegen die Kirchenleitungen zum Thema. Nach dem selbstbewussten Auftreten von Schwulen, Lesben und Bisexuellen stellten sie gelebte Homosexualität als unvereinbar mit der christlichen Lehre dar. Die EKD-Denkschrift zu Fragen der Sexualethik (1971) forderte seelsorgerliche oder therapeutische Hilfen für Homosexuelle. Doch immer mehr Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus den Bereichen Pfarramt, Seelsorge, Diakonie, Kirchenmusik usw. bekannten sich zu ihrer Homosexualität.

Ein 1974 entlassener schwuler Gemeindehelfer aus Berlin bekam viel Unterstützung und gewann einen Prozess vor dem Arbeitsgericht. In Hannover führten die Pfarrer Brinker und Meyer Auseinandersetzungen mit ihrer Landeskirche, manch anderer wurde als Vikar abgewiesen und viele Frauen und Männer versuchten es erst gar nicht beim Arbeitgeber Kirche. Die Schärfe, mit der gegen einzelne Homosexuelle vorgegangen wurde, ist heute kaum verstehbar. Sie trug dazu bei, dass das Thema kirchenweit diskutiert wurde und die HuK rasch Zulauf fand. Sie lädt an Kirchentagen zu Vorträgen und Workshops, Beratung, Begegnung, kulturellen Veranstaltungen sowie Gottesdienst ein und ist auf Großveranstaltungen der Kirche präsent.

Berlin bekennt Farbe und Herta Leistner wird geehrt

Der Klassiker "Homosexuelle Liebe. Für eine Neuorientierung in der christlichen Ethik" des Düsseldorfer Pfarrers Hans-Georg Wiedemann erschien 1982 erstmalig. Nach einer Akademietagung entstanden in mehreren Städten der DDR unter dem Dach der Evangelischen Kirche "Arbeitskreise Homosexualität". Einen der ersten positiven Texte im Westen veröffentlichte 1985 das Diakonische Werk Westfalen.

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Anfang der Achtziger Jahre begann Herta Leistner, Studienleiterin an der Evangelischen Akademie Bad Boll, lesbische Frauen in der Kirche zu sammeln und Tagungen zu veranstalten, die bis heute jährlich stattfinden. 1987 erschien das Buch "Hättest du gedacht, dass wir so viele sind – Lesbische Frauen in der Kirche" von Monika Barz, Ute Wild und wiederum Herta Leistner, die für ihr Engagement in der Lesbenbewegung 1996 das Bundesverdienstkreuz erhielt.

1991 stellte die HuK ihr Projekt "Farbe bekennen" vor, das dem Gespräch in Gemeinden über Sexualität und Homosexualität neuen Schwung gab. 30 Gemeinden unterschrieben eine Solidaritätserklärung, mit der sie dokumentieren, dass Homosexuelle bei ihnen willkommen sind; das Arbeitsheft "Farbe bekennen" erreichte eine Auflage von 4500 Exemplaren.

Nach einem Überfall auf Schwule bekannte die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg: "Die Ausgrenzung homosexuell geprägter Menschen hat in unserer Gesellschaft eine lange, leidvolle Vorgeschichte. Wir bedauern, daß daran auch die christliche Kirche eine erhebliche Mitschuld trägt."

"Mit Spannungen leben" - die EKD blieb skeptisch

Seit Beginn der 1990er Jahre berieten einzelne Landessynoden das Thema Homosexualität. Erkenntnisse der Humanwissenschaften sowie der neueren Bibelwissenschaft fanden Beachtung, dennoch wagte man oft nur vorsichtige Schritte. Immerhin erkannten die Synodenerklärungen Homosexualität nun als Schöpfungsvariante an.

Diesen Stand schrieb auf EKD-Ebene die Orientierungshilfe "Mit Spannungen leben" von 1996 fest. Bis heute ist dieses Papier unrevidiert; ihm zufolge gibt es "keine biblischen Aussagen, die Homosexualität in eine positive Beziehung zum Willen Gottes setzen - im Gegenteil." Die EKD äußerte sich in dem Papier skeptisch über die Möglichkeit, als homosexueller Mensch ein Pfarramt zu bekleiden und kam zu dem Schluss: "Die Segnung einer homosexuellen Partnerschaft kann nicht zugelassen werden." Damit schrieb es eine Haltung fest, die von der Realität in vielen Punkten überholt war. Einzelne Synoden zogen mit ähnlichen Texten nach, denen man die Kompromisse zwischen ungeduldigen Vorkämpfern und Bewahrern anmerkt. Vorreiter mit weit reichenden Beschlüssen waren die Landeskirchen Hessen-Nassau, Rheinland, Nordelbien und Westfalen.

Die Rheinische Kirche ermöglichte im Jahr 2000 die Segnung homosexueller Partnerschaften in öffentlichen Gottesdiensten. Allerdings sollte der Abstand zur Trauung deutlich werden – eine Einschränkung, die meist ignoriert wurde. Erst nach Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes auf staatlicher Ebene (2001) und der begleitenden Debatte folgten mehrere Landeskirchen mit ähnlichen Beschlüssen – andere jedoch demonstrativ nicht.

Neuer Schwung durch die Eingetragene Lebenspartnerschaft

Homosexuelle Christinnen und Christen aus evangelikalen und charismatischen Frömmigkeitsrichtungen und Freikirchen haben sich 2003 in der ökumenischen Initiative Zwischenraum zusammengeschlossen, die ihren Schwerpunkt mehr in der Seelsorge als in der Öffentlichkeitsarbeit sieht. Mitinitiatorin Valeria Hinck veröffentlichte 2007 das Buch "Streitfall Liebe. Biblische Plädoyers wider die Ausgrenzung homosexueller Menschen".

Durch das neue Rechtsinstitut "Eingetragene Lebenspartnerschaft" kam die Debatte zur Vereinbarkeit von Pfarramt und Homosexualität erneut auf. Einige Landeskirchen glichen ihre Regelungen für Verheiratete und Verpartnerte an, andere beharrten auf der bisherigen Einzelfallprüfung. Das EKD-weite Pfarrdienstgesetz von 2010 ermöglicht Landeskirchen, das Zusammenleben homosexueller Paare im Pfarrhaus zu normalisieren. Wieder sträubten sich konservative Kräfte, sogar acht emeritierte Bischöfe. Sie sind längst in der Minderheit.

Mit dem Erscheinen der familienpolitischen EKD-Orientierungshilfe "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit" 2013 wurde auch das Thema Homosexualität diskutiert. Trotz anderer Schwerpunkte verkürzten einige das Papier auf dieses Thema. Die heftigen Reaktionen sind nur dadurch zu erklären, dass der Sinneswandel in den evangelischen Kirchen hier bündig und unaufgeregt zusammengefasst wird. Einige wollen ihn nicht mit vollziehen.

Queeres Leben in den Kirchen findet heute seinen Platz in Gottesdiensten, beim sommerlichen CSD und seit 2005 bei Vernetzungstreffen der schwullesbischen kirchlichen Gruppen, aus denen ein queerer Chor für geistliche Musik hervorging. Bei Kirchentagen und kirchenpolitischen Aktivitäten kooperieren die Initiativen miteinander; auch in einigen Freikirchen gibt es Reformansätze.

Ein öffentliches Coming-out eines protestantischen Bischofs oder einer Bischöfin? In Deutschland ist das möglich. 2008 war der offen schwul lebende Propst Horst Gorski immerhin Kandidat bei der Bischofswahl in Nordelbien.