Irrtum vom Amt, Beratung von der Kirche

Foto: Martin Kirchner/www.beratung-kann-helfen-de
Am Beratungsbus bekommen Hartz-IV-Empfänger Informationen: Über Gesetze, Regelsätze und Widerspruchsmöglichkeiten.
Irrtum vom Amt, Beratung von der Kirche
Bei der Berechnung der Hartz-IV-Sätze machen die staatlichen Jobcenter häufig Fehler. Hilfe erhalten die Betroffenen bei der evangelischen Kirche. Das Berliner Arbeitslosenzentrum (BALZ) hat die Aktion "Irren ist amtlich - Beratung kann helfen!" gestartet.

Klaus Raab* hängt an seiner Charlottenburger Wohnung. "Jeder Gegenstand hat für mich Bedeutung", sagt der 56-Jährige. Raab hat die Wohnung von seinen Eltern übernommen. Nach deren Tod zog er dort ein – und kehrte wieder zurück an den Ort, an dem er aufgewachsen ist. Hier möchte er bleiben.

Raab lebt seit einigen Jahren von Hartz IV, weil er seinen Job als Kraftfahrer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann. Das Jobcenter hat ihn nun aufgefordert, sich eine günstigere Wohnung zu suchen. "Ich zahle 461 Euro für eine 50-Quadratmeter-Wohnung", erklärt Raab. Damit liegt er für das Jobcenter 83 Euro über dem Mietrichtwert.

Kirche berät Betroffene

Ausziehen will Raab aber nicht. Am Beratungsbus des Berliner Arbeitslosenzentrums (BALZ) der evangelischen Kirche informiert er sich darüber, welche Konsequenzen das für ihn haben wird. Hier beantworten Sozialarbeiter und Anwälte Fragen zum Arbeitslosengeld II, gehen mit Ratsuchenden Bescheide durch und klären sie über ihre rechtlichen Möglichkeiten auf.

"Kosten der Unterkunft, also alles was mit der Wohnung zu tun hat – das ist zurzeit eindeutig der Schwerpunkt unserer Beratung", sagt Frank Steger, der die mobile Beratungsaktion koordiniert. Berliner, die Hartz IV beziehen, finden aufgrund der gestiegenen Mieten immer seltener eine Wohnung, die den Auflagen des Jobcenters entspricht.

Deswegen erhöhte der Berliner Senat zum Mai diesen Jahres die Richtwerte für angemessene Mieten von Arbeitslosengeld-II- und Sozialhilfeempfängern. "Die Mietrichtwerte sind leicht angehoben worden, das reicht aber nicht aus, um der Situation am Wohnungsmarkt gerecht zu werden", kritisiert Steger. Für viele Menschen stelle die angespannte Lage weiterhin "ein großes Problem" dar.

Widerspruch und Klage sind möglich

Im Gespräch mit Anwältin Romana Doppler vom Beratungsteam erfährt Klaus Raab, dass er künftig nicht nur 83 Euro für die Miete aus seinem Hartz-IV-Regelsatz bezahlen muss. Auch für die Heizkosten, die über dem Richtwert des Jobcenters liegen, muss er aufkommen.

"Ich wusste, dass die Miete nicht mehr voll übernommen wird", sagt Raab. "Aber dass auch noch zusätzliche Betriebskosten auf mich zukommen, habe ich noch gar nicht bedacht." Der Regelsatz liegt bei 374 Euro, weil Raab monatliche Fixkosten für Strom und Telefon hat, blieben ihm dann nur noch rund 200 Euro zum Leben.

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Raab hat Widerspruch gegen den Bescheid vom Jobcenter eingelegt. Er macht geltend, dass er derzeit keine günstigere Wohnung findet. Und er hat Anspruch auf einen Härtefall-Zuschlag von zehn Prozent, weil er bereits länger als 15 Jahre in seiner Wohnung lebt und außerdem gehbehindert ist. Er ist auf Krücken angewiesen und kommt in seiner derzeitigen Wohnung gut zurecht.

Beraterin Doppler geht den Fall genau mit ihm durch und erklärt: "Das Jobcenter hat drei Monate Zeit, um auf den Widerspruch reagieren". Wird der Widerspruch innerhalb dieses Zeitraums nicht bearbeitet, kann Raab vor dem Sozialgericht wegen Untätigkeit klagen.

Auch Jobcenter machen Fehler

Am Beratungsbus wird vielen Betroffenen erst bewusst, dass sie die Entscheidungen der Behörde nicht hinnehmen müssen. Hier erfahren sie auch, welche Fristen sie selbst einhalten sollten. "40 Prozent aller Widersprüche gegen Berlins Jobcenter sind erfolgreich", sagt Steger. Außerdem gingen im vergangenen Jahr knapp 31.000 Klagen am Berliner Sozialgericht ein. Etwa die Hälfte der Berliner Klageverfahren endet zumindest mit einem Teilerfolg für die Hartz-IV-Empfänger.

"Es kommt immer wieder vor, dass das Amt irrt", sagt Steger, der seit sechs Jahren mit dem Beratungsbus in Berlin unterwegs ist. Ab und an würden dem Jobcenter bei der Einkommensberechnung der sogenannten "Aufstocker" Fehler unterlaufen. Also bei Arbeitnehmern und Selbständigen, die Hartz IV beziehen, weil ihr Arbeitseinkommen nicht zum Leben reicht.

