"Religion ist wichtig für verträgliches Wirtschaften"

Foto: epd/Norbert Neetz
Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm äußert sich zur Wirkung Max Webers.
"Religion ist wichtig für verträgliches Wirtschaften"
Der bayerische Landesbischof Bedford-Strohm zur Aktualität Max Webers
Für den bayerischen evangelischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sind die Befunde Max Webers (1864-1920) für die evangelische Sozialethik noch immer von Relevanz. Allerdings ließen sie sich nicht einfach auf das 21. Jahrhundert übertragen, sagte der Theologe dem Evangelischen Pressedienst (epd). Für die Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft zu einem global verträglichen Wirtschaftsmodell aber sei Religion eine wichtige Dimension.

Vor 150 Jahren wurde Max Weber geboren. Seine Studie "Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus" gilt manchen als soziologisches Traktat, für andere ist es ein calvinistisches Manifest. Ist Webers Protestantismusthese noch zeitgemäß?

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Bedford-Strohm: Sie ist nach wie vor eine interessante, allerdings in vielem auch angreifbare These. Die Beobachtungen Max Webers nötigen uns dazu, vor Verkürzungen der eigenen religiösen Tradition auf der Hut zu sein. Denn eine Haltung, die den eigenen Reichtum als Zeichen der Erwählung sieht, steht nicht nur in klarem Gegensatz zu einem biblisch geprägten Glauben mit seiner Option für die Armen. Er steht auch im klaren Gegensatz zu dem, worum es Calvin gegangen ist. Für ihn war Reichtum kein Selbstzweck, sondern hatte immer im Dienst der Gemeinschaft zu stehen. Der Wiener evangelische Theologe Ulrich Körtner hat bei Calvin sogar so etwas wie einen "christlichen Sozialismus" identifiziert.

Sind Webers Einsichten, wonach der asketische Protestantismus eine Voraussetzung für den rationalen Kapitalismus ist, für die evangelische Sozialethik im 21. Jahrhundert noch von Relevanz?

Bedford-Strohm: Sie sind durchaus noch von Relevanz. Aber sie können in einer Zeit, in der die Wirkkraft protestantischer Askese unter den Hauptakteuren des Kapitalismus sich durchaus in Grenzen hält, nicht mehr einfach auf heute übertragen werden. Es wäre allerdings schon interessant, einmal zu untersuchen, wie sich ein ähnliches Grundmotiv heute zeigt. Ich habe da eine Vermutung, die aber soziologisch erst erforscht werden müsste: Protestantische Mentalität könnte heute wieder zur Triebkraft grundlegender historischer und wirtschaftlicher Veränderungen werden.

"Wir sollten von einem ökonomischen Modell der Ressourcenverschwendung zu einem neuen Wirtschaftsmodell kommen"

Inwiefern?

Bedford-Strohm: Wenn wir heute in der evangelischen Kirche ganz besonders intensiv nach einer Ökonomie des "Genug" fragen, dann liegt das nicht nur begründet in einer urevangelischen Haltung, die den materiellen Wohlstand als Quelle des Glücks distanziert betrachtet. Es ist gleichzeitig auch die Voraussetzung dafür, dass wir von einem ökonomischen Modell der Ressourcenverschwendung, das eindeutig an sein Ende gekommen ist, zu einem neuen Wirtschaftsmodell kommen, das mit der Natur verträglich ist. Das ist gemeint, wenn wir in der ökumenischen Sozialinitiative von der Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft hin zu einer global verträglichen öko-sozialen Marktwirtschaft sprechen. Sie erfordert nicht nur eine Veränderung in den Köpfen, sondern auch und vor allem eine Veränderung im Herzen. Deswegen ist Religion dabei eine so wichtige Dimension.

Der Soziologe Max Weber leistete mit seiner These zum Verhältnis von Calvinismus und Kapitalismus einen wichtigen Beitrag zum ethischen Verständnis des Wirtschaftens.

Politisches Handeln, so formulierte Max Weber 1919 in seiner Rede über Politik als Beruf, könne verantwortungsethisch oder gesinnungsethisch orientiert sein. Wie aktuell ist dieser Appell gegen eine Gesinnungspolitik?

Bedford-Strohm: Die Kritik an einer Haltung, die Verantwortung als Dimension einfach ignoriert, ist immer aktuell. Man muss hier aber schon etwas genauer hinschauen als das in der beliebten Aufnahme des Weberschen Begriffspaars "Gesinnungsethik und Verantwortungsethik" häufig der Fall ist. Helmut Schmidt hat dieses Begriffspaar etwa gegen die Friedensbewegung der 80er Jahre gewendet, indem er ihr Gesinnungsethik unterstellt hat und für sich selbst Verantwortungsethik reklamiert hat. Max Weber selbst hat aber klar gemacht, dass es sich nicht notwendigerweise um einen Gegensatz handelt. Denn auch einer verantwortungsethischen Haltung liegt natürlich eine Gesinnung zugrunde. Und in der Regel steht hinter gesinnungsethischen Haltungen zugleich ein großes Verantwortungsbewusstsein. Der Protest der Friedensbewegung vor 30 Jahren gegen den Nato-Doppelbeschluss und die atomare Hochrüstung etwa war von einem hohen Verantwortungsbewusstsein geprägt. Und auch heute müssen wir sagen: Es ist absolut unverantwortlich, dass immense Summen für Rüstungsgüter ausgegeben werden, während die Not in der Welt gleichzeitig so groß ist. In klugen Strategien gegen diese Absurdität verbindet sich Gesinnungsethik mit Verantwortungsethik.