Kermani: Taufe ist viel gravierender als Beschneidung

Kermani: Taufe ist viel gravierender als Beschneidung
Navid Kermani ist empört über Beschneidungsurteil des Kölner Landgerichts. Damit werde 70 Jahre nach dem Holocaust erneut jüdisches Leben in Deutschland kriminalisiert, sagte der Orientalist und Schriftsteller dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Donnerstag). Heftige Kritik übte er an der christlichen Taufe.
05.07.2012
epd/evangelisch.de

Bei der Taufe sei der Eingriff in die Autonomie des Kindes viel größer als bei einer Beschneidung, sagte Kermani in dem Interview. In ihrer Substanz symbolisiere die Taufe ein Mitgekreuzigtwerden. "Heute würde man es als 'Schein-Hinrichtung' bezeichnen." Hintergrund ist die in Anlehnung an den Apostel Paulus Vorstellung Martin Luthers, durch die Taufe werde "unser alter Adam ersäuft", um Raum für das neue christliche Leben zu schaffen.

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Zum Beschneidungsurteil sagte Kermani, er könne immer noch nicht ganz glauben, dass keine 70 Jahre nach dem Völkermord an den Juden "traditionelles jüdisches Leben in Deutschland wieder kriminalisiert und damit letztlich in die Illegalität getrieben wird". Dies empöre ihn als deutscher Staatsbürger "beinahe noch mehr, als es mich als Muslim erschreckt".

Das Landgericht Köln hatte in der vergangenen Woche die Beschneidung eines muslimischen Jungen als Körperverletzung gewertet, weil ein medizinisch nicht notwendiger Eingriff nicht dem Kindeswohl entspreche. Das Recht des Kindes auf Unversehrtheit stehe über dem elterlichen Erziehungsrecht und dem Grundrecht auf Religionsfreiheit. Juden und Muslime, bei denen die Beschneidung von Jungen im Kindesalter üblich ist, kritisierten das Urteil scharf und fordern Rechtssicherheit für ihre religiöse Praxis.

"Expresszug ins 19. Jahrhundert"

"Es kommt mir vor, als bewegten wir uns im Expresszug zurück ins 19. Jahrhundert", sagte Kermani: "Die Mehrheitsgesellschaft will Juden und Muslimen einreden, sie seien alle - mehr oder weniger - krank, sie hätten sozusagen einen Schuss weg und würden es nur nicht merken. Das ist auch völlig in Ordnung, wenn sie das denken - solange das Recht neutral bleibt."

"Ich halte die Beschneidung nicht für eine Körperverletzung im strafrechtlichen Sinn", sagte der Deutsch-Iraner Kermani. So werde in den USA die Beschneidung nicht mit Gewalt in Verbindung gebracht: "Sonst wäre dort nicht auch die Mehrheit der christlichen Männer beschnitten." In den Vereinigten Staaten gelte die Beschneidung als ein "gesundheits- oder hygieneförderlicher Minimaleingriff": "Oder es ist dort ganz einfach eine Sache des Geschmacks."

Brisante religiöse Äußerungen

Kermani hatte bereits in der Vergangenheit mit religiös brisanten Äußerungen für Aufsehen gesorgt. 2009 bezeichnete er in einem Zeitungsbeitrag die christliche Kreuzestheologie als barbarisch und gotteslästerlich. Daraufhin wurde ihm vorübergehend der Hessische Kulturpreis wieder aberkannt, den er gemeinsam mit Kardinal Karl Lehmann, dem evangelischen Kirchenpräsidenten Peter Steinacker und dem Vizechef des Zentralrats der Juden, Salomon Korn, erhalten sollte.