Kompliziert werde es vor allem bei Personen mit unregelmäßigen Einkommen, so Steger. Zum einen seien die Bescheide oft unverständlich, und die Betroffenen könnten die Berechnung nicht nachvollziehen. "Zum anderen kommt es aber auch vor, dass die Jobcenter bestimmte Faktoren nicht berücksichtigen und daher Fehler machen."

Schauspieler lässt sich beraten

Als Schauspieler gehört Peter Arnolds* zu den "Aufstockern". Auch er lässt sich am Bus beraten. Arnolds hat kein festes Engagement, sondern wird unregelmäßig für Filmproduktionen gebucht. "Ohne Hartz IV wäre ich nicht krankenversichert", sagt er. Sein Einkommen kann Arnolds nicht im Vorhinein kalkulieren, deswegen wird sein Hartz-IV-Regelsatz immer wieder neu berechnet.

100 Euro seines monatlichen Einkommens darf Arnolds behalten, alles was darüber liegt wird prozentual verrechnet und vom Regelsatz der Folgemonate abgezogen. In zwei Tagen am Set verdient er manchmal mehr als ein fest angestellter Theaterschauspieler in einem Monat. "Aber von dem Geld, das ich verdiene, bleibt eigentlich nichts übrig", sagt Arnolds.

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Die Berechnung der Freibeträge unterliegt klaren Regeln. "Für jede Einkommensspanne gelten aber andere Freibeträge, deswegen ist es für die Betroffenen nicht immer eindeutig nachvollziehbar, wie wir den Regelsatz berechnen", erklärt Carsten Kosterski, der stellvertretende Geschäftsführer des Jobcenters Berlin Mitte.

Die hohe Zahl der Klageverfahren vor dem Berliner Sozialgericht habe teilweise mit "Qualitätsproblemen" des Personals zu tun, räumt Kosterski ein. "Wir arbeiten oft mit befristeten Angestellten." Zwar würden alle Sachbearbeiter des Jobcenters geschult, in manchen Fällen seien die Mitarbeiter jedoch unsicher.

Dies könne allerdings nicht allein dem Personal der Jobcenter angelastet werden, sagt Kosterski. "SGB II ist eine hochkomplexe Sache". Eine eindeutige Auslegung der Gesetze sei oft gar nicht möglich. "Außerdem gab es in den letzten acht Jahren 54 Gesetzesänderungen".

Frank Steger stimmt dem zu: "Hier hat der Gesetzgeber den Mitarbeitern der Jobcenter etwas aufgebürdet, was nun von den Sozialgerichten abgearbeitet wird." Er stellt klar, dass der Beratungsbus keine Initiative gegen das Personal der Jobcenter sei. "Wir überlegen teilweise auch gemeinsam, wie die Situation für die Arbeitssuchenden verbessert werden kann."

"Hier kann man wenigstens mal mit jemandem sprechen"

Noch wird der Bus aber nicht vor allen Jobcentern gern gesehen. Denn die Berater von BALZ legen durchaus amtliche Missstände offen. Steger kritisiert etwa, dass es keine direkten Ansprechpartner für Arbeitssuchende gibt. "Die Betroffenenen müssen über eine Telefon-Hotline gehen, der Sachbearbeiter aus der Leistungsabteilung soll dann zurückrufen", weiß er. "Das funktioniert aber häufig nicht."

Diese Erfahrung machte auch die 35-jährige Carolyn Smith*. Die alleinerziehende Mutter wartet schon seit Tagen auf ihr Geld. Sie musste ihr Jurastudium nach acht Semestern abbrechen, weil sie nicht mehr für sich und ihre Tochter aufkommen konnte.

Den Antrag auf Leistungen habe sie fristgerecht abgegeben, erklärt sie. Trotzdem er bewilligt wurde, sei zum Monatsanfang kein Geld überwiesen worden. "Ich muss mit meiner Tochter zum Arzt, aber wir können uns noch nicht einmal das Ticket für die U-Bahn leisten", sagt Smith.

"Das ist so demütigend"

Als sie verzweifelt bei der Hotline des Jobcenters anrief, habe es minutenlang gedauert, bis sie durchgestellt wurde. "Ich habe meine Situation weinend geschildert, da wurde mitten im Gespräch einfach aufgelegt", berichtet sie. "Das ist so demütigend, wie die mit Menschen umgehen." Schließlich erfuhr Smith, dass die für sie zuständige Sachbearbeiterin im Urlaub sei. Deswegen habe man ihr Geld nicht pünktlich überwiesen.

Smith will so schnell wie möglich eine Arbeit finden. Sie ist sehr froh darüber, dass es den Beratungsbus gibt. "Hier kann man wenigstens mal mit jemandem sprechen", sagt sie. Dafür ist das mobile Beratungsteam auch da: "Die Rat und Hilfesuchenden sollen nicht das Gefühl haben, dass sie quasi Menschen zweiter Klasse sind", sagt Steger.

*Die Nachnamen wurden von der Redaktion geändert.