Polizist und Ex-Krimineller: "Schaut hin, es lohnt sich!"

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Gewalt und Brutalität bestimmt das Leben in einer Straßengang, auch in Berlin. Das lässt sich stoppen, sagen die Autoren von "Kampfzone Straße".
Polizist und Ex-Krimineller: "Schaut hin, es lohnt sich!"
Sie kennen sich von der Straße: Polizeihauptkommissar Karlheinz Gaertner ist seit 40 Jahren in Berlin-Neukölln auf Streife und hat regelmäßig mit jungen Gewalttätern zu tun. Fadi Saad gehörte als Gangmitglied und Krimineller zu Gaertners Klientel. Beide standen sich gegenüber in der Szene zwischen Kriminalität, Gewalt und Bedrohung. Jetzt haben sie ihr gemeinsames Buch „Kampfzone Straße – Jugendliche Gewalttäter jetzt stoppen“ in einem Brennpunktviertel vorgestellt.

Der Zugang zur "Gemeinschaftsschule auf dem Rütli-Campus" in Berlin-Neukölln wird durch Polizeistreifen gesichert, am Eingang zur Schulaula stehe breitschultrige, arabisch-stämmige Männer. Nur wessen Namen auf der Liste steht, kommt hier rein. Dabei wird in der Schule, die vor ein paar Jahren wegen Gewaltexzessen und einer hilflosen Lehrerschaft durch die Presse ging, heute nur ein Buch vorgestellt.

Etwa 200 Menschen sind gekommen, um zu hören, was die Autoren Karlheinz Gaertner und Fadi Saad zu berichten wissen von den Zuständen auf den Straßen Neuköllns, über Messerattacken von 12jährigen, mangelndem Respekt vor der Polizei, Jugendbanden, sozialer Verwahrlosung, hilflosen Eltern und überforderten Lehrer. Saad und Gaertner standen sich früher in der "Kampfzone Straße" als Feinde gegenüber. Heute wollen sie gemeinsam Missstände aufzeigen und Lösungen anbieten, die nicht am Politiker-Schreibtisch erdacht wurden, sondern von der Straße kommen.

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"Hier kommen Menschen zusammen, die sich sonst niemals getroffen hätten", meint Saad als er mit einem breiten Lächeln auf die Menschen in der überfüllten Aula blickt. Anwohner aus dem Viertel sind gekommen, Kollegen und Bekannte, Schüler und Lehrer, Türken, Deutsche und Araber, und auch Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky ist da. Das ist das Ziel der beiden Autoren: so wie sie selbst, sollen sich Menschen mit unterschiedlichem kulturellen, sozialen und religiösen Hintergrund kennenlernen und ein gemeinsames Bewusstsein schaffen für Missstände in ihrem Viertel.

Der Name der Gang: "Araber Boys 21"

Früher machte Fadi Saad, der einer von sechs Brüdern einer palästinensisch-stämmigen Familie ist, Neuköllns Straßen mit seiner Gang "Araber Boys 21" unsicher, stand acht Mal vor Gericht, wegen Körperverletzung, Diebstahl und räuberischer Erpressung. Erst als er ein Wochenende im Jugendarrest verbrachte und selbst Opfer von Gewalt wurde, hat sich sein Leben geändert. Heute ist Saad Quartiersmanager und versucht als Sozialarbeiter, Seelsorger, juristischer Berater und Konflikt-Schlichter den Gewaltkreislauf im Viertel zu durchbrechen, zwischen Polizei und Szene zu vermitteln und Jugendliche von der schiefen Bahn in ein geordnetes Leben zurückzuholen. Mit Karlheinz Gaertner, Dienstgruppenleiter eines Polizeiabschnitts in Neukölln, organisiert Saad den "Körner-Cup", ein jährliches Fußballturnier zwischen Feuerwehr, Polizei und Jugendlichen.

Karlheinz Gaertner kämpft seit 40 Jahren gegen Straßenkriminalität in Neukölln und hat breiteste Erfahrung in der Verfolgung von Gewalt- und anderen Straftaten. "Die Täter werden immer jünger und aggressiver" meint der 59jährige und fordert eine generelles Waffenverbot auf der Straße. Fast 320 000 Menschen leben in Neukölln, davon die Hälfte mit Migrationshintergrund. Die Arbeitslosigkeit liegt in dieser Gruppe bei 29,1 Prozent. Knapp 42 000 Straften werden hier jährlich gezählt, davon alleine 4000 Körperverletzungen. Zuletzt endete eine Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Palästinensern nach einem Fußballspiel in einer tödlichen Messerstecherei. Scheinbar wahllos wird nachts ein Türke auf offener Straße erschossen, der Streit zweier arabischer Gangs endet in einer minutenlangen Schießerei – nur drei der allerjüngsten Gewaltexzesse in Neukölln.

Die Autoren des Buches "Kampfzone Straße": Hauptkommissar Karlheinz Gaertner und Ex-Gangmitglied Fadi Saad. Bild: Herder Verlag/Moussa Hakal

"Unsere Botschaft soll bei denen ankommen, für die sie bestimmt ist" sagt Saad bei der Buchvorstellung in der Rütli-Schule. Er fordert das Ende der "Kuschelpädagogik", ein härteres und schnelleres Durchgreifen der Behörden und tritt für einen autoritäreren Umgang mit jugendlichen Straftätern ein. "Nur wenn man sich Respekt bei denen verschafft, hören die einem zu und merken, dass sie etwas falsch gemacht haben", auch wenn man dabei laut werden muss. "Die kennen nichts anderes von zu Hause", sagt Saad. Gemeinsam mit Karlheinz Gaertner diskutiert er regelmäßig mit Schulklassen in den Brennpunktvierteln. "Gewaltprävention fängt in der Schule an."

Eltern mehr in die Verantwortung nehmen

Dennoch müssen gerade die Eltern auffälliger Kinder mehr in die Verantwortung genommen werden, meint Gaertner. "Und wenn die überfordert sind, dann muss man ihnen die Last eben nehmen und die Kinder in geschlossenen Schulen stecken."Dass Veränderungen möglich sind und das die Hoffnung auf ein besseres Miteinander in sozialen und kulturellen Brennpunkten berechtigt ist, beweist nicht zuletzt der Ort, an dem Saad und Gaertner ihr Buch präsentieren. Nach baulichen Veränderungen, Investitionen und Personalaufstockung verzeichnet der Rütli-Campus einen deutlichen Rückgang der Gewalt. Im letzten Jahr schafften nur zwei der Schüler ihren Hauptschulabschluss nicht, dafür wechselten 35 aufs Gymnasium.

Manche der Ideen des ungleichen Autoren-Duos Saad/ Gaertner, wie der Gewalt, Kriminalität und Verwahrlosung in manchen Stadtvierteln Berlins zu begegnen sei, ihre Forderung nach einem Ende des "Gutmenschentums" und einem harten Durchgreifen sind diskussionswürdig. Dass ein Polizist und ein ehemaliges Bandenmitglied zusammenarbeiten und ein Buch über die "Kampfzone Straße" verfasst haben beweist dabei, dass die Fronten aufgebrochen werden können. "Begegnung, Respekt und die Bereitschaft, einander zuzuhören" – so beschreiben die beiden ungleichen Männer ihre Mission. "Wir können es nur gemeinsam schaffen", das ist der letzte Satz, den Karlheinz Gaertner an diesem Tag in Neukölln ins Mikrophon spricht.