TV-Tipp: "Der Kommissar und die Angst"

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29. April, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Der Kommissar und die Angst"
"Gott würfelt nicht!", erkannte einst Einstein. Aber vielleicht spielt er ja Schach? Zumindest dürften sich Autorinnen und Autoren von Drehbüchern und Romanen gottgleich fühlen, wenn sie Geschichten entwerfen und ihre Figuren von A nach B schieben: einmal auf dem falschen Feld gelandet, schon ist das Spiel vorbei. Im Film gibt es ein ganzes Genre über Menschen, die falsch abgebogen sind und prompt im größten Abenteuer ihres Lebens landen; oder, wie der Held der "Stirb langsam"-Saga, bloß zur falschen Zeit am falschen Ort sind.

So ergeht es auch Susanne Koch (Meike Droste), der Freundin des eigenwilligen Berliner Kommissars Martin Brühl (Roeland Wiesnekker) aus der 2017 gestarteten ZDF-Krimireihe, die keinen eigenen Titel hat, sondern stets bloß "Der Kommissar und …" heißt ("das Kind", "die Wut", "die Eifersucht"). 

Das Drehbuch zum vierten Fall, "Der Kommissar und die Angst", stammt erstmals nicht von Reihenschöpfer Christoph Darnstädt, sondern von Andreas Linke; Regie führte allerdings wie bei allen Filmen der Reihe Andreas Senn, der zuletzt für RTL die beiden sehenswerten "Sonderlage"-Thriller (2023) gedreht und mit Linke bereits bei der vorzüglichen ZDFneo-Serie "Unbroken" (2021) zusammengearbeitet hat. Das Duo lässt Susanne zwar nicht falsch abbiegen, denn Brühls Lebensgefährtin und Kollegin hat die nächtliche Abkürzung, die sie scheinbar ins Verderben führt, bewusst gewählt, aber zur falschen Zeit am falschen Ort ist sie sehr wohl: Als sie an einem Automaten Geld abheben will, fliegt das Ding in die Luft. Eine LKA-Polizistin (Adina Vetter) erklärt später, warum die Automatensprenger die bewusstlose Frau nicht einfach liegen gelassen haben: Ein Personenschaden erhöht den Fahndungsdruck. Die beiden Verbrecher schaffen Susanne in ihren Transporter und fahren in ein Waldstück. Der ältere der beiden macht sich mit Spaten und Pistole auf den Weg, der andere hört den Schuss und weiß: Die Sache ist erledigt. 

Kurz drauf wacht Susanne in einer Waldhütte auf, gefesselt zwar, aber noch am Leben. Dass ihr Entführer, Oleg (René Schwittay), sein Gesicht nicht verdeckt, ist allerdings kein gutes Zeichen, wie Krimifans wissen. Andererseits: Wenn er sie töten wollte, hätte er das bereits im Wald erledigt. Der Polizeiapparat ist derweil erst mit einer gewissen Verzögerung auf Hochtouren gekommen, denn Brühls Chef (Michael Schenk) weigert sich, eine Fahndung nach Susanne zu veranlassen, bloß weil der Kollege ein mulmiges Gefühl hat. Dass Kinder Susannes Telefon in einem Gebüsch entdecken, ist ebenfalls noch kein Hinweis auf ein Verbrechen. Das ändert sich, als Brühl den nächtlichen Heimweg seiner Freundin rekonstruiert, und nun zeigt sich, wie clever Linke sein Drehbuch konstruiert hat; die bedrohliche Begegnung der Polizistin mit einem Obdachlosenpärchen zum Beispiel erweist sich im Nachhinein als glückliche Fügung. Zwar stellt Brühl frustriert fest, dass das LKA bei den Ermittlungen gegen die Automatensprenger schlampig gearbeitet hat, aber immerhin lässt sich dank der Aufnahmen der Überwachungskamera die Identität von zumindest einem der beiden Täter rausfinden. 

Natürlich lebt "Der Kommissar und die Angst" vor allem vom Bangen Brühls um das Leben seiner Partnerin, doch während sich vergleichbare Krimis in solchen Fällen mit gelegentlichen Stippvisiten beim Opfer begnügen, widmen Linke und Senn der Beziehung zwischen Susanne und ihrem Entführer viel Zeit. Geschickt spielt das Drehbuch mit dem Phänomen des "Stockholm-Syndroms", zumal Olegs demente Mutter Marta (Friederike Frerichs) die Geisel für ihre angeblich in New York lebende lang vermisste Tochter Leni hält. Dass der Film tatsächlich Sympathie für den Verbrecher weckt, hat andere Gründe: Oleg kümmert sich liebevoll um die sterbende Marta und entpuppt sich zudem als tragische Figur, die sich auf finstere Mächte eingelassen hat. Ein weiterer Überfall soll ihm helfen, die Vergangenheit endlich hinter sich zu lassen, aber auch in dieser Hinsicht folgt Linke der Filmregel, dass das letzte große Ding selten gut ausgeht. René Schwittay verkörpert den Mann angenehm vielschichtig, zumal sich schließlich rausstellt, dass die erschütternde Geschichte, die er Susanne aufgetischt hat, nicht ganz der Wahrheit entspricht. Dieses Rätsel bleibt zwar ungelöst, aber eine Andeutung Olegs lässt immerhin erahnen, welches sinistre Schicksal Leni tatsächlich widerfahren ist. Die Dünnhäutigkeit des Kommissars hingegen, vom ausstrahlungsstarken Schweizer Roeland Wiesnekker bislang stets als Figur im Ausnahmezustand verkörpert, ist diesmal sehr nachvollziehbar.