TV-Tipp: "Unschuldig – Der Fall Julia B."

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4. Mai, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Unschuldig – Der Fall Julia B."
Vor fünf Jahren hat eine Lehrerin angeblich einen 16-jährigen Schüler ermordet. Als ein entlastendes Indiz auftaucht, wird sie freigesprochen. Julia Brandt (Emily Cox) würde nun gern ihr altes Leben wieder aufnehmen, doch das existiert nicht mehr.

Der Gatte hat gleich nach ihrer Verhaftung die Scheidung eingereicht und wird demnächst heiraten, eine Rückkehr ans Gymnasium bleibt ihr ebenfalls verwehrt, weil sie angeblich eine Affäre mit dem späteren Mordopfer hatte; und der Vater des Jungen tapeziert die norddeutschen Kleinstadt mit Flugblättern, die vor ihr warnen. Derweil bekommt ein Kommissar den Auftrag, den Fall neu aufzurollen.

2019 hat die ARD ein Krimidrama mit ähnlicher Ausgangslage gezeigt: Felix Klare spielte in "Unschuldig" einen Mann, der als Mörder seiner Frau verurteilt worden ist und wegen eines Verfahrensfehlers freikommt. Neben dem Geschlechterwechsel bei den zentralen Figuren – damals ermittelte eine Kommissarin – gibt es einen weiteren Unterschied, der erheblich größere Folgen für die Dramaturgie hat: Den Freigelassenen umwehte dem Titel zum Trotz der Hauch eines Restzweifels, weshalb der Film 180 Minuten lang fesselte. Das ist diesmal anders, aber nicht der einzige Grund, warum "Unschuldig – Der Fall Julia B." gerade im zweiten Teil gewisse Längen hat. 

Für die Auftritte von Thomas Loibl gilt das ausdrücklich nicht: Max Kauth würde auch eine prima Reihenfigur abgeben. Der Kommissar gilt als wunderlich, weil er Selbstgespräche führt, dabei redet er in Wirklichkeit mit Toten. Die Plaudereien mit seiner bei einem Verkehrunfall verstorbenen Kollegin Jessica bescheren dem Film eine verblüffende Leichtigkeit, zumal Christina Große die Polizistin mit viel Ironie versieht. Je mehr sich Kauth auf den Fall einlässt, desto häufiger wird er jedoch vom Opfer (Eloi Christ) heimgesucht. Nach und nach stellt sich raus, dass Felix Weixler, Star der von Julia geleiteten Theater-AG, ein manipulativer Narzisst war. Selbst fünf Jahre nach seinem Tod stiftet der junge Mann ähnlich wie der von ihm in Shakespeares "Sommernachtstraum" verkörperte Hofnarr Puck eine Menge Unruhe.

Wie im ersten Film ergeben die Ermittlungen, dass sämtliche Beteiligten, mit denen Kauth spricht, ein Mordmotiv gehabt hätten: die Mutter einer jungen Mitschülerin, die von Felix gemobbt worden ist, ebenso natürlich die Schülerin selbst; von seiner eifersüchtigen Ex-Freundin ganz zu schweigen. Selbst Hannes Weixler (Peter Schneider) gerät in Verdacht, denn der Kommissar stößt auf ein familiäres Geheimnis, das den ohnehin psychisch labilen Vater vollends aus der Bahn geworfen hat. Während Kauths junger Kollege Naveed Nawawi (Mehdi Meskar) die Fallwand um immer neue Verdächtige ergänzt, ergeben sich zusätzliche Verflechtungen: Katrin Voss (Katharina Marie Schubert), die Mutter des jungen Mobbingopfers Betty (Luna Jordan), hat sich damals als Sozialarbeiterin um Felix gekümmert; außerdem ist sie die zukünftige Gattin von Julias Ex-Mann Jan (Jan Krauter). Als Jan wieder zu seiner früheren Frau hingezogen fühlt, drohen Mutter und Tochter ihr unabhängig voneinander Gewalt an. 

Autor der "Unschuldig"-Filme ist Florian Oellers. Seine Drehbücher basieren auf zwei Staffeln der britischen Miniserien "Innocent" (ITV); dort hat der Kommissar allerdings keine Erscheinungen. Regie führte diesmal Ute Wieland, die gerade dem ersten Teil gemeinsam mit Kamerafrau Eeva Fleig einen besonderen Look gegeben hat: Dank eines starken Grünstichs, der in vielen Szenen auch Ausstattung und Kostümbild prägt, wirken die Aufnahmen oft wie unter Wasser gefilmt. Umso heimeliger ist ein unerwarteter Moment, als das Licht plötzlich ganz warm wird: Zum Befremden Naveeds, der natürlich nur den Kollegen sieht, tanzen Kauth und Jessica eng umschlungen zu Kuscheljazz. Der zweite Teil wird ohnehin zunehmend sommerlich-sonniger und dank mancher Blütenpracht ungleich bunter. 

Luna Jordan verkörpert Betty allzu sehr als potenzielle Amokläuferin, aber davon abgesehen ist "Unschuldig – Der Fall Julia B." auch darstellerisch sehenswert. Ganz ausgezeichnet ist neben Emily Cox wie so oft Thomas Loibl als melancholischer Ermittler, der nur einmal aus sich rausgeht, als er Katrin Voss erklärt, Lügen seien wie Zeitbomben, die irgendwann alles zerstörten, was einem lieb sei: "Und plötzlich findet man sich in der Hölle der Einsamkeit wieder." Wichtige, aber kleine Nebenrollen sind mit Andreas Guenther, Barbara Philipp und Michael Pink sehr markant besetzt, die abwechslungsreiche Musik (Oli Biehler, Eckart Gadow) sorgt für hintergründige Spannung. Das "Erste" zeigt beide Teile hintereinander.