Der Gaza-Konflikt in Berlin

Yoni Yahav in Berlin
Foto: Boaz Arad
Yoni Yahav in Berlin
Der Gaza-Konflikt in Berlin
Yoni Yahav, jüdischer Israeli, engagiert sich bei "Combatants for Peace" für ein friedliches Zusammenleben von Palästinensern und Israelis. Zurzeit studiert er in Berlin. An einem Tag im April wurde er vor seiner Wohnung von jugendlichen Palästinensern krankenhausreif geschlagen. Trotzdem möchte Yahav in der deutschen Hauptstadt bleiben.

Der Graefe-Kiez in Berlin-Kreuzberg gilt als bunt, multikulturell und weltoffen. Hier wohnen Deutsche, Russen, Asiaten, Türken, Araber - und Juden. Yoni Yahav und seine Freundin Rotem leben seit Februar 2014 hier. Sie sind froh, ihre lichtdurchflutete Neubau-Wohnung von Israel aus gefunden zu haben. "Berlin hat eine entspannte offene und freie Atmosphäre, wo Leute so sein können, wie sie sind, und tun können, was sie wollen, ohne dafür viel Geld ausgeben zu müssen", sagt der 31Jährige.

Kein Wunder, dass in Berlin mittlerweile rund 20.000 vor allem junge Israelis wohnen, die längst untereinander ihre eigenen Netzwerke gebildet haben. Für den jüdischen Israeli Yoni Yahav gibt es aber einen noch tieferen Beweggrund, gerade hierher zu kommen, um Land, Leute und die Sprache kennen zu lernen: Auch nach drei Generationen ist die Verarbeitung des Holocaust für ihn noch längst nicht beendet. "Es gibt diese spezielle kulturelle Verbindung. Viele Israelis haben Deutsche kennengelernt und umgekehrt. Wir teilen die gemeinsame Erinnerung und wohl auch das gemeinsame Trauma."

Berlin - ein angenehmer Ort für Israelis?

Yoni Yahav kommt aus Jerusalem-West. Seine Eltern sind konservativ-religiös, er selbst hält eher Distanz zur eigenen Religion. Noch als Schüler besuchte der junge Israeli das KZ Auschwitz, für ihn ein Schlüsselerlebnis. Seitdem reifte bei ihm der Gedanke, sich künftig für die Völkerverständigung einzusetzen. Oft war er seitdem in Jerusalem-Ost, besuchte und unterstützte Friedens- und Bildungsprojekte.

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Noch heute engagiert er sich in der israelisch-palästinensischen Organisation "Combatants for Peace". Seine Überzeugung ist, dass es immer besser ist, miteinander zu reden statt zu kämpfen. In Givat Haviva, einem israelischen Zentrum für Friedensstudien, lernte er Arabisch, das mittelalterliche des Korans wie auch das heutige Alltags-Arabisch. Finanziert haben ihm das zur Hälfte seine Eltern und zur anderen Hälfte das israelische Militär. Die IDF sei an jedem jüdischen Israeli interessiert, der gutes Arabisch beherrsche, erklärt Yahav. Vier Jahre diente er danach bei der Armee, allerdings nicht bei einer Kampfeinheit, weshalb er in der aktuellen Gaza-Krise kaum damit rechnet, als Reservist eingezogen zu werden.

Nach Berlin ist er gekommen, um an der Freien Universität an dem "Intellectual Encounters of the Islamicate World"-Programm teilzunehmen. Es geht um die Geistesgeschichte der islamischen Welt, islamisches Recht, Philosophie und die muslimische, jüdische und christliche Mystik im arabischsprachigen Raum. Ein zweisemestriger Online-Masterstudiengang mit internationalen Studenten. Yahav ist der einzige, der dafür extra nach Berlin gekommen ist. Denn er wollte unbedingt die Hauptstadt der Deutschen kennen lernen, die heute ein so angenehmer Ort gerade auch für Israelis ist.

