Europa und der Tod an den Grenzen

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Europa und der Tod an den Grenzen
Mehr als 1.500 Menschen sterben jedes Jahr an Europas Außengrenzen. Für den künftigen EU-Kommissionspräsidenten steht fest: Ein Wegsehen wird immer schwieriger.
22.05.2014
epd
Isabel Guzmán

Er überließ das heikle Thema lieber seinen Innenkommissaren: Zur Flüchtlings- und Asylpolitik äußerte sich der amtierende EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in seinen zehn Brüsseler Jahren nur selten. Dabei waren die Schiffskatastrophen vor der italienischen Insel Lampedusa, bei denen im vergangenen Oktober mehr als 400 Menschen starben, längst nicht die einzigen tragischen Vorfälle. Mindestens 23.000 Menschen, so fand eine internationale Journalistengruppe kürzlich heraus, kamen seit dem Jahr 2000 an Europas Grenzen ums Leben oder wurden als vermisst gemeldet.

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Zwar ist "Brüssel" für die Flüchtlingspolitik in Europa längst nicht alleine zuständig - die 28 nationalen Regierungen haben gewichtige Worte mitzureden. Dennoch ist fraglich, ob der nächste Kommissionspräsident sich noch so heraushalten kann. Denn Experten etwa aus der EU-Grenzagentur Frontex erwarten, dass der Druck an Europas Grenzen kurz- und längerfristig noch erheblich steigen wird. Viele Migranten kommen aus Armutsregionen, noch mehr jedoch aus Kriegs- und Konfliktgebieten und Unrechtsstaaten: Syrien, Afghanistan, Somalia, Eritrea und andere.

In den laufenden Wahlkampf zu den Europawahlen hat das Thema jedenfalls Eingang gefunden. "Bemerkenswert ist, dass die Spitzenkandidaten aller paneuropäischen Parteien für mehr legale Zuwanderung werben", meint Torsten Moritz von der Flüchtlingsorganisation "Kommission der Kirchen für Migranten in Europa" (CCME). Der Christdemokrat Jean-Claude Juncker etwa unterstreicht einerseits, dass die Situation in Herkunfts- und Durchreiseländern verbessert und die EU-Außengrenze besser abgesichert werden müsse. Andererseits wirbt Juncker dafür, dass mehr Menschen auf legalem Weg nach Europa kommen und dort arbeiten können. "Ich möchte, dass Europa mindestens so attraktiv für Einwanderer wird wie Australien, Kanada oder die USA."

Flüchtlingsrechtler: Seerettung muss von der EU bezahlt werden

Eine solche Politik der Arbeitsmigration, die auch der Überalterung der Gesellschaft entgegenwirken soll, zielt freilich vor allem auf gut ausgebildete Menschen ab. Nur ein Teil der Schutzbedürftigen an Europas Grenzen käme überhaupt für solche Programme in Frage. Der Sozialdemokrat Schulz verfolgt in seinen Wahlreden einen etwas breiteren Ansatz: Explizit möchte er mehr legale Zuwanderung, Schutz für politisch Verfolgte und ein "System des temporären Schutzes für Menschen aus Bürgerkriegs- und Katastrophenregionen". Schon nach der Tragödie von Lampedusa hatte Schulz als EU-Parlamentspräsident nachdrücklich für mehr Großzügigkeit bei der Aufnahme von Flüchtlingen geworben.

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Dafür wehte ihm im Wahlkampf heftiger Gegenwind entgegen. "Die Schlepperbanden in Afrika haben einen Geschäftsführer bekommen", wetterte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber in Richtung Schulz. Diesen traf die Attacke offenbar so hart, dass er sie im großen Fernsehduell aller Spitzenkandidaten Mitte Mai eigens erwähnte. Seine und Junckers Vorhaben gingen durchaus in eine ähnliche Richtung, machte er dem Publikum klar. Einen Unterschied sehe er eher zwischen Junckers Politik und der der CSU.

Ob es letztlich zu mehr regulärer Arbeitsmigration nach Europa kommen wird, hängt indessen auch von den einzelnen EU-Regierungen ab - die dem Thema nach wie vor skeptisch gegenüberstehen. Mehr Bewegung ist gerade in einem anderen Bereich zu beobachten: der Seerettung von Flüchtlingen vor der Küste Italiens. Im Rahmen der aufwändigen Operation "Mare Nostrum" bringen italienische Sicherheitskräfte die Menschen an Land. Es wäre positiv, wenn die Aktion in Zukunft fortgesetzt und auch umfassend von der EU finanziert würde, meint der Flüchtlingsrechtler Moritz. Alle Menschen an den europäischen Außengrenzen müssten Zugang zu fairen Asylverfahren erhalten, verlangt er: "Wichtig ist, dass der nächste Kommissionspräsident sich dafür einsetzt, die bestehenden EU-Standards überall durchzusetzen."