Theologe: Trauer braucht einen Ort

Pastor, Trauerexperte und Buchautor Klaus Dirschauer auf dem Friedhof
© epd/epd Niedersachsen-Bremen
Der evangelische Theologe hat den "Trauerknigge" geschrieben, um Tipps für das richtige Verhalten bei Trauerfeiern und Bestattungen zu geben. Trauernden beizustehen, das sei gerade in Corona-Zeiten wichtig, meint Dirschauer.
Besuch am eigenen Grab
Theologe: Trauer braucht einen Ort
Die Feuerbestattung ermöglicht eine Vielfalt der Grabformen. Seit einigen Jahren hat sich daraus ein Trend zum pflegeleichten und manchmal anonymen Grab entwickelt. Das passt nicht immer zu unserer Art zu trauern, sagt der Theologe Klaus Dirschauer.
21.11.2021
epd
Martina Schwager

Klaus Dirschauer und seine Frau haben vorgesorgt. Das Grab auf dem Riensberger Friedhof in Bremen ist bereits bezahlt. Darauf steht der Grabstein - versehen mit den Namen und Geburtsdaten. „Fehlen nur noch die Sterbedaten,“ sagt der 85-Jährige. „Meine Frau und ich haben selbstverständlich besprochen, wie wir uns Trauerfeier, Todesanzeige und Grab vorstellen.“

Der evangelische Theologe hat zahlreiche Essays und Bücher über Trauern, Tod und Abschiedsrituale geschrieben. Dem seit Jahren vorherrschenden Trend zu pflegeleichten und anonymen Grabstätten kann er nichts abgewinnen: „Trauer braucht einen Ort, den ich aufsuchen und an dem ich zum Beispiel am Geburtstag oder am Totensonntag auch etwas niederlegen kann.“

Gerade im ersten Trauerjahr sei das wichtig. Er selbst habe das nach dem Tod seiner ersten Frau erlebt, sagt Dirschauer. „Ich habe mit jedem Weg zum Grab die Beerdigung wiederholt. Der Tod will im wahrsten Sinne des Wortes begangen werden.“

Klaus Dirschauer an seinem eigenen Grab auf dem Riensberger Friedhof in Bremen.

Damit steht er gegen einen Trend, der seit Jahren ungebrochen ist. Immer mehr Menschen wollen für sich selbst oder ihre Angehörigen pflegeleichte und anonyme Grabstätten, sagt Markus Gebauer, zweiter Vorsitzender des Bestatterverbandes Niedersachsen. Zur Begründung hörten die Bestatter von alten Menschen häufig, sie wollten nach ihrem Tod niemandem zur Last fallen. Vielfach lebten die Kinder nicht dort, wo die Eltern bestattet würden. Die Alten fragten dann: „Wer soll mein Grab denn noch pflegen?“

70 Prozent der Toten werden verbrannt

Laut Verbraucherinitiative Aeternitas werden mittlerweile etwa 70 Prozent der Toten verbrannt. Ihre Urnen finden in Wandnischen in sogenannten Kolumbarien, in Gemeinschaftsgräbern unter der grünen Wiese, neben dem Baum auf dem Friedhof oder im Wald ihre letzte Ruhe. Vor allem die Zahl der Waldbestattungen nehme zu, sagt Gebauer. „Viele Menschen wollen sich dort begraben lassen, weil sie eine persönliche Beziehung zum Wald haben.“ Für Waldbesitzer sei das lohnend. Immer mehr beantragten die Zulassung für Waldbestattungen. So beherrschten nicht mehr nur die Firmen Friedwald und Ruheforst den Markt.

Auch Seebestattungen erfreuten sich gerade an den Küsten wachsender Beliebtheit, sagt der Fachmann. Er findet die alternativen Formen okay, auch wenn er selbst den Friedhof bevorzugen würde. „Die Trauerkultur unterliegt eben wie vieles andere dem Wandel der Zeit“, sagt Gebauer. Er respektiert die individuellen Wünsche seiner Kund:innen. Das gelte für Grabstätten ebenso wie für die Trauerfeier, bei der schon mal ein Motorrad oder eine Golfausrüstung die Halle schmücke. Manche Hinterbliebenen sagten ihm, sie seien eben keine Friedhofsgänger. „Wir stellen bei uns zu Hause ein Bild auf mit einer Kerze davor und denken dann an unseren Vater.“

Dirschauer hält solche Aussagen für wenig ehrlich und nicht ausreichend durchdacht. Die meisten Menschen beschäftigten sich zu Lebzeiten nicht mit ihrem Tod und redeten auch in der Familie nicht darüber. Nach dem Tod werde die Bestattung unter Zeitdruck vielfach „gemanagt“, viele wollten sich des Leichnams möglichst schnell entledigen.

Beredtes Zeugnis gäben davon allein die vielen Blumen und Kerzen vor Urnenwänden, auf Wiesen und an Bäumen. Sie würden dort abgelegt, obwohl es nicht erlaubt sei. „Für die Seebestatteten gibt es dann Erinnerungsfahrten und Gedenktafeln, weil die Angehörigen doch einen Anlaufpunkt brauchen.“ Bestattungen ganz ohne Grab erschwerten die Trauer, sagt Dirschauer: „Die Verstorbenen besuchen zu können, ist ein heilsames und geradezu therapeutisches Ritual“.

Den Gedanken, dass der Mensch mit einer Bestattung im Wald in die Natur zurückkehre, kann Dirschauer nicht nachvollziehen. Dieses „symbolische Weiterexistieren“ sei nur eine „Vertröstung“ und lenke vom Tod ab. Geradezu abstoßend findet der Theologe die noch relativ neue Methode der Kompostierung. Dabei wird der Leichnam unter anderem mit Hilfe von Mikroben innerhalb von wenigen Wochen zersetzt und dann den Angehörigen quasi als Gartendünger übergeben. „Wie gehen wir denn dabei mit unseren Toten um und mit uns selbst in unserer Trauer um einen Verlust?“, entrüstet er sich.