Schläge frontal ins Gesicht

Bis Berlin für ihn am 24. April abends plötzlich zur Konfliktzone wurde. Yahav wollte sein Fahrrad vor dem Haus anschließen, da wurde er von einer Gruppe palästinensischer Jugendlicher angesprochen. Dem späteren Polizeibericht ist zu entnehmen, dass einer von ihnen, 22 Jahre alt, aus Haifa, der andere, 17 Jahre, aus Ramallah stammen. Freunde haben Yahav später ermuntert, über all das auch mit Journalisten zu reden. Die Gruppe fragte ihn auf deutsch, woher er komme. Zwar besucht Yahav einen Deutschkurs, aber antworten konnte er nur kurz, dass er Israeli sei. Daraufhin wurde er beschimpft, unflätig, in Fäkalsprache, so etwas wie "Deine Mutter ist eine Hure" oder "Wir ficken Deine Schwester" und so weiter. Zur Überraschung der Jugendlichen verstand Yahav ihre Worte und antwortete arabisch: "Ihr kennt nicht meine Mutter und ihr kennt nicht meine Schwester und ihr wisst nicht, wer ich bin!"

Yoni Yahav in Berlin mit einer Verletzung unter dem Auge, die von dem Überfall stammt.

Verdutzt fragten sie zurück, ob er arabischer Israeli sei. Aber Yahav wollte nicht lügen. Jeder soll ruhig wissen, dass er Jude ist. Es folgte eine weitere Kaskade übelster Beschimpfungen. Besonders fiel ihm da schon der hochgewachsene Palästinenser auf, mit einer Flasche in der Hand, extrem aggressiv, offensichtlich alkoholisiert. Schließlich ließ sich die Gruppe wegschicken. Yoni Yahav ging ins Bett, ohne Schlimmeres zu ahnen.

Am nächsten Morgen bemerkte er, dass Teile an seinem Fahrrad fehlten. Und wieder waren da die Jugendlichen vom Vorabend. Yoni Yahav stellte sie zur Rede: "Wer hat euch beigebracht zu stehlen? Habt Ihr keine Ehre, keinen Respekt?" Diese antworteten, sie hätten doch schon den Respekt gehabt, ihn noch nicht am Vorabend geschlagen zu haben. Als Yahav schließlich nach langem Wortwechsel sagte, dass er die israelische Politik und besonders Benjamin Netanjahu kritisiere, aber auch in der Armee gedient habe, schlug ihm der hochgewachsene Palästinenser frontal ins Gesicht. Schnell kam die Polizei. Den Behörden war klar, dass die Tat einen antisemitischen Hintergrund hatte.

Yahav kam ins Krankenhaus, Nase und Jochbein waren betroffen. Eine Behandlung war notwendig, damit sein Auge keinen bleibenden Schaden nahm. Aus versicherungstechnischen Gründen musste er nach Israel reisen, um sich den Eingriff leisten zu können. Auch wollte seine Familie ihn sehen. Lange diskutierten sie, ob er überhaupt wieder nach Berlin zurückkehren sollte. Schließlich konnte er sein Studium auch online von Jerusalem aus zu Ende bringen. Aber Yoni und Rotem sind jetzt wieder in Berlin.

"Gewalt löst keine Probleme"

Wichtig war für ihre Rückkehr-Entscheidung auch, dass der Täter zwei Mal an ihrer Wohnungstür klingelte, um sich mit Pralinen und Blumen zu entschuldigen. Eine Kommilitonin hütete während ihrer Abwesenheit die Wohnung und nahm die Geschenke entgegen. Auch wenn er den Täter seither von weitem im Kiez gesehen hat, eine direkte Aussprache gab es bis heute nicht. Yahav geht davon aus, dass es dem Palästinenser wirklich leid tut und er sich schämt.

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Wichtig ist es für Yoni Yahav, sich nicht zu verstecken. Wenn er das nächste Mal gefragt wird, will er wieder sagen, dass er jüdischer Israeli ist. Einer, der sein Land liebt und mit den Palästinensern im Frieden leben möchte. Vielleicht wird er zusammen mit seiner Freundin bald Kinder haben, und die möchte er in Israel großziehen, sagt er. Das mutet angesichts der aktuellen Kriegssituation in seiner Heimat beinahe absurd an. Trotz des Zwischenfalls in seinem Kiez, in Deutschland herrscht schließlich kein Krieg und der Schutz von Juden zählt zur obersten Staatsräson. Für Yoni Yahav aber ist Berlin nur eine Durchgangsstation. Er will sich vor allem weiterhin für die Versöhnung in seiner Heimat einsetzen: "Jede Art von Gewalt löst keine Probleme. Ich hoffe, dass beide Seiten, Israelis wie auch Palästinenser begreifen, dass sie einfach zusammen leben müssen. Der  einzige Weg liegt darin, so etwas wie eine Pufferzone friedvollen Zusammenlebens zu gestalten. Das wird die beste Lösung für Israel sein."