Flucht vor der Angst: Eritreer hoffen auf sicheres Europa

Foto: epd-bild/Alexander Stein/JOKER
Mai 2011: Ein Boot aus Libyen läuft vor der italienischen Insel Lampedusa auf Grund, an Bord: Flüchtlinge aus Ghana, Nigera und Pakistan. Drei Menschen starben.
Flucht vor der Angst: Eritreer hoffen auf sicheres Europa
"Du weißt nie, was als nächstes kommt": Aus den armen, kriegszerütteten Ländern Ostafrikas fliehen die Menschen vor der allgegenwärtigen Existenzangst. Selbst im Flüchtlingslager in Europa fühlen sie sich sicherer als zuhause - eine Geschichte, die sich jetzt in Syrien wiederholt, die es in Afrika aber schon seit Jahren gibt. Deswegen vertrauen sie ihr Leben halbseidenen Menschenschmugglern an und riskieren den Tod auf der Flucht.
05.10.2013
epd
Bettina Rühl

Das Kellerzimmer in dem Flüchtlingsheim ist klein. Astier und ihr Mann Abraham sind trotzdem zutiefst dankbar, dass sie die Unterkunft in einer europäischen Stadt fanden. Das Ehepaar ist aus Eritrea geflohen. Ihre richtigen Namen möchten die beiden lieber nicht genannt sehen. Sie haben noch immer Angst. "In Eritrea ist man Tag und Nacht unruhig", sagt Abraham. "Sie können jederzeit kommen und dich zur Armee mitnehmen. Oder sie stecken dich ins Gefängnis - du weißt nie, was als nächstes auf dich zukommt."

In Europa atmen die beiden langsam auf. Andere, die die Flucht aus dem Land am Horn von Afrika ebenso wagten, haben es nicht geschafft - wie viele der Opfer von Lampedusa. Ein Gutteil der Flüchtlinge, die am Donnerstag vor der italienischen Insel kenterten und ums Leben kamen, sollen aus Eritrea und Somalia stammen. Ihre Hoffnungen auf ein besseres und sicheres Leben endete im Mittelmeer.

Der Traum von einer besseren Gesellschaft zerfiel

"Wir haben miterlebt, wie sich unsere Regierung in eine Militärdiktatur verwandelt hat, die aggressiv gegen ihre eigene Bevölkerung vorgeht", sagt Abraham. Noch während des Unabhängigkeitskampfes gegen Äthiopien vor rund 20 Jahren galt die "Eritreische Volksbefreiungsfront" (EPLF) der europäischen Linken als Modell einer neuen Gesellschaft, womöglich über die Grenzen Afrikas hinaus: Weil Männer und Frauen an der Front gleichberechtigt waren, und weil die EPLF in den von ihr "befreiten Gebieten" unter widrigsten Umständen und mit einfachsten Mitteln eine soziale Gesellschaft aufzubauen schien.

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Dann feierte Eritrea 1993 die Unabhängigkeit, der ehemalige EPFL-Führer Isaias Afewerki kam an die Macht. Seitdem werden die politischen Belange von der "Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit" dominiert, die aus der EPFL hervorging. Der Traum von der besseren Gesellschaft zerfiel, die Angst breitete sich aus. Auf Kritik und Widerstand reagiert die Regierung mit Repressionen.

Bis zu ihrer Flucht waren Astier und Abraham beim Militär. Alle Männer und Frauen in Eritrea sind bis zum Greisenalter wehrpflichtig und werden zu Zwangsarbeit eingesetzt. Oft wird der Dienst auf unbestimmte Zeit ausgedehnt. Das Ehepaar arbeitete in einem Militärkrankenhaus, sie als Krankenschwester, er als Arzt. Er habe Hunderte von Folteropfern behandelt, sagt Abraham. "Viele Patienten hatten schon Fäulnis an den Extremitäten entwickelt", beschreibt er das Unvorstellbare. "Ihnen waren die Arme sehr eng an den Körper gefesselt worden, was eine Art von Folter ist." Einigen musste er einen Arm amputieren, manchen beide, weil der Wundbrand schon so weit fortgeschritten war.

Menschen verschwinden, manchmal für immer

Tausende politische Gefangene leben nach Berichten der Menschenrechtsorganisation Amnesty International unter furchtbaren Bedingungen in eritreischen Gefängnissen. In den 20 Jahren Unabhängigkeit habe die Regierung mindestens 10.000 Menschen festgenommen, viele davon aus politischen Gründen. Oft verschwinden die Menschen einfach. Und tauchen vielleicht nie wieder auf.

Wer Verdacht schöpft und nur irgendwie kann, versucht, seinem Schicksal zu entkommen - nicht selten mit einer riskanten Flucht nach Europa. Doch die kann tödlich enden. "Die Gewässer vor der kleinen Insel Lampedusa sind wieder einmal tragischerweise zum Friedhof für Flüchtlinge geworden", beklagt Amnesty. "Diese tragischen Ereignisse wiederholen sich, während Tausende Menschen die gefährliche Reise übers Mittelmeer antreten, um Schutz oder ein besseres Leben zu suchen."