TV-Tipp: "Wendland: Stiller und das große Schweigen"

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9. März, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Wendland: Stiller und das große Schweigen"
Geschichten werden erzählt, um etwas zu vertreiben; im besten Fall die Zeit, im schlimmsten Fall die Furcht. Ein Krimi, der von seiner Besetzung lebt. Ein Konzept mit Vor-, aber auch Nachteilen.

Das ist zumindest die Überzeugung von Jakob Stiller, der sich außerdem fragt, warum es ihn immer wieder zu seiner Schreibmaschine zieht; vielleicht, um sich von der Seele zu schreiben, was ihn bewegt. Die Herbststimmung vor seinem Fenster passt zu diesem nachdenklichen inneren Monolog, der sich am Ende als Lesung entpuppt. Einzig ein wie aus dem Nichts auftauchender einsamer Wanderer stört die Szenerie.

Der Mann, offenbar ein Obdachloser, ist völlig unterkühlt und personifiziert zudem den Titel dieses zweiten "Wendland"-Krimis, "Stiller und das große Schweigen", der sich aber auf noch weitere Weisen deuten lässt. Auf ein Blatt kritzelt der verschlossene Fremde, der laut Ausweis den waffenaffinen Namen Remy Luger trägt ("Remy" für Remington), die Worte "Kann nicht reden". Zuerst hat er "Mag nicht" geschrieben, aber das hat er durchgestrichen. Später wird Stiller verkünden, es gebe zwei Arten zu schweigen, eine gute und eine schlechte. Die schlechte Variante wird sich auf ein fünfzig Jahre altes deutsch-deutsches Familiengeheimnis beziehen; der Titel des ersten Films, "Stiller und die Geister der Vergangenheit" (2022), würde auch zum zweiten passen.

Irgendwann lässt der von Hamburg ins Wendland versetzte Hauptkommissar beiläufig einfließen, warum es ihn in die Provinz verschlagen hat, aber ansonsten halten sich Friedrich Ani und Ina Jung nicht weiter mit Vorreden auf: Stiller ermittelt nun im Landkreis Lüchow-Dannenberg, fertig. Dass man in der Gegend ohne Auto aufgeschmissen ist, stellt den Radfahrer allerdings vor Probleme; wenn seine Mitarbeiterin Kira Engelmann (Bettina Burchard) mit dem Dienstwagen unterwegs ist, muss er sich vom Kollegen Klasen mit dem Trecker zum Leichenfundort bringen lassen. Bei dem Toten handelt es sich um den aus kurzer Distanz erschossenen Eigenbrötler und Einsiedler Niklas Kiehn. Die Ermittlungen führen zunächst ins Landratsamt, wo seine Schwester (Paula Kroh) arbeitet, aber alsbald zur einflussreichen und wegen ihres sozialen Engagements weithin geschätzten Familie Sorrow, doch natürlich schwebt über der Handlung die Frage: Was hat das alles mit Remy Luger zu tun?

Ani und Jung haben in den letzten Jahren vor allem für "München Mord" (ebenfalls ZDF) gearbeitet, aber Erinnerungen weckt "Stiller und das große Schweigen" in erster Linie an die beiden "Kommissar Süden"-Krimis, die einst nach Anis "Tabor Süden"-Romanen entstanden sind. Für den zweiten Film, "Kommissar Süden und der Luftgitarrist", hat er selbst das Drehbuch verfasst, und Ulrich Noethen war die perfekte Besetzung für die Rolle des melancholischen Vermissten-Kommissars. Er erzähle "Geschichten von unscheinbaren Menschen in schlecht beleuchteten Räumen", hat Ani damals gesagt, und das erklärt vielleicht, warum das ZDF die beiden 2008 ausgestrahlten Filme nicht fortgesetzt hat: Zu jener Zeit war es in TV-Produktionen in der Regel schön hell, und selbstredend sollten die Figuren etwas Besonderes darstellen. Zumindest hinsichtlich der Beleuchtung hat sich viel geändert. Gerade das Haus von Kiehn ist in ein diffuses Licht getaucht (Kamera: Matthias Reisser), was prompt die Vermutung weckt: Hier ist irgendwo ein Geheimnis verborgen. 

Dass Stiller ist, wie er ist, ist Josef Rusnak zu verdanken; er hat den ersten Film für Ulrich Noethen geschrieben und auch inszeniert. Ani und Jung haben sich jedoch perfekt in die Persönlichkeit des eigenwilligen Kommissars hineingedacht und sie kongenial fortgeführt.

Regisseur Bruno Grass hat zuletzt einige mehr als sehenswerte Beiträge für ZDF-Reihen wie "Theresa Wolff" und "Sara Kohr" gedreht. Da er hier komplett auf Nervenkitzel verzichtet, lebt die entspannte Inszenierung fast ausschließlich vom Ensemble, aus dem Bach und Noethen herausragen: der eine, weil er seine Rolle praktisch nur mit den Augen spielt; der andere, weil ihm mitunter eine durch den Blickwinkel der Kamera noch betonte Kopfhaltung genügt, um mehr zu sagen als andere mit ganzen Sätzen. Dass sich Stiller zur großen Empörung von Kollegin Kira gegenüber seinen Mitmenschen gelegentlich reichlich ruppig benimmt, weil er ohne Umschweife zur Sache kommt, hat dem Feingeist Noethen vermutlich mindestens ebenso viel Freude bereitet wie seine Dialoge: Stiller sagt nicht viel, aber dann. Die sehr präsente Musik (Christoph Zirngibl) ist ebenfalls besonders. Schade, dass die Besetzung der Gastrollen allzu früh erahnen lässt, wer in dieser Geschichte Dreck am Stecken hat.