Straßen blockieren für den Klimaschutz?

Klimaaktivisten blockieren den Nürnberger Altstadtring im August 2022 durch festgeklebte Hände.
© epd-bild/Valeska Rehn
Klimaaktivisten blockierten im August den Verkehr in Nürnberg. Mit der Aktion wollten sie für einen sozial-ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft eintreten Unte​r den 15 Blockierenden, die ihre Hände auf dem Asphalt festgeklebt hatten, war auch der Nürnberger Jesuitenpater Jörg Alt (Foto rechts). (Archivbild)
Kolumne: evangelisch kontrovers
Straßen blockieren für den Klimaschutz?
Anketten, sich festkleben, den Verkehr blockieren - wie weit dürfen Christ:innen bei Aktionen und Demonstrationen für den Klimaschutz gehen? Dr. Alexander Maßmann, unser Ethik-Experte von der Universität in Cambridge, bezieht Stellung und zeigt Wege auf.

Die Initiative "Fridays for Future" plant für morgen (23.9.22) einen Schulstreik. Vertreter:innen der evangelischen Kirchen haben sich mit der Initiative solidarisiert. "Extinction Rebellion" (XR) ist für provokantere Aktionen bekannt. Die Gruppe veranstaltete gerade eine "Herbst-Rebellion" (17.–20.9.) und arbeitet auch locker mit einzelnen Kirchengemeinden vor Ort zusammen. Hier und dort ist die Befürchtung zu hören, eine links-aktivistische EKD vernachlässige das Evangelium vor lauter trendigem Klimaprotest.

Aktivist:innen von XR und der "Letzten Generation" haben sich vor dem Kanzleramt festgekettet, veranstalten "Die-ins" und "containern". Aufsehen erregt aber besonders, wie sie Kreuzungen blockieren, indem sie sich auf dem Asphalt festkleben. Autofahrer:innen, die feststecken, reagieren aufgebracht. Immerhin lehnen die Aktivist:innen Gewalt ab und akzeptieren Strafen wie Bußgelder. Nachvollziehbar ist auch, dass sie von Zukunftsangst getrieben sind und als "Feuermelder" die Öffentlichkeit alarmieren wollen.

Doch Kritiker fragen: Wohin soll es noch führen, wenn Moralisten sich Verstöße gegen Recht und Ordnung rausnehmen? XR meint, sie würden keine Krankenwagen blockieren – aber ist das realistisch? Im Kampf für das Klima ist es wenig sinnvoll, die Bevölkerung gegen sich aufzubringen, und die großen Klima-Schädlinge in der Industrie bekommen den Protest selbst nicht zu spüren.

Auch wird angemerkt, dass das Bundesverfassungsgericht bereits auf entschiedenerem Klimaschutz insistiert hat. Schließlich sieht das Grundgesetz den Schutz künftiger Generationen vor. Die Ampel hat nachgebessert, um die Klima-Erhitzung mit dem Pariser Klimagipfel auf 1,5 bis 2 Grad zu begrenzen. Doch Deutschland liegt noch nicht auf Kurs: Im Zuge des Ukraine-Krieges investieren wir in Flüssiggas und Kohle, der Ausbau der erneuerbaren Energien hinkt hinterher, und das Verkehrsministerium scheint das Verfehlen seiner Etappenziele bewusst zu tolerieren. 

Doch selbst wenn die Pariser Ziele mustergültig eingehalten würden, kann die Erwärmung bestimmte Meilensteine erreichen, sogenannte Kipp-Punkte, und dann vollzieht sich die Erwärmung nicht mehr kontinuierlich-linear, sondern gewinnt noch zusätzlich an Fahrt. Bislang wird die voranschreitende Erhitzung noch gemildert, da etwa Eisflächen die Sonnenstrahlen reflektieren. Doch mit dem Schmelzen der weißen Flächen nimmt auch ihre positive Wirkung aufs Klima ab.

Möglicherweise haben wir bei der Eis-Schmelze in Grönland die kritische Marke bereits überschritten. Noch nicht ganz so weit ist es vermutlich bei der Zerstörung der Permafrost-Böden und der Wälder. Aber eine Erhitzung um 1,5 Grad bringt uns mehreren Kipp-Punkten zumindest gefährlich nahe, und das wusste man 2015 in Paris noch nicht. Manche Klimawissenschaftler meinen gar, dass die Erhitzung auch mit Paris bei 3 Grad plus liegen wird. Das ist aber noch nicht in der Bundesregierung und dem Bundesverfassungsgericht angekommen, die angeben, mit Paris 1,5 Grad anzustreben. Auch wenn die Menschheit mit der Klimakrise nicht ausstirbt, bedeuten ein paar Grad Unterschied doch viel Leid. So veröffentlichte auch die prestigeträchtige Wissenschaftszeitschrift "Nature" kürzlich einen Aufruf  von Forscher:innen zum gewaltfreien zivilen Ungehorsam. Sie sprechen sich dafür aus, Filialen von Banken gewaltfrei zu blockieren, die in fossile Brennstoffe investieren.

Auch wer nach Kernanliegen des Christentums fragt, kann im Klimaschutz nicht bloß ein optionales Extra sehen. Zwar sollte man den Klimaschutz nicht mit einem idealisierten, romantischen Bild der Schöpfung begründen. Auch der erste Schöpfungsbericht der Bibel kennt etwa chaotische oder destruktive Elemente in der Natur. Sie werden dort z. B. mit den Symbolen der Wassermassen oder der Nacht ausgedrückt – man denke etwa an Löwen, die nachts nach Beute suchen (Psalm 104,21). Auch mit diesem chaotischen Aspekt ist die Natur fruchtbar und ermöglicht Leben, und so nennt Genesis 1–2 diese Schöpfung "sehr gut". Die Klimakrise ist aber eine ganz andere Hausnummer.

Ethisch ist der zivile Ungehorsam des Klima-Protests potentiell gerechtfertigt, wenn er sich möglichst gewaltfrei für die Grundlagen der Gesellschaft einsetzt. Auch in Deutschland nehmen Überschwemmungen, Sturmfluten, Dürren und Waldbrände deutlich zu, und Agrarerträge  schrumpfen. Die Medizin stellt negative Auswirkungen des extremen Klimas auf Schwangerschaften  fest, und Infektionskrankheiten dringen in neue Regionen vor. Vor diesem Hintergrund verstoßen Klima-Aktivist:innen gegen Gesetze, um die Gesellschaft an ihre verfassungsmäßige Verantwortung für künftige Generationen zu erinnern. Hinzu kommt, dass ärmere Länder des Südens dem Klima pro Kopf deutlich weniger schaden als Deutschland, doch die Menschen dort sind von der Klimakrise überproportional betroffen.

Sich auf einer Kreuzung festzukleben dürfte eine problematische Form des Klimaprotests sein. Andere aufsehenerregende, provokative Schritte sind aber potentiell sinnvoll. Es kann durchaus im Sinn unserer Verfassung sein, dass Aktivisten um des geltenden Rechtes willen – in Verantwortung für künftige Generationen – kurzfristig gegen geltendes Recht verstoßen. Gerade Christinnen und Christen sollten sie nicht vorschnell verurteilen, sondern sich zu neuen Möglichkeiten des Klimaschutzes anregen lassen. Wenn wir uns nicht für’s Klima einsetzen, klingt auch die Verkündigung des Evangeliums halbherzig – gerade für diejenigen, denen die Klimakrise Angst macht.