Als Martin Luther die Jugend begeisterte

Foto: epd-bild/Mathias Ernert
Als Martin Luther die Jugend begeisterte
Mit der "Heidelberger Disputation" geht ein Traum des Reformators in Erfüllung
In Heidelberg konnte Martin Luther 1518 erstmals seine umstrittenen Thesen diskutieren. Später gab es vor dem Altar der Heiliggeistkirche ein handfestes Gerangel zwischen Katholiken, Lutheranern und Reformierten. Die Stadt bietet Luther-Führungen an.
30.08.2016
epd
Marcus Mockler

Der 26. April 1518 war für den Reformator Martin Luther (1483-1546) eine Premiere: Ein halbes Jahr nach Veröffentlichung seiner 95 Thesen hatte er zum ersten Mal außerhalb Wittenbergs die Möglichkeit, mit Akademikern darüber zu diskutieren. Bei den Heidelberger Professoren biss er allerdings mit seinen Vorstellungen über die Rechtfertigung - was also einen Menschen "gut" macht vor Gott - auf Granit.

Viel nachhaltiger sollte der 34-jährige Theologie-Professor Luther bei den Studenten wirken, die ihm in diesen Stunden zu Füßen saßen. Die Rechtfertigungslehre war die Basis für die Kritik am Ablasshandel, die Luther in den am 31. Oktober 1517 veröffentlichten 95 Thesen formuliert hatte.

Heidelberg gilt historisch nicht als Zentrum des lutherischen, sondern des reformierten Glaubens. Die kurpfälzischen Herrscher entschieden sich für diesen Teil der Reformation. Hier wurde 1563 der Heidelberger Katechismus verabschiedet, der stärker den Ideen von Johannes Calvin folgte als denen Luthers. Da die Reformierten Bildern gegenüber noch kritischer waren als die Lutheraner, sind manche Kirchen Heidelbergs bis heute im Inneren sehr schlicht.

Stadtführer Reinhard Störzner bietet spezielle Luther-Touren an. Der Heidelberg-Experte hat zur Kirchengeschichte der Stadt einen sehr persönlichen Zugang - er ist Vorsitzender des Ältestenkreises der Heiliggeistkirche im Herzen der Altstadt. Er berichtet lebendig von den heftigen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken, Lutheranern und Reformierten. So gab es wegen des Streits um das richtige Verständnis vom Abendmahl vor dem Altar der Heiliggeistkirche ein handfestes Gerangel unter den Geistlichen. Diese Kirche war zudem 230 Jahre lang, bis 1936, durch eine Mauer in zwei Teile getrennt, Katholiken und Protestanten hatten verschiedene Eingänge.

Auf dem heutigen Universitätsplatz, wo im 16. Jahrhundert das Augustinerkloster stand, wurde 1983 zum 500. Geburtstag Martin Luthers eine Gedenkplatte in den Boden gelassen. Luther hatte im Kloster übernachtet und vermutlich in der benachbarten Artistenfakultät disputiert, berichtet Störzner. Anlass war die Generalversammlung des Augustiner-Ordens, dessen Generalvikar Johann von Staupitz Luthers Beichtvater war. Der Augustiner-Mönch Luther war, teilweise zu Fuß, aus Wittenberg gekommen.

Luther lobte drei Wochen nach seinem nur einige Tage währenden Aufenthalt in einem Brief die Atmosphäre der Disputation. Die Dozenten hätten sich ihm "aufs beste empfohlen". Nur einer der Doktoren habe die ganze Zuhörerschaft zum Lachen gebracht mit dem Spruch: "Wenn das die Bauern hörten, würden sie Euch gewiß steinigen und totschlagen." Gleichzeitig bedauerte Luther, dass er bei den altgedienten Professoren mit seiner Botschaft nicht landen konnte. Er äußerte die Hoffnung, dass die "wahre Theologie, von jenen eingebildeten Alten verstoßen, sich zur Jugend wende".

Die Reformation im Südwesten Deutschlands

Und genau das passierte: Unter den Zuhörern saßen mehrere junge Männer, die später die Reformation im Südwesten durchsetzten. Mit dabei waren Martin Bucer (Reformator in Straßburg), Johannes Brenz (Schwäbisch Hall/Stuttgart), Martin Frecht (Ulm) und Theobald Billican (Nördlingen). So hatte Luthers Auftritt am Neckar eine viel nachhaltigere Wirkung, als er wohl selbst nach seiner Disputation erwartet hätte.

Erinnerungen an den kurzen Besuch des 34-jährigen Reformators gibt es in der Stadt kaum. Neben der Peterskirche, die heute als Universitätskirche dient, steht seit 1883 eine Luther-Eiche. Ein Glasfenster weist Kirchenbesucher auf die großen Köpfe der Reformbewegung hin. Außerdem steht ebenfalls in der Altstadt die Providenzkirche, ein 1661 fertiggestellter lutherischer Kirchenbau, den Kurfürst Karl-Ludwig seiner Zweitfrau Louise von Degenfeld errichten ließ.

"Die größten aller Ochsen"

Der Streit der Konfessionen ging manchem Heidelberger in den vergangenen Jahrhunderten auch mächtig auf die Nerven. Stadtführer Störzner zitiert dazu einen historischen Spottvers: "Die Katholiken sind voller List und Tücken. Die Calvinisten sind keine rechten Christen. Doch die größten aller Ochsen - sind die lutherischen Orthodoxen."

Die eigentliche Renaissance erlebt der Reformator Martin Luther derzeit im Foyer der Heiliggeistkirche. Dort steht er als Playmobilfigur zum Verkauf. "Unser Bestseller", schmunzelt Störzner.